2020

Houellebecqs Illusionen über Trump

Wien, 15. 9. 2020

Michel Houellebecq liebt es bekanntlich, die politischen Eliten ein wenig in ihren Komfortzonen zu erschrecken. Deswegen wartet er auch mit einem Lob von Donald Trump auf, das er auch dessen Amtsvorgänger Barack Obama zollt. Im Unterschied zur Führung der USA unter den beiden „Bushes“ habe bereits dieser von Militärinterventionen Abstand genommen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, freien Handel und Demokratie auf der ganzen Welt zu erzwingen. Trump habe diese von Obama begonnene Politik, wofür dieser zu Recht den Friedensnobelpreis erhalten habe, konsequent fortgesetzt. Endlich hätten die Amerikaner aufgehört, die ganze Welt mit ihrer Demokratie zwangszubeglücken: „The Americans have stopped trying to spread democracy to the four corners of the globe.“[1] Auch seien die Amerikaner nicht mehr bereit, für eine Pressefreiheit zu sterben, die ohnehin eine Lüge sei, da Houellebecq bereits ab einem Alter von zwölf Jahren zusehen musste, wie sich der Rahmen erlaubter Meinung ständig verringerte. Schließlich stellt er noch erfreut fest, dass die USA immer mehr auf Drohnen zurückgreifen, anstatt Kriege mit entsprechendem Aufwand von Soldaten zu bestreiten. Er beklagt hier nur ihre Unfähigkeit im Gebrauch dieser Drohnen, da sie sonst mehr Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung beim deren Einsatz vermeiden könnten.

Erfreut zeigt sich Houellebecq auch darüber, dass Trump auch in Handelsangelegenheiten „like a healthy breath of fresh air“ wirke. Im Unterschied zu den Jüngern des Liberalismus sei er nicht von den heilsamen Wirkungen des freien Welthandels überzeugt und habe daher keine Skrupel, je nach dem nationalen Interesse der USA für freien Handel einzutreten oder protektionistische Maßnahmen wie Schutzzölle zu nutzen. Und wenn ihm Handelsverträge cshlecht erschienen, zögere Trump auch nicht, diese zu kündigen und neue „deals“ auszuhandeln. Damit diene er tatsächlich den Arbeitern der USA, wofür diese ihn ja gewählt hätten.

So sieht sie also aus, die angebliche Erfolgsbilanz, die Trumps Führung nicht nur für die USA, sondern für die ganze Welt bedeuten würde. Es ist wirklich rührend zu sehen, wie Houellebecq geradezu entzückt darüber ist, dass mit Obama und vor allem mit Trump ein pragmatischer Imperialismus sein Haupt erhoben und den missionarischen Eifer von Bush Vater und Sohn auf den Misthaufen der Geschichte geworfen hat. Mit ihrem missionarisch beseelten Imperialismus dachten diese nämlich tatsächlich, durch die weltweite Herrschaft von Demokratie und Menschenrechten würden sie den nationalen Interessen der USA am besten dienen. Darüber hinaus wäre es das Beste, was dieser Welt passieren könne, wenn sie in einer stabilen, von den USA überwachten Ordnung aufgehoben wäre, die in der Herrschaft von Demokratie und Menschenrechten bestehe. Nachdem die USA jedoch mit diesem Programm auf Widerstand stießen und der militärische Aufwand zu seiner Durchsetzung in Afghanistan und im Irak angesichts ausbleibenden Erfolges nicht mehr sinnvoll erschien, kam mit Obamas Präsidentschaft ein nüchterner Imperialismus zum Zug. Die US-Truppen in den „befriedeten“ Staaten wurden reduziert, stattdessen wurden nur noch begrenzte militärische Aktionen durchgeführt, wenn dies für nationale Interessen der USA geboten schien, danach zogen sich die Streitkräfte der USA jedoch wieder zurück. Wenn militärische Aktionen wie etwa gegen den Iran für zu kostspielig befunden wurden, setzten die USA stattdessen auf wirtschaftliche Sanktionen zur Erzwingung von Wohlverhalten. In anderen Fällen dienten begrenzte militärische Aktionen der Aufrechterhaltung oder Einsetzung einer genehmen Herrschaft, die vielleicht noch mit ein paar militärischen Beratern unterstützt wurde, aber auf eine umfassende militärische Präsenz der USA zur dauerhaften Befriedung des Landes wurde nicht mehr gesetzt. Genau in diesem Sinne hat auch Frankreich 2012 in Mali agiert.

