Die heile Welt der Impfgegner und ihre verschworenen Feinde

Wenn man ein Kind daran hindert, über eine Straße zu laufen, weil darauf ein Auto naht, so spricht wohl kaum jemand davon, dass dieses Kind einem unzumutbaren Zwang unterworfen werde. Kinder haben aufgrund ihrer geringeren Körpergröße und ihrer ebenso geringen Erfahrungen keinen guten Überblick, sie müssen daher an der Hand genommen werden, um nicht in Gefahr zu kommen. Natürlich muss man zusätzlich versuchen, den Kindern Verhaltensweisen zu erklären, die ihnen dabei helfen, sich in einer Stadt sicher zu bewegen.

Bei der Impfung jedoch sind viele außerstande einzusehen, dass diese vor der Gefahr einer viralen Infektion schützt. Schließlich ist das Virus nicht sichtbar wie das Auto, von dem ein Kind offensichtlich überfahren worden wäre, wenn es die Eltern nicht aufgehalten hätten. Es finden sich daher jede Menge Menschen, die von unzumutbarem Zwang sprechen, wenn eine Impfung nicht aufgrund einer freien Entscheidung erfolgt. Wie selbstverständlich nehmen diese Bürger dagegen ihr Recht auf medizinische Versorgungsleistungen im Falle einer Erkrankung, die durch eine Impfung sehr einfach zu verhindern gewesen wäre, in Anspruch. Da fragt niemand die Ärzte, ob sie sich freiwillig zur Betreuung solcher Menschen entschlossen haben, denn dies hätten Ärztinnen in Kauf zu nehmen, da sie sich schließlich freiwillig für den Beruf des Arztes entschieden hätten. Man tut geradezu so, als wäre die ärztliche Behandlung auf einer Intensivstation nur eine kleine Gefälligkeit und als wäre der Krankenhausaufenthalt für den Patienten selbst so etwas wie eine Kur oder ein Urlaub ohne größere Gefahren oder besonderen Aufwand.

Den Impfgegnern kommt es keineswegs in den Sinn, dass sie sich mit der Verweigerung der Impfung zu einer Virenschleuder machen, dass sie für eine Virenschwemme sorgen, die dann auch vermehrt zu den berüchtigten Impfdurchbrüchen führt, die diese „Impfskeptiker“ dann voller Genugtuung als Beweis für die Unwirksamkeit der Impfung heranziehen. Völlig gleichgültig scheint ihnen in diesem Zusammenhang auch, dass diese Impfdurchbrüche nur selten mit einem schweren Krankheitsverlauf einhergehen. Und wenn sie sich schon nicht impfen lassen wollen, so wäre es wenigstens angebracht, sich nach Möglichkeit von anderen Menschen fernzuhalten. Nicht einmal das darf man jedoch von ihnen verlangen, da klagen sie sofort über Diskriminierung, wenn man ihnen irgendwo den Zutritt verwehrt, weil sie ungeimpft sind und deswegen das Risiko einer weiteren Ausbreitung des Corona-Virus aufweisen. Da schrecken sie nicht einmal davor zurück, diesen Ausschluss von der Teilnahme an Kulturveranstaltungen mit der Diskriminierung von Juden in Nazi-Deutschland gleichzusetzen, wenn sie nicht ohnehin in der Impfung eine Massenvernichtung sehen, wie sie von den Nazis an den Juden praktiziert wurde.

