2017

Holen Sie sich, was Ihnen zusteht!

Wien, 4. 9. 2017

Für die Nationalratswahlen 2017 in Österreich hat sich die SPÖ die Parole: „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“, einfallen lassen. Es scheint ihr also die Aufklärung der Österreicher über ihre Rechtsansprüche erforderlich, weil diese ihre Rechte entweder nicht wahrnehmen oder diese ihnen vorenthalten würden. Dennoch sind keine mit nützlichen Gütern überfüllten Lagerhallen bekannt, die man sich nur abholen müsste, denn selbst wo solche Hallen existieren, müsste immer noch ein Kauf stattfinden, damit diese Güter ihren Besitzer wechseln. Eher wird die Vernichtung von Gebrauchsgütern durchgeführt, wenn diese sich nicht als Waren im Verkauf bewähren, als dass man diese „einfach so“ nach dem Bedarf verteilen würde. Dies liegt an den hierzulande herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen und ihren „Grundrechnungsarten“.

Obwohl also nur ein nebuloses Rechtsempfinden mit dieser Parole bedient wird, sehen konservative Kritiker hierin eine Rückkehr des Klassenkampfs und ein Schüren von Neidkomplexen gegen Reiche. Von der FPÖ war sogar zu vernehmen, dass sie diesen Imperativ als Aufforderung zu Diebstahl und Raub betrachte. Das wird dem Inhalt dieser Forderung allerdings keineswegs gerecht, schließlich wird hier nicht ein Rechtsbruch propagiert, sondern eine Rechtsanspruch behauptet – ob dieser nun zutreffen mag oder auch nicht, ist eine andere Frage. Klassenkampf freilich bricht das herrschende Recht der Klassengesellschaft und beruft sich nicht auf dieses, deswegen würde hier die Parole auch lauten: Holen Sie sich oder produzieren Sie, was sie brauchen! Dennoch wird natürlich mit dieser Propagierung eines tatsächlichen oder vermeintlichen Rechts eine Anspruchshaltung gepflegt, indem man den Leuten suggeriert, dass ihnen etwas vorenthalten werde, was ihnen eigentlich zustehe. Und für die FPÖ ist es anscheinend unerträglich, wenn Bürger eine Anspruchshaltung dem Staat gegenüber einnehmen und andauernd danach Ausschau halten, was der Staat für sie tun könne, anstatt sich zu fragen, was sie für den Staat tun können – eine Aussage, für die John F. Kennedy beinahe so berühmt geworden ist wie für seine symbolische Migration nach Berlin vor den jubelnden Massen: „Ich bin ein Berliner!“

Seltsam ist allerdings, dass der SPÖ diese Unrechtmäßigkeit während der vielen Jahre ihrer Regierungstätigkeit nicht aufgefallen sein will – da war sie wohl zu sehr mit dem Regieren beschäftigt und jetzt, vor den Nationalratswahlen, ist ihr dieses Versäumnis noch gerade rechtzeitig aufgefallen. Und das Schöne an dieser Parole ist ja auch, dass die SPÖ nicht sagt, was es denn sei, das einem zustehe, so als wüsste das ohnehin jeder, obwohl ihn erst die SPÖ daran erinnern muss. Bei aller Ausstattung mit Rechten ist es nämlich nicht so, dass die SPÖ die „kleinen Leute“ dazu ermächtigen will, sich Geld zu beschaffen, das die Unternehmer ihren Angestellten vorenthalten würden, indem es ihren Gewinn bildet. Was einem in der bürgerlichen Gesellschaft zusteht, ist daher weiterhin nur das, was man gemäß ihren Gesetzmäßigkeiten für sich herausholen kann, und daran will auch die SPÖ nichts ändern. Über die Einhaltung dieser Gesetzmäßigkeiten wacht die Staatsgewalt, die auf diese Weise auch darüber befindet, was einem zusteht und was nicht – insofern ist der Vorwurf einer „kommunistischen Einstellung“ in dieser Parole wahrlich daneben. Was den Bürgern daneben allein weiterhin zustehen soll, ist die Ermächtigung der SPÖ zur Fortsetzung ihrer Regierung, damit sie in bewährter Manier darüber entscheidet, was wem zusteht, indem sie es „umverteilt“. Ihrem Verständnis gemäß müsste daher eigentlich jeder Bürger die SPÖ wählen, denn für benachteiligt hält sich in der bürgerlichen Gesellschaft nahezu jeder, schließlich legt der Staat ihm mit seinen Rechten auch die Pflicht auf, sich innerhalb von deren Grenzen zu bewegen – und das wäre ziemlich überflüssig, wenn er nicht permanent die Versuchung verspüren, würde, diese zu überschreiten.