Der Grund für die Abkehr von der vermeintlichen Beglückung der ganzen Welt mit der Herrschaft von Demokratie und Menschenrechten besteht jedoch nicht darin, dass die USA das damit verbundene imperialistische Programm aufgegeben hätten. Houellebecq scheint genau dies aber zu glauben, wenn er sich freut, dass aufgrund dieser veränderten Strategie die „Americans are getting off our backs“ (die Amerikaner verziehen sich von unserem Rücken = lassen uns in Ruhe). Es ist dies eine naive Interpretation von Donald Trumps Maxime „America first“. Denn diese bedeutet ja nicht, dass sich die USA nur noch mit sich selbst beschäftigen und der Rest der Welt sie nicht weiter interessiert. Damit ist vielmehr gemeint, dass den USA völlig gleichgültig ist, wie der Rest der Welt mit der weltweiten Durchsetzung ihrer nationalen Interessen zurechtkommt. Die beiden Präsidenten Bush waren hier noch insofern von einer idealistischen Auffassung geprägt, als es ihrer Auffassung nach für die ganze Welt gar nichts Schöneres als die Herrschaft der USA geben könne. Die Herrschaft der USA galt ihnen als Herrschaft von Demokratie und Menschenrechten auf der ganzen Welt, denn so meinten sie den Zugriff des US-Kapitals auf die ganze Welt sicherstellen und mit dieser Freiheit des Kapitalverkehrs zugleich überall „blühende Landschaften“ fördern zu können. Für Trump zählt hingegen nur die Durchsetzung der USA mit allen zu Gebote stehenden Mitteln bei möglichst geringen Opfern und Kosten.

Während also bis Obama die USA ihre Herrschaft als einen Dienst betrachteten, den sie der Welt erweisen, weil sie diese schließlich mit Freiheit beglücken würden, hat bereits Obama mit dieser Strategie gebrochen und Trump inzwischen auch den damit verbundenen heuchlerischen Selbstbetrug verabschiedet, indem er die Parole „America first“ ausgab. Für Houellebecq stellt sich dies offensichtlich so dar, dass Trump damit nicht nur einer bestimmten Ideologie imperialistischer Herrschaft, sondern dieser Herrschaft selbst abschwört. Herrschaft scheint für Houellebecq nämlich ohnehin ideologisch begründet zu sein, und in Trumps Verzicht auf ideologische Rechtfertigungen entdeckt er daher die Aufhebung von Herrschaft. Aus demselben Grund frohlockt er auch über Trumps Pragmatismus in wirtschaftlichen Angelegenheiten, da dieser auch hier völlig undogmatisch je nach nationalem Bedarf für Freihandel oder Schutzzölle eintrete. Im Gegensatz zu den Predigern des freien Marktes, die auf ihre Art genauso fanatisch wie Kommunisten seien, offenbare Trump damit seinen bodenständigen Pragmatismus. Dank seines Antiintellektualismus gilt Trump demnach als immun gegen die Herausbildung von Ideologien, die für Houellebecq ohnehin nur dem Despotismus der Vernunft entspringen. Hier folgt er ganz dem von André Glucksmann artikulierten Ressentiment gegen die Meisterdenker, deren Anmaßungen ja die menschliche Gesellschaft in einen „totalitären“ Überwachungsstaat voller Umerziehungslager zwängen würden.