Wer mit solchen Wahnvorstellungen konfrontiert ist, also mit Menschen, welche die Corona-Pandemie nur für eine Erfindung der Eliten zur massenhaften Vernichtung unliebsamer Menschen halten, der braucht sich natürlich nicht zu wundern, wenn jedem Versuch einer Widerlegung solchen Schwachsinns mit dem Aufschrei „Lügenpresse“ begegnet wird. Auch erfolgreiche Sportler wie der Tennisspieler Djokovic werden sogleich zu Opfern erklärt, wenn sie nach Australien einreisen wollen, obwohl sie ganz genau wissen, dass sie eine wichtige Voraussetzung dafür nicht erfüllen, weil sie es vorgezogen haben, sich nicht gegen das Corona-Virus impfen zu lassen. Da soll man plötzlich für jemanden eintreten, der die ganze Welt als seinen selbstverständlichen Besitz betrachtet, zu dem er natürlich immer Zugang haben müsse. Man soll für jemanden eintreten, der nicht die geringsten Hemmungen hat, seinen ökologischen Fußabdruck dadurch zu maximieren, dass ihn Flugzeuge jederzeit an jeden beliebigen Ort dieser Erde bringen sollen. Dieselben Menschen, die im Falle der Migration gar nicht genug Hindernisse errichten können, um die Bewegungsfreiheit unerwünschter Personen einzuschränken und deren Zuwanderung zu verhindern, betrachten es als unzumutbare Verletzung der Menschenrechte, wenn ungeimpften Personen die Einreise verweigert oder der Besuch öffentlicher Veranstaltungen verboten wird.

Viele Bürgerinnen sind davon überzeugt, dass der Widerstand der Impfgegner gegen das Impfen nicht nur diesen selbst, sondern auch den vom Kontakt mit ihnen betroffenen Menschen schadet. Dafür werden sie von manchen Personen als Konformisten an den Pranger gestellt. Schließlich fällt es einfach gestrickten Geistern leicht, ihr Verhalten unter umgekehrten Vorzeichen beizubehalten: Während sie früher alles gut fanden, wenn es nur vom Staat kam, betrachten sie jetzt alles als schlecht, sobald es vom Staat kommt. So können sie sich im Widerstand gegen die Impfpflicht als Helden der Zivilcourage, als engagierte Bürgerinnen für ihre Vortrefflichkeit loben. Um gegen eine Impfpflicht aufzutreten, wird schnell alles aufgegriffen, was diesen Standpunkt unterstützt. So hört man nun, dass die Impfung gegen die Omikron-Variante des Corona-Virus ohnehin wirkungslos und darüber hinaus diese Virus-Variante ohnehin ganz harmlos sei. Wenn der Staat dennoch an einer Impfpflicht festhalte, so nur deshalb, weil er keine Fehler eingestehen wolle oder ganz andere Absichten verfolge, eben den großen Bevölkerungsaustausch, um die Querulanten loszuwerden, die ihm andauernd solche Absichten unterstellen.

Bemerkenswert an diesem Aufruhr ist die affirmative Haltung, der dieser entspringt. Es ist nämlich gar nicht so, dass Impfgegner Feinde der bürgerlichen Gesellschaft wären. Sie sind ganz im Gegenteil von den Segnungen der freien Marktwirtschaft und ihrer freien Selbstbehauptung in dieser derartig überzeugt, dass ihnen die wegen Corona auferlegten Einschränkungen als unerträgliche Behinderung erscheinen. Diese Bürger nehmen daran nicht wahr, wie sehr sie vom Erfolg des Kapitals abhängig sind, wie sehr sie also gute Gründe hätten, diese Abhängigkeit zu beseitigen. Sich für diesen Erfolg nützlich zu machen, gilt ihnen vielmehr als ihre natürliche Freiheit, die ihnen von einer überbehütenden Obrigkeit mit deren Corona-Maßnahmen genommen werde. Da ist es nur konsequent, wenn FPÖ-Obmann Herbert Kickl den „Impfkommunismus“ an den Pranger stellt, denn für diesen ist Impfen ohnehin nur ein Zeichen von Schwäche. Nur solche Menschen, die ohnehin immerzu nach staatlicher Unterstützung verlangen, würden nun auch Hilfe durch eine Impfung fordern, da sie niemals für sich selbst Verantwortung übernehmen und sich nie mit eigenen Leistungen durchsetzen würden. Freiheitsdürstende und erfolgshungrige Bürgerinnen würden hingegen auch ein starkes Immunsystem aufweisen, solchen Menschen kommt ein neues Virus als Bewährungsprobe gerade recht, um ihre Fähigkeiten zur Selbstbehauptung weiterzuentwickeln, denn was sie nicht umbringe, könne sie nur stärker machen.