Mit dieser Parole wird also das beleidigte Rechtsbewusstsein des Bürgers angesprochen, der sich in der Konkurrenz immerzu von anderen übervorteilt glaubt und sich für den Einzigen hält, der vollkommen anständig den staatlichen Gesetzen gehorcht. Deswegen zeigen sich die Konkurrenten der SPÖ beim Wettkampf um die Staatsmacht ja auch darüber besorgt, dass sich jemand mit dieser Parole zur Durchsetzung vermeintlicher Rechtsansprüche aufgefordert fühlen könnte, die dem tatsächlich gültigen Recht keineswegs entsprechen. Nur wegen eines billigen Wahlkampfversprechens nehme es die SPÖ in Kauf, auf diese Weise Chaos zu stiften. Dabei ist doch den meisten Bürgern ohnehin klar, dass ihnen nur die Wahl der SPÖ zusteht, die sie dann darüber aufklärt, wie ihre Parole genau zu verstehen ist. Von Klassenkampf ist hier keine Spur zu sehen, denn wie bereits erwähnt worden ist, würde dieser nicht auf bürgerliche Rechtsansprüche pochen, sondern diese als Indiz einer Herrschaft kritisieren, für die sich die Menschen nützlich machen müssen, um die notwendigsten Mittel zur Bestreitung ihrer Existenz zu erwerben. „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“ – diese Aussage weiß um den Schaden der Bürger, egal, ob dieser nun tatsächlich oder wahnhaft ist. Sie weiß um die Interessensgegensätze, die der bürgerliche Staat verwaltet und deren Bestandteil er ist. Und sie lässt den Bürgern die wohlfeile Freiheit, sich darunter was auch immer vorzustellen, denn die einzige Handlungsoption, die ihnen zusteht, ist ohnehin die Wahl der SPÖ. Was aus den eingebildeten Rechtsansprüchen wird, das entscheidet daher die Partei, die ihre Kompetenz hierin ja bereits dadurch unter Beweis gestellt habe, dass sie diese Missachtung von ihren Bürgern zustehenden Rechten festgestellt haben will. Mehr als ein paar symbolische Akte zur Berücksichtigung eines angeblich vernachlässigten Rechtsguts wird hier aber sicher nicht herausschauen – das könnte den Bürgern schon daran auffallen, dass diese angeblichen „Missstände“ genau vor Nationalratswahlen zum Thema werden. Das Einzige, was normalen Bürgern nämlich tatsächlich zusteht, ist ein lebenslanger Dienst als in Anspruch genommene oder in Reserve gehaltene, teilweise auch als für unbrauchbar erklärte und abgeschriebene Arbeitskraft. Dafür, dass sie sich dieses Recht abholen, wird die SPÖ schon sorgen, aber nicht nur sie, sondern auch alle anderen Parteien, die sich zur Ausübung der Staatsgewalt bewerben.

Sturm im Wasserglas

Die Medien und die Demokratie am Beispiel des Konflikts um Martin Wolf und Erwin Pröll

Wien, 15. 5. 2017

Zum Ende seiner Herrschaft als Landeshauptmann von Niederösterreich erhielt Erwin Pröll die höchsten journalistischen Weihen, die einem derart bedeutungsvollen Ereignis angemessen sind: Er wurde von Armin Wolf zur peinlichen Befragung gebeten, also zum Interview in die ZIB 2 eingeladen. Wie üblich machte sich Herr Wolf ans Werk, die Kammerdienerperspektive der Moral[1] einzunehmen und bei des „Landesvaters“ Machenschaften nach persönlichen Vorteilen zu fahnden, die hinter diesen steckten. Diese Demaskierung bzw. Entlarvung des Amtsträgers als eines Subjekts, das dieses zum persönlichen Vorteil missbraucht, ist schließlich das Opium der Demokratie, wodurch deren Bürger ihren Frieden mit der schlechten Wirklichkeit machen (sollen). Die trotz aller Wertschätzung unschöne demokratische Realität soll den Verfehlungen der Amtsträger angelastet werden, um das Amt selbst davon freizusprechen. Bei diesem Unterfangen wurde natürlich auch Herr Wolf fündig, nachdem Pröll es ihm dabei auch sehr leicht macht: Dieser hat zu seinem 60. Geburtstag erhaltene Geldgeschenke in eine Privatstiftung eingebracht, für die er seither insgesamt noch 1,35 Millionen Euro an Steuergeldern erhalten hat. Anscheinend ist er der Auffassung, dass Geld nirgendwo bessere Verwendung finden kann als in einer Privatstiftung mit seinem Namen – niemand ist schließlich so kompetent in Sachen sozialer Betreuung von Bedürftigen wie Herr Pröll und seine Getreuen. Bloß Herrn Wolf und einigen anderen sich kritisch wähnenden Journalisten ist nicht ganz klar, inwiefern diese Privatstiftung von öffentlichem Interesse sei und nicht vielmehr persönlichen oder parteipolitischen Motiven des niederösterreichischen Landeshauptmanns diene. Vor allem fragt er sich, weswegen das Land Niederösterreich dieses Geld der Privatstiftung Prölls zuführt, anstatt es direkt für soziale Anliegen zu verwenden. Herr Wolf stellt also in Frage, dass dieses Geld in der Privatstiftung Prölls am besten aufgehoben ist, und würde daher gerne wissen, wie denn dieses Geld dort zum Einsatz kommen werde. So stellt man sich eben kritischen Journalismus vor und dies preist man gerne als Gütesiegel der demokratischen Herrschaft, dass in ihr die Obrigkeit nicht über kritische Fragen erhaben ist, sondern sich vor der „vierten Gewalt“, der kritischen Öffentlichkeit der Medien, rechtfertigen muss.