Auch in seinem wirtschaftspolitischen Pragmatismus unterscheidet sich Trump jedoch nicht von seinen Vorgängern, sondern reagiert auf die geänderten imperialistischen Kräfteverhältnisse. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfügten die USA über ein konkurrenzlos produktives Kapital und drängten daher auf weltweiten Freihandel. Aus diesem Grund hatten sie auch überhaupt nichts gegen nationale Befreiungsbewegungen, solange diese keine kommunistischen Ambitionen zeigten. Die Aufhebung der exklusiven Benutzung von Kolonien durch ihre Mutterländer sorgte nämlich dafür, dass die ehemaligen Kolonien der ganzen Welt zur Verfügung standen, nach dem Zweiten Weltkrieg daher auch und vor allem dem US-Kapital. Inzwischen sind den USA allerdings imperialistische Konkurrenten erwachsen, weswegen es zu vermehrten Handelskonflikten kommt, im Zuge deren Trump auch zu ehemals verpönten protektionistischen Maßnahmen wie Schutzzöllen greift. Nicht mehr als die Zuspitzung imperialistischer Konflikte steckt also hinter Trumps pragmatischen Strategien. Houellebecq jedoch ist der Auffassung, dass Trump mit seinen protektionistischen Maßnahmen tatsächlich dem Wohlergehen amerikanischer Arbeiter dienen wolle und damit das vollbringe, wofür diese ihn gewählt hätten: „President Trump was elected to safeguard the interests of American workers; he’s safeguarding the interests of American workers.“[2] Im Kapitalismus gibt es schließlich für Arbeiter nichts Besseres als einen Arbeitsplatz, ganz egal, welchen Nutzen oder Schaden er oder sie davon haben mag. Wenn Trump also wegen „unfairer“, weil niedrigerer Preise der ausländischen Konkurrenz Schutzzölle einführt, so verschafft er damit vielleicht den Arbeitern einer bestimmen Branche mehr Verdienstmöglichkeiten, erhöht aber auch möglicherweise das Niveau der Preise für Waren, mit deren Kauf diese ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Auch Waren, die in die Produktion anderer US-Unternehmen eingehen, können dadurch verteuert werden und deren Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen.[3]

Mit solchen scheinbaren „Spitzfindigkeiten“ halten sich Houellebecq und Trump jedoch nicht auf, schließlich hätte dies zur Voraussetzung, sich genauer mit dem kapitalistischen System zu beschäftigen. Für so viel intellektuelle Anstrengung ist aber kein Raum, wenn man ein Pragmatiker wie Trump ist oder ein Konservativer wie Houellebecq, der einen nationalbewussten Kapitalismus offensichtlich für das Gegenteil von Imperialismus hält, weil er Letzteren als Herrschaft einer despotischen Vernunft aufzufassen scheint. Daher verwechselt Houellebecq Trumps Abwendung von einem mit missionarischem Eifer beseelten zugunsten eines pragmatischen Imperialismus mit dessen Aufhebung. Weil Houellebecq keine Ahnung von Kapitalismus hat, muss er Ideologien und Illusionen über dessen Erscheinungsformen herausbilden.


[1] Michel Houellebecq: Donald Trump is a Good President, aus: Harper’s Magazine, https://harpers.org/archive/2019/01/donald-trump-is-a-good-president/; aufgerufen am 11. 9. 2020. Alle weiteren Zitate stammen aus dieser Quelle.

[2] Übersetzung: „Präsident Trump wurde gewählt, um die Interessen amerikanischer Arbeiter zu wahren; er wahrt nun die Interessen amerikanischer Arbeiter.“

[3] Solche Zusammenhänge stellt Karl Czasny dar und weist dabei zugleich nach, wie hilfreich für deren Erklärung die Erkenntnisse von Marx sind. Vgl. Karl Czasny: Kritik des Arbeitswerts. Zum zentralen Begriff der ökonomischen Theorie von Karl Marx, PapyRossa Verlag, Köln 2018.

Verschwörungstheorien

Wien, 12. 6. 2020

Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt; sonst wäre es eben kein ideologischer Prozeß. Er imaginiert sich also falsche respektive scheinbare Triebkräfte. (Friedrich Engels)

… der Scharfsinn des leeren Verstandes gefällt sich am meisten in dem hohlen Ersinnen von Möglichkeiten und recht vielen Möglichkeiten. (G. W. F. Hegel)

Der leider durch Suizid verstorbene Mark Fisher hat sich mit dem Phänomen auseinandergesetzt, dass sich die Menschen heutzutage eher den Untergang der Welt als jenen des Kapitalismus vorstellen können. Laut der Präsentation der deutschen Ausgabe seines Buches Capitalist Realism: Is There No Alternative untersucht er darin „die Wirkmächtigkeit, die dem Kapitalismus trotz seiner offensichtlichen Schwächen innewohnt“. Hierzu ist zweierlei zu bemerken: Erstens unterstellt die Rede von den Schwächen des Kapitalismus, dass dieser auch Stärken oder gute Seiten habe. Das mag ja für die Herrschaften von Staat und Kapital zutreffen, diese leiden aber auch nicht unter irgendwelchen „Schwächen“. Die Rede von Schwächen misst den Kapitalismus bereits an einem Ideal, anstatt sein Wesen zu begreifen. So kommt man sofort auf den Gedanken, dass nichts weiter notwendig sei, als die vermeintlichen Schwächen abzustellen, um nur noch die angeblichen Stärken des Kapitalismus zu genießen. Es müsste daher zweitens heißen, dass der Kapitalismus gerade wegen seiner „offensichtlichen Schwächen“ so wirkmächtig ist, genauer: wegen der Vorstellung, dass es sich hierbei nur um bestimmte Schwächen handle, denen doch beizukommen sei.