Menschen, denen es nie in den Sinn käme, eine Kritik an der allgemeinen, wenn auch allein den „privilegierten“ Männern vorbehaltenen Wehrpflicht vorzutragen, halten eine Impfpflicht für einen böswilligen Akt des Staates. Während ihnen üblicherweise sofort einfällt, dass Rechten auch Pflichten gegenüberstehen, wollen sie in diesem Fall nichts von einer Verpflichtung wissen, sondern nur auf ihr vermeintliches Recht pochen, jederzeit jedem zur Last zu fallen, weil sie einer mittlerweile milliardenfach erprobten Impfung nicht trauen. Wenn es organisatorisch durchführbar wäre, würde ich ihnen am liebsten vorschlagen, sich mit ihren homöopathischen Ärzten in Reservate zurückzuziehen, wo sie erstens von der Impfpflicht verschont werden und zweitens im Falle ihrer Erkrankung ausschließlich auf die Pflege ihrer Lieblingsärztinnen zurückgreifen können. So aber halte ich fest, dass ausgerechnet im Falle der Impfung, wo der Staat einmal einen sinnvollen Gebrauch von seiner Gewalt macht, sich Widerstand regt. Zwar dient auch die Impfung natürlich der Standortpflege für das Kapital, da kranke Menschen für dieses nicht zu gebrauchen sind, aber in diesem Fall fällt eine allgemein vernünftige mit einer staatsnützlichen Maßnahme zusammen. Das kann man von den üblichen Verarmungsprogrammen nicht behaupten, die Staaten ebenfalls zur Standortpflege einsetzen, um ihre für Lohn arbeitende Klasse für die kapitalistische Benutzung attraktiv zu machen.

Solche Einsicht ist von Impfgegnern allerdings nicht zu erwarten. Diesen ist es nämlich ein Bedürfnis, daran festzuhalten, dass die bürgerliche Gesellschaft schon in Ordnung wäre, wenn nicht dunkle Mächte ihren Einfluss geltend machen würden. Da fällt ihnen nicht einmal der Widerspruch auf, dass ihnen das üblicherweise als gesundes Erwerbsstreben eingestufte Profitinteresse im Falle der Pharmaindustrie missfällt, weil diese die Menschen krank machen wolle, um ihnen ihre Medikamente und Impfungen zu verkaufen. Sie wollen an ihrer heilen Welt festhalten, dass ein konkurrenztüchtiges und gesundes Subjekt mit ein paar Vitaminen jede Krankheit bewältigen würde, dass nur die Verschwörung des Staates mit der Pharmaindustrie und der „Lügenpresse“ daran interessiert sei, ihnen ihre natürlichen Abwehrkräfte zu nehmen. Einen Vorwurf muss man der sogenannten „Lügenpresse“ allerdings schon machen: Es wäre einfacher, solche Vorwürfe zu entkräften, wenn sie nicht in einigen Fällen etwas für sich hätten, etwa in der Berichterstattung über das Verhältnis Russlands zur Ukraine, in der z. B. darauf beharrt wird, dass die Annexion der Krim völkerrechtswidrig gewesen sei, weil sie nicht unter der Obhut der NATO-Staaten stattfand, wie etwa die Gründung des Kosovo.

Angesichts derartiger Zerwürfnisse mit gegensätzlichen Rechtsansprüchen hilft es auch nichts mehr, einfach die Ruhe zu bewahren und mit Gelassenheit eine sachliche Auseinandersetzung mit den „Argumenten“ der Gegnerinnen demonstrieren zu wollen, wie das ein sich wie ein altkluges Kind präsentierender Lehrer vorgeschlagen hat. Denn wer hier Stellung bezieht, wird mit Anfeindungen zu rechnen haben, da wird der Vorschlag eines gelassenen Umgangs mit diesen kaum aufrecht zu erhalten sein.

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