Ganz anders steht dazu Herr Pröll, der solch unbotmäßiges Verhalten vielleicht gegenüber Diktatoren – zumal früher gegenüber jenen des realen Sozialismus – für angebracht hält, aber doch nie und nimmer für verdiente Landesväter mit einer lupenreinen jahrzehntelangen demokratischen Legitimation. Bei solch ausgewiesen qualifizierten Herrschaftsfiguren wie der seinen könne man schon darauf vertrauen, dass alles in bester Ordnung ist, und darauf verzichten, böswillige Unterstellungen zu machen und kleinliche Fragen zu stellen, wie dies Herr Wolf zu seiner Berufung gemacht hat. Und da stehen sich nun verschiedene Auffassungen von der Würde eines demokratischen Staatsmanns unversöhnlich gegenüber und werden in einem Interview aufeinander losgelassen, das natürlich den Eklat als Opium der Demokratie liefert, auf das sich deren glühende Verehrer triumphierend stürzen, um sich als deren echte Repräsentanten zu inszenieren. Völlig egal, welche politischen Maßnahmen oder Machenschaften hier zur Debatte stehen, interessiert an diesen nur, ob sie auch vorschrifts-, also pflichtgemäß durchgeführt werden oder ob sich jemand dabei etwas für seine persönlichen Interessen herausnimmt. Da lässt es sich dann trefflich streiten, ob man hier so kleinlich sein darf, wie dies gegenüber politischen Gegnern gern gesehen und gefordert wird, oder ob die Würde des Amtes nicht von vornherein nichts als Bewunderung für jene erlaubt, die mit dessen Würde ja auch so eine unglaubliche Last und Verantwortung zu tragen hätten. Während Herr Wolf peinlich auf die Würde des Amtes achtet und sie vor der Beschmutzung durch unredliche und verantwortungslose Politiker bewahren will, meint Herr Pröll, dass gerade die Würde dieses Amtes solche Anfeindungen seiner Inhaber verbiete. Das ist der ganze banale Inhalt des Streits um die Stiftung des Herrn Pröll, dem die Unantastbarkeit der demokratischen Einrichtungen nicht einmal das Opfer wert ist, als jemand dazustehen, der den hohen Anforderungen an demokratische Führungspersonen nicht auch auf jedem Nebenschauplatz gerecht werden kann. Während Armin Wolf bei jeder Gelegenheit nach Verfehlungen gegen die hohen Anforderungen demokratischer Führungskunst Ausschau hält und mit deren Entdeckung gerade das Amt zu ehren meint, stehen die Politiker auf dem Standpunkt, dass gerade diese hohen Anforderungen eine etwas großzügigere Beurteilung ihres politischen Handelns verlangen – eine Auslegung, die ihren Bürgern zuzugestehen sie umgekehrt natürlich nicht bereit sind, weil damit ihre Führung in Frage gestellt wäre. Und solche „zersetzenden“ Infragestellungen verbietet sich die hohe Politik auch von ihrer Presse, obwohl diese gerade dadurch dafür zu sorgen gedenkt, dass die Notwendigkeiten demokratischer Führung nicht einer „zersetzenden“ Tätigkeit unwürdiger Personen ausgeliefert werden.

Das scheinen die feindlichen Brüder des Journalismus insofern genauso zu sehen, als sie an politischen Maßnahmen nur noch interessiert, ob diese auch frei von persönlichen Vorteilsrechnungen ihrer Urheber sind. Trifft dies zu, so sind diese Maßnahmen anscheinend allein dadurch mit einem Gütesiegel versehen und über jede Kritik erhaben. Da könnte man es wohl als Politiker auch einmal verschmerzen, wenn man den Adel des politischen Amtes und damit auch seiner selbst durch demonstrative Reue und Buße wiederherstellen müsste. Diese Funktion der Beichte sollte doch einem christlichen Politiker wie Herrn Pröll vertraut sein – aber wenn da kein Pfaffe, sondern ein selbsternannter Sühne-Experte wie Herr Wolf mit solchen Angeboten aufwartet, scheint er sich genötigt zu fühlen, die Herabwürdigungen seiner Person als Angriff auf das Amt zurückzuweisen. Daher weigert sich Herr Pröll, das Bedürfnis nach einem demonstrativ reumütigen Sünder zu bedienen, das Herr Wolf mit seinen Verhören befriedigt sehen will, um der demokratischen Herrschaft den guten Ruf zu verschaffen, den er durch Prölls Machenschaften gefährdet sieht.

[1] Vgl. zu diesem Begriff mein Buch „Ewig lockt die Bestie. Eine Kritik der Moralphilosophie“, Wien 2015, S. 96 f.

Feindbild Arbeitsinspektorat

Wien, 16. 3. 2017

Seit einigen Wochen geht bereits der Konflikt zwischen der Inhaberin eines Kosmetiksalons und dem Arbeitsinspektorat durch die Medien. Vom Arbeitsinspektorat wurden Fenster für jene Räume gefordert, in denen intime Körperbehaarung durch sogenanntes „Waxing“ entfernt wird. Dies ist allein zur Lüftung der durch dieses Verfahren von Hitze betroffenen Räume erforderlich. Dass diese Fenster im ersten Stock des Salons anzubringen sind, verschweigt die inzwischen als „Waxing-Lady“ zu zweifelhafter Berühmtheit gekommene Firmeninhaberin. Sie tut im Gegenteil so, als wäre damit eine Intimenthaarung zu ebener Erde im Schaufenster verlangt worden, wodurch öffentliche Einblicke in einem Zustand gewährt würden, in dem man diese tunlichst vermeidet. Ein entsprechendes Foto postet sie samt verärgerten Bemerkungen über Schikanen des Arbeitsinspektorats auf Facebook.

Es hat auch einen besonderen Grund, dass diese Dame vom Arbeitsinspektorat heimgesucht wird. So erfährt man von der Arbeiterkammer Folgendes: „Die Firma gibt es seit 2013, und seit damals zählen die Beschäftigten der Firma zu unseren Dauerkunden in der Beratung. (…) Würden alle Arbeitgeber so mit ihren Beschäftigten umgehen, würde die Schlange der Beratungssuchenden bei uns von der Prinz-Eugen-Straße bis zum Schwarzenbergplatz reichen – und zwar täglich.“[1] Es mag also durchaus sein, dass einer kleinlichen Chefin mit einem ebenso kleinlichen Arbeitsinspektorat beizukommen gesucht wird, der Vorwurf des Schikanierens wird in der Öffentlichkeit allerdings nur gegen Letzteres erhoben.