Wegen der offensichtlichen Schäden und dem Leid, das der Kapitalismus dem Großteil der Menschen bereitet, haben viele Menschen gewisse Einwände gegen diesen, in der Regel handelt es sich hierbei um moralische: Wenn nur die Reichen nicht so gierig und unersättlich wären, dann ginge es doch allen Menschen besser, lautet ein häufig anzutreffender Einwand dieser Art. Wenn nur irgendetwas nicht wäre, etwa die Unmoral, oder etwas wäre, etwa die Moral …: Das ist die grundlegende Struktur dieser Einwände gegen den Kapitalismus, wobei man hierfür nichts über den Kapitalismus wissen muss, ganz im Gegenteil, hierin offenbart sich blanke Ahnungslosigkeit. Sonst wüsste man, dass der Kapitalismus ohne diese „Schwächen“ nicht zu haben ist und dass die angeblichen Stärken auch nur dem Wunsch entsprechen, es mit der kapitalistischen Gesellschaft trotz aller „Schwächen“ nicht ganz so schlecht getroffen zu haben. Wenn man sich nur genügend anstrenge, werde man schon auf seine Kosten kommen, lautet das Dogma, an das sich die Menschen klammern, die im besten Fall nichts weiter als das Mittel kapitalistischer Bereicherung sind, im schlechteren Fall nicht einmal dafür gebraucht werden. In ihrer Existenz gefährdet sind sie in beiden Fällen mehr oder weniger.

Wer sich Ideale zurechtlegt, die endlich zur Geltung kommen müssten, damit der Kapitalismus seine „Schwächen“ überwindet, der fragt sich natürlich auch, warum das nicht passiert. Er kann sich gar nicht erklären, warum nichts zur Beseitigung dieser Schwächen unternommen wird, und daher kommt er auf sehr sonderbare Gedanken. So müssen sinistre Mächte existieren, die das Böse verkörpern und denen es Freude bereitet, über andere Menschen Macht auszuüben. Weil es ja nur am guten Willen der Menschen liege, die vermeintlichen Schwächen des Kapitalismus abzustellen, muss ein böser Wille am Werk sein, wenn dies unterbleibt. Den Ideen, welche Motive hier am Werk sein könnten, sind keine Grenzen gesetzt, der leere Verstand gefällt sich hier ganz im Sinne des oben angeführten Zitates von Hegel im Ersinnen unendlich vieler Möglichkeiten. Besonders zahlreich sind diese dann, wenn sich Umstände ergeben, welche die Gegensätzlichkeit der Bürger in ihrem Interesse an wechselseitiger Bereicherung zuspitzen.

Dies ist derzeit angesichts der Corona-Krise zu beobachten, die deutlich gemacht hat, wie die bloße Existenz vieler Bürger sofort gefährdet ist, wenn sie ihre Verdienstquellen nicht nutzen können. Im Kapitalismus kann man nämlich nicht einfach wie in einer vernünftigen Gesellschaft die Produktion auf das Notwendigste reduzieren, ohne die Existenz jener zu gefährden, die unter normalen Umständen an der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen, die über das Notwendige hinausgehen, verdienen. Dabei könnte man sich schon fragen, worin hier das Problem liegen sollte: Dann wird eben einige Zeit lang die Produktion verringert, um die Kontakte zwischen den Menschen zu reduzieren und dadurch der Ausbreitung des Corona-Virus Einhalt zu gebieten. Wenn es dennoch möglich ist, das Lebensnotwendige zu erzeugen, weshalb sollte dann das Überleben irgendeines Menschen gefährdet sein? Im Kapitalismus muss jedoch jeder Mensch Geld verdienen, daher wird nicht einfach produziert, was notwendig ist oder gewünscht wird, sondern dies hat Geld einzubringen. Güter und Dienstleistungen haben als Einkommensquelle zu dienen, daher bedeutet es für die Bürger die Beseitigung ihrer Existenzgrundlage, wenn ihnen diese Quelle genommen wird. Und genau das ist der Fall gewesen, als den Menschen, die nicht lebensnotwendige Güter erzeugen, die Ausübung ihrer Berufstätigkeit untersagt wurde.

Trotz der vom Staat als Entschädigung zugesagten Unterstützungsprogramme sind die an ihrer Berufsausübung gehinderten Bürger aufgebracht. Sie können sich diesen Angriff auf ihre bürgerliche Existenz nur so erklären, dass der Staat in Wirklichkeit ganz andere Zwecke verfolge und die Bedrohung durch das Corona-Virus nur ein Vorwand für deren Durchsetzung sei. Die absurdesten Begründungen dafür sind zu hören: Ein Herr behauptete auf einer Demonstration, dass Schweden kurz vor der „Herdenimmunität“ stehe und Herr Kurz das nicht erreichen wolle, da er daran Interesse habe, den Österreichern Impfungen zu verkaufen. Es wird also allen Ernstes behauptet, dass Österreichs Bundeskanzler die gesamte Profitproduktion massiv einschränke, um einem ganz bestimmten Geschäftszweig, nämlich der Pharma-Industrie, Profit zu verschaffen! Das müsste sich dieser Herr wohl so erklären, dass Herr Kurz von der Pharma-Industrie bestochen sei und um seines persönlichen Vorteils willen alle Bürger Österreichs schädigen würde. Herrn Kurz würde damit nichts Geringeres als Hochverrat vorgeworfen werden. Eine ganze Portion Dummheit wird man ihm damit auch unterstellen, denn er würde dadurch seine Führungsposition gefährden, also seine Einkommensquelle, die darin besteht, Österreich als Kapitalstandort zu hegen und zu pflegen. Hochverrat und dadurch bewirkte Selbstschädigung aufgrund kurzsichtiger Gier wären also die Vorwürfe, die man dieser absurden Anklage entnehmen kann.

Weil den Menschen die wahren Triebkräfte der bürgerlichen Gesellschaft unbekannt sind, stellen sie sich falsche oder scheinbare Triebkräfte vor, hat Engels gesagt. Genauer müsste es heißen: Weil sie die wahren Treibkräfte der bürgerlichen Gesellschaft für vernünftig halten. weil dadurch das „gesunde Erwerbsstreben“ der Bürger angesprochen werde, haben sie nur falsche Einwände gegen dessen unerwünschte Resultate, die sie sich dann etwa als Übertreibung des „gesunden Erwerbsstrebens“ in der Gier zurechtlegen. Was ihnen damit tatsächlich unbekannt ist, ist die Einsicht in die Unvermeidbarkeit der Schäden dieses Erwerbsstrebens, die ihnen daher bloß als dessen „Schwächen“ gelten. Und Schwächen müssten doch zu beseitigen sein, wenn nur „der Mensch“ nicht so eine „Bestie“ wäre, wie man ja an Bill Gates erkenne, der in seinem Herrschaftswahn nun den Menschen Mikrochips per Impfzwang injizieren wolle etc. pass. … und so ergehen sich die Bürger in allerlei leeren Möglichkeiten und drehen sich im Kreis ihres Verfolgungswahns bis ans Ende ihrer Tage, ohne auch nur irgendetwas vom Kapitalismus begreifen zu wollen.