Wo es um ein derart „himmelschreiendes Unrecht“ geht, kann natürlich das berüchtigtste Großmaul des österreichischen Journalismus nicht lange stillhalten, und so musste Wolfgang Fellner in seiner Haus- und Hofpostille „Österreich“ natürlich nachlegen. Ist er es gewohnt, in seinem Unternehmen wie Gott zu schalten und zu walten, so blutet ihm das Herz vor Solidarität mit jenen, deren Menschenrecht auf freie Schikane gegen das Personal – pardon: auf freie Entfaltung hier mit Füßen getreten wird. Er spricht daher mit dem ihm eigenen klassenbewussten Instinkt von „stalinistischen Arbeitsinspektoren“ und fordert von Kanzler Kern „ein Machtwort gegen seine ÖGB-Stalinisten“.[2] Es ist wahrlich bemerkenswerten, wie sich hier jemand in die Opferrolle begibt und bei der Obrigkeit um Beistand jammert, der sich sonst für seine Initiative und Durchsetzungsfähigkeit rühmt, mit der er sich über alle Widerstände hinwegsetzt. Sollte man den Widerstand gegen unternehmerische Freiheit gemäß dieser Logik auch beim Drogenhandel beklagen? Sind die Polizisten, die gegen diesen vorgehen, nun ebensolche Stalinisten, welche die unternehmerische Freiheit beschränken? Herr Fellner geriert sich in seinem Rundumschlag gegen die Gewerkschaften, die „das Land ruinieren“ würden, genauso wie Trump, dem er bei dessen Wahrnehmung von Schädlingen der Nation gerne Rechtspopulismus vorwirft.

Man möchte ja beinahe fragen, ob Fellner für den Stalinismus Partei ergreifen will, wenn er erklärt, dass ein unternehmerischer Erfolg wie in Silicon Valley nur mit entsprechen Rücksichtslosigkeiten gegen die Belegschaft errungen werden kann. Dabei stimmt es in diesem Fall nicht einmal, denn den Mitarbeitern in Silicon Valley kann man nicht so schäbige Arbeitsbedingungen und Löhne bieten wie jenen eines Schönheitssalons in Wien, sind diese aufgrund ihrer speziellen Fähigkeiten doch nicht so einfach zu ersetzen oder so alternativlos an ihren Job gebunden.

Auch ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner hat reflexartig seinen Beschützerinstinkt für die geknechtete unternehmerische Freiheit bereit und ohne genauere Untersuchung des Falles für die Zicke … äh … Businesslady Partei ergriffen. Dafür musste er sich aber gehörig vom Arbeitsinspektorat rügen lassen, das die Wichtigkeit seiner Maßnahmen ausgerechnet damit beweisen will, wie sehr diese versagen. So klärte der Gewerkschaftsvorsitzende Roman Hebenstreit auf: „Das Arbeitsinspektorat leistet wertvollste Arbeit und hat es sich nicht verdient, für ein paar Likes derart verhöhnt zu werden. Alleine im Jahr 2015 hat es über 156.000 Arbeitsunfälle gegeben, davon waren 73 tödlich und das finden wir nicht lustig.“[3] Lustig ist das allerdings nicht, sondern höchst befremdlich, wie man dieses Resultat als Beweis für die Leistungsfähigkeit des Arbeitsinspektorats betrachten kann. Natürlich meint Hebenstreit, dass sich daraus ergebe, wie notwendig Maßnahmen des Arbeitsinspektorats wären, um die Anzahl der Arbeitsunfälle zu verringern. Man könnte aber auch auf die Idee kommen zu fragen, wie Arbeitsschutz und der herrschende Zweck der Produktion miteinander vereinbar sind. Die Beachtung von Schutzmaßnahmen wirkt sich schließlich auf die Zeit aus, in der eine Arbeit bewältigt wird, sodass hiervon eine Kostenbelastung allein dadurch ausgeht, dass eine bestimmte Arbeitszeit sich auf geringere Stückzahlen eines Gutes verteilt. In der Regel werden daher Schutzmaßnahmen wegen ihres Aufwandes ignoriert und diese Praktik führt dazu, dass bestimmte Schädigungen der Arbeitskräfte als Gewissheit gelten und deswegen „Berufskrankheiten“ heißen.

Ein bekanntes Beispiel der Nutzung jeder Pore der Arbeitszeit zur Verausgabung von Arbeitskraft sind die Billiglohnstandorte der Textilindustrie. Dort vermeiden Arbeiterinnen das Trinken so gut wie möglich, um nicht auf die Toilette zu müssen, weil dadurch die Gefahr besteht, dass die geforderte Stückzahl an gefertigten Textilien nicht erreicht wird. Sie nehmen umgekehrt lieber die Gefahr der Dehydrierung in Kauf. Maßnahmen, die der Kontrolle und Einschränkung von Pausen auf der Toilette dienen, sollen ja auch bei Apple in Irland in Kraft sein. Vielleicht will uns Herr Fellner vorschlagen, auch solchen Praktiken jenseits „stalinistischer Bevormundung“ nachzueifern, um als Standort für solche Firmen wieder attraktiv zu werden.

[1] derstandard.at/2000054161078/Waxing-Affaere-Arbeitsinspektorat-erhebt-Strafanzeige, aufgerufen am 16. 3. 2017

[2] http://www.oe24.at/oesterreich/politik/wolfgangfellner/OeGB-macht-unser-Land-kaputt/272963112, aufgerufen am 16. 3. 2017

[3] http://www.oe24.at/oesterreich/politik/Waxing-Fall-Heftige-Kritik-an-Mitterlehner/272910472, aufgerufen am 16. 3. 2017

Die Hysterie um Donald Trump

Wien, 6. 3. 2017

Neulich war im ORF Tex Rubinowitz, ein Parade-Bobo, zu Gast und kokettierte damit, das „böse Wort Trump“ vielleicht in den Mund zu nehmen, denn mittlerweile müsse man feststellen, dass tatsächlich geschehe, was man nicht für möglich gehalten habe. Damit macht er sich zwar auch über seine Szenegenossen lustig – ein Bobo will sich schließlich auf keine Position festnageln lassen, sondern sein „vagabundierendes Denken“ zur Schau stellen –, zugleich hält er aber daran fest, dass die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten problematisch sei, wenn auch vielleicht nicht ein Sinnbild des Bösen. Kriege in Libyen, Syrien oder Mali, die Gräueltaten des IS – das ist anscheinend eine Normalität in der imperialistischen Gesellschaft, ein Trump dagegen so etwas wie die leibhafte Existenz Satans.

Womit hat sich Trump diesen schlechten Ruf verdient? Er will Amerika „great again“ machen und daher dafür sorgen, dass in allen Beziehungen, welche die USA mit dem Ausland unterhalten, deren Nutzen für die USA sichergestellt ist, dass „America first“ zur Geltung kommt. Das unterscheidet sich inhaltlich keineswegs von seinem Vorgänger Obama, der auch kein Geheimnis daraus machte, dass die USA die geborenen Sieger in der Staatenkonkurrenz sind. In diesem Sinne wusste Obama Folgendes mitzuteilen: „Our workers are the most productive on Earth, and if the playing field is level, I promise you – America will always win.“[1] Der Unterschied zwischen Obama und Trump besteht hier nur darin, dass Trump dies auf marktschreierische Art hinausposaunt. Er prahlt damit, dafür zu sorgen, dass die USA die ihnen gebührenden Erfolge feiern und nicht durch „unfaire“ Handelspraktiken ihrer Konkurrenten geschädigt werden. Solche Praktiken werden vor allem China unterstellt, dem z. B. vorgeworfen wird, durch Subventionen seinen Stahl zu billig zu verkaufen.

Weil die USA für Trump an erster Stelle stehen, ist er überall dort zu keinerlei Kompromissen bereit, wo auch nur irgendein Schaden für die USA möglich wäre. Daher will er auch die Einreise von Bürgern aus zumindest solchen islamischen Staaten untersagen, deren Verhältnis zu den USA nicht über jeden Verdacht erhaben ist. Wenn dabei Menschen aus solchen Staaten Unannehmlichkeiten bereitet werden, so nimmt Trump dies gerne in Kauf, Hauptsache ist ja, dass sich die USA Nachteile ersparen. Der argwöhnische Blick auf mögliche Benachteiligungen der USA kann durchaus wahnhafte Züge annehmen und in jedem Verhältnis der USA zum Ausland Nachteile wittern, das nicht dem Diktat der USA unterliegt, sondern erst ausverhandelt werden muss. Nachdem die Bürger den Nutzen für ihre nationale Obrigkeit als Bedingung ihres eigenen Fortkommens betrachten, hat dies vor allem dort Trump den Sieg eingebracht, wo sich die US-Bürger als Verlierer der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre betrachten. Wer so kompromisslos für den nationalen Nutzen eintritt, für den kommen mit den USA auch die US-Bürger zuerst – dieser Gedanke hat die Entscheidung zugunsten von Trump hervorgebracht. Das ist nur konsequent, wenn man dafür ist, dass das Leben vom Erfolg in der wirtschaftlichen Konkurrenz der Nationen abhängt. Indem er dies deutlich ausspricht und nicht wie Obama in beschwichtigende oder beschönigende Phrasen einbettet, verleiht Trump dem Kapitalismus jenes hässliche Gesicht, das ihm nun einmal entspricht. Dafür wird er von den Linken angefeindet, die sich einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz wünschen und sich dadurch in den Heucheleien ihrer politischen Korrektheit verstricken.

Die imperialistischen Gegensätze werden in Zeiten der Krise größer, in welchen nicht um unterschiedliche Anteile am weltweiten Kapitalwachstum gestritten wird, sondern dieses Wachstum nur auf Kosten der anderen Nationen stattfinden kann. Während die Staaten bisher in ihren Beziehungen auf ihren Erfolg spekulierten, dieser jedoch keineswegs gewiss war, suchen sie nun ihre Verhältnisse so zu gestalten, dass ihr Erfolg darin sichergestellt ist, und das auf Kosten der anderen Staaten. Deswegen wird auch unendlich lange um Freihandelsabkommen wie TTIP gestritten und ist in diesem Streit auch kein Ende abzusehen. Entsprechend dieser verstärkten Konkurrenz und den daraus resultierenden Konflikten werden auch die politischen Umgangsformen ein wenig rauer, das lässt sich ja nicht nur an Trump und den Verhältnissen in den USA beobachten. In Europa sieht sich die politische Elite daher durch den „Rechtspopulismus“ und durch „Rechtsdemagogen“ herausgefordert, angesichts deren der österreichische Bundeskanzler Christian Kern am Aschermittwoch 2017 im bayrischen Vilshofen wieder einmal die soziale Frage als Berufungstitel entdeckte, indem er erklärte: „Wer Rechtsdemagogen wählt, bekommt rechtsdemagogische Politik: für die Reichen Sekt und Kaviar, für den Rest gibt’s eine Mauer.“ Darauf muss man schon hinweisen, denn bisher hat noch niemand feststellen können, dass die Sozialdemokratie sich hierin durch anderes als Worte unterscheiden würde. Während sich die Sozialdemokratie so zumindest in ihren Sonntagsreden zum Anwalt der weltweiten Armut macht, macht FPÖ-Obmann H. C. Strache zur selben Zeit im bayrischen Osterhofen deutlich, dass es auf österreichischem Boden genug Armut gibt und hier kein ausländischer Beitrag mehr erwünscht ist. Und wer wollte ihm auch widersprechen, wenn er von einer Realitätsverweigerung der Gutmenschen spricht – die ja nur deswegen so heißen, weil sie gut dastehen wollen –, denn diese, so Strache, „… sind natürlich lustig, wenn sie beim veganen Sojaschnitzel und beim Biosekt auf ihrer Dachterassenwohnung sitzen (und nicht mit Migranten um Sozialwohnungen Schlange stehen – Anm.) … oder beim Nobel-Türken, wenn man einmal essen geht und wieder nach Hause kommt, in die Villa, und die Probleme nicht mitbekommt“. Es ist eben die kapitalistische Realität, die für eine höchst unterschiedliche Betroffenheit von Migration sorgt, die je nach Klassenlage als zusätzliche Konkurrenten oder als zusätzliches Arbeitskräfteangebot wahrgenommen werden. Ein besonderer Witz ist es hier, wenn Angela Merkel anderen EU-Staaten ihren Solidaritätsbeitrag bei der Aufnahme von Migranten diktieren will, um die Unkosten ihrer imperialistischen Politik, die diese Migrantenströme hervorbringt, nicht allein tragen zu müssen. So viel ist jedenfalls klar: Mit weiteren Migranten wird gerechnet, schließlich sind sie ein Resultat der Weltordnungsmaßnahmen im Nahen Osten, die sich besonders deutlich im Krieg in Syrien zeigen. In diesem Sinne stellt auch Freerk Huisken fest:

„Die erste internationale Flüchtlingskonferenz wird nicht lange auf sich warten lassen, auf der sich die Großmächte erneut einem unauflösbaren Widerspruch – und zwar als konkurrierende Mächte – widmen werden: Sie wollen eine ‚Flüchtlingskrise‘ in den Griff bekommen, die immer auf die eine oder andere Weise auch das Resultat ihrer von Armut, Krieg und Terror begleiteten Weltordnungspolitik ist, und zwar ohne von dieser lassen zu wollen. Wie auch, charakterisiert sie doch ihren Existenzzweck.“[2]

Dass Strache nun nicht für die Aufhebung solcher Klassenlagen eintritt, denen er die unterschiedliche Betroffenheit von Migration entnimmt, sollte ihm wirklich kein Sozialdemokrat vorwerfen, dem dies ja auch fernliegt. Wenn Strache hier ausspricht, dass er keine Ausländer auf österreichischem Territorium wünscht, die für die Zwecke dieser Nation nicht erforderlich sind, so sollte man das nicht ausschließlich ihm, sondern vielmehr diesen und den weltweit herrschenden nationalen Zwecken anlasten. Hat man diesen Zusammenhang einmal begriffen, so erkennt man auch die Kriege in Libyen und Syrien als Maßnahmen imperialistischer Weltordnung, deren Herrschaftsanspruch sich auch in den sogenannten Menschenrechten manifestiert. Die Rechten offenbaren also nur das hässliche Gesicht des Kapitalismus, und man tut sich schwer damit, gegen sie zu argumentieren, wenn man an der kapitalistischen Weltordnung festhalten will. Weil es an dieser Einsicht mangelt, sind Trump und die „Rechtspopulisten“ ein Skandal, denn ihre Vorstellungen haben eine Anziehungskraft für Ambitionen zur Wiedererstarkung ihrer Nationen, die aus der Unvereinbarkeit mit dem Nutzen der anderen kein Hehl machen, weil sie kaum noch zum gegenseitigen Vorteil stattfinden können. Trump und andere sogenannte Rechtspopulisten sind also Symptome verschärfter nationaler und kapitalistischer Interessensgegensätze, die Hysterie um ihre ungeschminkten, keinen diplomatischen Affront scheuenden Aussagen entspringt daher dem Wunsch nach Aufrechterhaltung der bisher hierin praktizierten Heuchelei.

[1] Barack Obama, zit. n. Die USA erneuern ihren globalen Führungsanspruch (II), in: Gegenstandpunkt 2-12, München 2012, S. 87 Übersetzung: „Unsere Arbeiter sind die produktivsten auf der Erde, und wenn das Spielfeld auf gleicher Ebene ist, verspreche ich Ihnen – Amerika wird immer gewinnen.“

[2] http://www.magazin-auswege.de/data/2015/09/Huisken_Gegenrede38_Wir_schaffen_das.pdf, aufgerufen am 8. 3. 2017

Die Nation – der Diener des Volks?

12. 1. 2017

Als ich 17 oder 18 Jahre alt war, hörte ich zu Beginn der 1980er-Jahre zum ersten Mal die Komposition „Deutschland muss sterben“ aus der Feder der deutschen Punkgruppe „Slime“. Darin heißt es: „Deutschland muss sterben, damit wir leben können.“ Dies ist eine Anspielung auf die Parole „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen“, die sich auf dem 1936 errichteten Hamburger Kriegerdenkmal am Dammtorbahnhof befindet.[1] Wenn die Existenz Deutschlands das Leben seiner Bürger fordert, so lautet der Schluss von Slime, dann sollte wohl besser Deutschland sterben, damit die Bürger leben können. Dies ist ein Einspruch gegen die Opfer, welche die nationale Obrigkeit von ihren Bürgern verlangt, um ihre nationalen Interessen durchzusetzen. In diesem Sinne heißt es ja auch in einem Text der „Proletenpassion“ der österreichischen Musiker der Formation „Die Schmetterlinge“, dass die Untertanen Gräber hatten, während die herrschenden Eliten die Siege der Nation feierten: „Wir hatten Gräber und ihr hattet Siege.“

Die Zwecke der Nation werden hier nicht näher untersucht, die zu diesen Opfern führen, sondern allein gegen den Anspruch einer Nation auf die Opferbereitschaft ihrer Bürger bzw. Untertanen wird Widerspruch erhoben. Man könnte diesen nationalen Anspruch zum Anlass nehmen, sich einmal Gedanken darüber zu machen, was eigentlich eine Nation ist und worin der nationale Zusammenhalt bestehen soll, der so wichtig sein soll, dass das Leben der einzelnen Menschen für diesen zu opfern ist. Es würde sich dann die Frage ergeben, ob Staaten gemäß ihrer Behauptung zum Schutz ihrer Bürger eingerichtet sind oder ob sie nicht vielmehr diese Bürger als Mittel zur Durchsetzung ihrer herrschaftlichen Ambitionen gebrauchen und für diesen Zweck rücksichtlos ihre Bürger zu opfern bereit sind. Bevor wir uns diesem Gedanken zuwenden, möchte ich aber noch auf eine Entwicklung eingehen, die aus dem Angriff auf die Herrschaft der deutschen Nation einen Angriff auf deutsche Bürger macht. Es handelt sich hierbei um Provokationen gegen Pegida, die Wirrköpfe aus dem Umfeld der Antifa vollbracht haben, für die das Sterben Deutschlands mit dem Sterben seiner Bürger identisch ist und die deswegen dafür werben, dass Bomber Harris sein im Zweiten Weltkrieg an Dresden vollzogenes Zerstörungswerk wiederholen möge. „Bomber Harris, do it again!“, hat daher eine Aktivistin der Antifa auf ihren nackten Oberkörper geschrieben.[2] Während bei Slime und den Schmetterlingen die nationale Herrschaft abgeschafft werden soll, damit die Menschen ihren Interessen gemäß leben können, wollen die Protagonisten der Antifa offensichtlich die deutschen Menschen sterben sehen – etwa als Strafe dafür, dass sie sich als Mittel für ihre nationale Obrigkeit bereitwillig hergeben? Welche Gedanken auch immer die Antifa dazu veranlassen, sie stellen damit auf jeden Fall genau jene Identität zwischen der nationalen Herrschaft und ihren Untertanen her, die von Slime und den Schmetterlingen gerade bestritten wird. Es ist auch genau der Gedanke dieser Identität, der dafür sorgt, dass die Opfer einzelner Menschen als Handlungen betrachtet werden, die in letzter Instanz in ihrem eigenen Interesse liegen würden, als würden sie selbst im Bestand der Nation weiterleben. Wer diesen Gedanken nun dadurch negiert, dass er die Deutschen ausgerottet sehen will, der ist außerstande, den durch herrschaftliche Gewalt gestifteten nationalen Zusammenschluss einzelner Menschen zu einem Staatsvolk zu kritisieren und braucht sich daher nicht zu wundern, wenn er damit nur auf Unverständnis stößt und Anfeindungen erfährt.

Während also Slime das Verhältnis von Nation und Volk aufheben oder umkehren will, damit die Bürger nicht mehr für die Nation sterben müssen, hält die Antifa an der vermeintlichen Identität von Nation und Volk fest und will die Bürger vernichtet sehen, weil diese in Gestalt von Pegida wieder ihr faschistisches deutsches Wesen entfalten würden. Die Aktivistin der Antifa will nicht für die Selbstbehauptung der deutschen Nation deutsche Bürger opfern, sondern durch die Vernichtung aller Deutschen die deutsche Nation zu Fall bringen. Nur dadurch – man nennt sich schließlich „Antifa“ – meinen diese Aktivisten den Faschismus endgültig vernichten zu können, den sie für ein Wesensmerkmal der Deutschen zu halten scheinen. Allerdings singen die Antifa-Aktivisten in diesem Zusammenhang auch gerne „Deutschland muss sterben“ und sorgen dadurch für die Verwirrung, die ich hier richtgestellt habe.

Kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt dieser Erscheinungen zurück, zu dem Spruch auf dem Kriegerdenkmal, wonach Deutschland unbedingt überleben soll, auch wenn dafür Deutsche sterben müssen. Logischerweise bezieht sich diese Aussage auf einen Konflikt zwischen Nationen und die Durchsetzung der Nation, deren Untertan man ist, stellt hier den höchsten Zweck dar. Dafür müsse ein Deutscher nicht nur das Leben der Feinde, die er im Krieg tötet, sondern auch sein eigenes Leben zu opfern bereit sein. Würde er diese Bereitschaft verweigern, so wäre er der Aggression der feindlichen Nationen hilflos ausgeliefert, hätte also nur die Wahl zwischen einem Dasein als Knecht oder dem Tod, während er beim Kampf für „seine“ Nation immerhin den Kampf zwischen „Freiheit“ und Tod hätte, obwohl es sich selbstverständlich hier nur um die Freiheit seiner nationalen Obrigkeit handelt, der er dann kaum anders unterworfen ist, als dies beim Sieg der feindlichen Obrigkeit der Fall wäre. Völlig zu Recht stellt daher Wolfgang Reinhard in seiner Geschichte des modernen Staates fest: „Machthaber gaben zwar vor, ihre Untertanen vor der Gewalt von Dritten zu schützen, aber dabei handelte es sich oft um Gewalt, die sie selbst durch ihre Rivalität untereinander erzeugt hatten. Denn die Grundlagen der Staaten wurden in Kriegen gelegt.“[3]

Der Schutz der Nation, für den die nationale Herrschaft ihre Bürger antreten lässt, besteht also in der Durchsetzung der Herrschaftsinteressen der nationalen Obrigkeit; diese Interessen sind es, die „geschützt“ werden. Deswegen beschränkt sich der „Schutz“ der nationalen Interessen auch nicht auf Verteidigungskriege, sondern ist weltweit gefordert, wie man auch an den weltweiten Militäraktionen der Weltordnungsmächte erkennen kann. Außerdem wäre es widersinnig, wenn nationale Armeen nur zu Verteidigungszwecken existieren würden, schließlich wären diese dann mangels Angreifern überflüssig. Es ist also die Rivalität der Nationen untereinander, für welche diese ihre Bürger rücksichtlos bluten lassen, „geschützt“ soll die Durchsetzung der Nation gegen ihre Feinde werden, nicht aber das Leben der Bürger, das es dafür im Gegenteil zu opfern gilt. Genau deswegen hat Slime den Schluss gezogen, dass lieber die Nation geopfert werden soll als die Menschen, die sie zur Durchsetzung ihrer Interessen als Kanonenfutter einsetzt. Allerdings ist dieses Opfer der Nation nicht auf Deutschland beschränkt, sondern richtet sich gegen alle Nationen, es handelt sich hier um eine Absage an die Aufteilung der Welt in einander bekämpfende, weil untereinander konkurrierende Nationen. Daher wäre auch nichts erreicht, wenn sich allein die deutsche Herrschaft auflösen würde, alle anderen Nationalgewalten jedoch fortbestünden und die deutschen Bürger nun eben für die Interessen einer anderen Obrigkeit zur Verfügung stehen müssten.

Umgekehrt ist es aber auch nicht sinnvoll, sich nun wieder für den Fortbestand der deutschen Nation einzusetzen, weil man ja sonst ohnehin nur vom Regen in die Traufe käme, indem man eine nationale Herrschaft gegen die andere austauschen würde. Nein, es ist eine Absage an den Gehorsam gegen jede nationale Herrschaft, die Slime eben am Beispiel von Deutschland gefordert hat, weil dies nun einmal die Herrschaft ist, der auch sie als Punk-Musiker unterworfen sind. Mit solchen Argumenten, dass es beim Sieg des Feindes ja noch schlimmer kommen würde und Deutschland der Hort des „Fortschritts“ sei, der sich gegen die „Reaktion“ seiner Kriegsgegner behaupten müsse, haben die Sozialdemokraten sich schließlich für das „Vaterland“ im Ersten Weltkrieg einspannen lassen. In diesem Sinne könnte man sich jede Nation als das kleinere Übel zurechtlegen, für dessen Durchsetzung sich die Abwehr des Feindes als des größeren Übels lohnen würde. Eine Beschäftigung mit den wirklichen Motiven der einander bekriegenden Nationen ist hierfür wenig geeignet, aber in ihrer Darstellung der ihren Krieg vermeintlich berechtigenden Zwecke wird hier leicht fündig, wer fündig werden will. Heutzutage muss man den Kriegsgegner nur als jemanden hinstellen, der die Menschenrechte missachten würde, schon hat ein Krieg jede Berechtigung und alle anderen Motive für die unversöhnliche Feindschaft werden als nebensächlich und untergeordnet hingestellt, wie man seit einigen Jahren am Krieg gegen Syrien beobachten kann. Bekanntlich will man in Wirklichkeit dort den Einfluss Russlands weiter zurückdrängen und den Iran um einen Bündnispartner bringen. Die Missachtung der Menschenrechte kann schon deswegen nicht das wirkliche Motiv für die Feindschaft der westlichen Weltordnungsmächte gegen Syrien sein, weil in dessen Nähe Saudi-Arabien sich ohne jede Not rücksichtlos gegen seine Untertanen verhält, dafür jedoch nicht angefeindet wird, da dieser Staat eine diesen Mächten genehme Politik betreibt.

Fazit:

Es ist ein Fehler zu glauben, der Staat wären „wir alle“ und „wir alle“ wären im Staat zum wechselseitigen Nutzen organisiert, dank einer Obrigkeit nämlich, die diese Organisation für uns durchführt, indem sie uns regiert. Es verhält sich vielmehr so, dass diese Obrigkeit ihr Volk für ihren Nutzen regiert, der im Wachstum des nationalen Reichtums besteht. Dieser erzeugt nämlich die Grundlage für die weltweite Geltung einer Nation, welche die ganze Welt für das Wachstum ihres Reichtums einspannen will, ohne umgekehrt die anderen Nationen im selben Ausmaß durch die Nutzung ihrer Reichtumsquellen zu fördern. Ist der Gegensatz einer Nation entsprechend hartnäckig und wird die Durchsetzung in einem Konflikt als fundmental notwendig für die Entfaltung einer Nation betrachtet, so stehen hier immer wieder auch Kriege an, wenn die Gegenwehr einer widerspenstigen Nation so eingeschätzt wird, dass die Opfer dafür als vertretbar erscheinen. Dafür halten sich die Staaten Berufsarmeen und greifen auch je nach Bedarf auf ihre Bürger zurück. Da die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft von jedem Reichtum ausgeschlossen sind, wenn sie sich nicht für eines der maßgeblichen Subjekte nützlich machen, also entweder für den Staat oder das Kapital, stehen auch immer genügend Leute zur Verfügung, für die es eine Einkommensquelle darstellt, der Nation in der Armee zu dienen.

Gegen den Fehler, die nationale Herrschaft als eine nützliche Einrichtung zu betrachten, für die sich auch das Opfer des eigenen Lebens lohnt, hat Slime in den 1980er-Jahren dazu aufgerufen, lieber die nationale Herrschaft als das eigene Leben zu opfern. Schließlich könnte man aus dem Anspruch der Nation auf das Opfer des eigenen Lebens ja auch auf die Idee kommen, dass zu ihrem eigenen Schaden eher die Bürger eine nützliche Einrichtung für die Nation sind als umgekehrt.

[1] Quelle: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Slime_(Band), zuletzt aufgerufen am 11. 1. 2017

[2] http://www.statusquo-news.de/antifa-will-wieder-500-000-menschen-brennen-sehen-bomber-harris-do-it-again/, zuletzt aufgerufen am 11. 1. 2017

[3] Wolfgang Reinhard: Geschichte des modernen Staates, München 2007, S. 9