Foucault will kein Hegelianer sein

Wien, 21. 5. 2020

Hegel sieht in der Geschichte der Menschheit eine List der Vernunft wirken, da zunächst scheinbar sinnloses Leid sich in der Rückschau als Beitrag zum Fortschritt der Vernunft erweisen würde. Damit hat er das Problem der Theodizee gelöst, das sich die Frage stellt, wie menschliches Leid mit dem Glauben an Gott vereinbar sei. In seiner Besprechung von André Glucksmanns Buch „Die Meisterdenker“ wehrt sich Foucault gegen diese Versöhnung mit Leidenserfahrungen im Sinne Hegels. Er will intolerant sein „gegen die theoretische Rechtfertigung und die ganze schleichende Beruhigungsarbeit, die der ‚wahre‘ Diskurs Tag für Tag leistet“. Seine Wut über das Leiden in der Welt, seine „Wut über die Tatsachen“ will er nicht mehr mit folgender Aufforderung abspeisen lassen: „Macht nichts, eine Tatsache für sich allein wird nie etwas sein; höre, lies, warte; das wird sich ferner, später, höher erklären.“[1] Um dies zu erreichen, habe man sich der Frage zu stellen: „wie nicht mehr Hegelianer sein?“[2] Massaker zu legitimieren und damit Hegelianer zu sein, sei nämlich die Kernkompetenz der Philosophie seiner Zeit. Eine solche Legitimation wirft Foucault den Marxisten vor, wenn sie den Stalinismus zu einer Verirrung und zu einem „Lesefehler“ erklären, dem durch die Befassung mit den Texten von Marx und Lenin beizukommen sei. Diesen hält Foucault mit Glucksmann entgegen, „daß der Stalinismus die Wahrheit, die ein ‚wenig enthäutete‘ Wahrheit eines politischen Diskurses war, der derjenige von Marx und anderer vor ihm vielleicht gewesen ist“.[3] Kurz: Der Stalinismus habe nur unverhüllt zum Vorschein gebracht, was bei Marx nicht in dieser Deutlichkeit zu finden, aber dennoch bereits vorhanden sei.

Glucksmann behauptet, es sei wichtig zu akzeptieren, dass die Schriften von Marx mit staatlicher Gewalt vereinbar seien und sich zumindest nichts darin finden ließe, was einen deutlichen Einspruch gegen solche Gewalt darstelle. Das mag vielleicht damit zu tun haben, dass sich für Marx ein Einspruch gegen solche Gewalt von selbst versteht und er sich daher gar nicht mit dem Gedanken befasst hat, dass der Sozialismus zu Säuberungsaktionen und Gulags führen könnte. Es ist meines Erachtens hier überhaupt keine Beziehung zwischen den Schriften von Marx und dem Stalinismus zu erkennen, weder eine positive noch eine negative. Auch wüsste ich nicht, weswegen eine Erklärung des Stalinismus zu einer Aussöhnung mit diesem führen müsste. Wenn die falschen Urteile kritisiert werden, womit der Stalinismus seine Gewalt legitimiert hat, ist er vielmehr nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch widerlegt.

Der Stalinismus lässt sich als Produkt einer bürgerlichen Geistesverfassung erklären. Mit seinen Umerziehungslagern scheint der Stalinismus der Behauptung Recht zu geben, dass die menschliche Natur nach Kapitalismus verlange. Der naturbelassene Mensch bedürfe demnach erst einer Erziehung, einer „Kultivierung“. Erst der tugendhafte Mensch, der nicht auf seinen Eigennutz achtet, wäre der neue Mensch, den es für eine sozialistische Gesellschaftsordnung brauche. Diese Wertschätzung der Tugend weist jedoch bemerkenswerte Übereinstimmungen mit bürgerlichen Moralvorstellungen auf. Auch in der bürgerlichen Gesellschaft ist es nämlich eine allgemein verbreitete Klage, dass es zumindest den anderen Menschen an Tugend mangle. Nicht die Gegensätze der Konkurrenz und nicht die Notwendigkeit, sich bei Strafe des Untergangs als Privateigentümer behaupten und durchsetzen zu müssen, werden für menschliches Leid verantwortlich gemacht, sondern ein Mangel an Tugendhaftigkeit. Die Pflege ihres Erfolgs als Privateigentümer würde schon zum allgemeinen Vorteil führen, wenn sich nur alle anständig an die Regeln hielten, lautet das Urteil. Es lässt sich daher fragen, ob die Säuberungsaktionen, für die der reale Sozialismus berüchtigt ist, nicht durch ebensolche Moralvorstellungen motiviert gewesen sind. Denn wie sonst käme man auf den Gedanken, dass man neuer Menschen bedürfe, wenn doch die Zwänge nicht mehr existieren, die dafür verantwortlich sind, dass der eigene Erfolg mit dem Misserfolg der Konkurrenten einhergeht? Wenn man jedoch der Auffassung ist, die Gegensätze der bürgerlichen Gesellschaft wären das Resultat mangelnden Anstands, dann liegt natürlich der Gedanke nahe, dass es vor allem auf die Durchsetzung dieses Anstandes ankäme, um diese Gegensätze abzustellen. Dann scheint die Säuberung geboten, die auf die Reinheit der Tugend achtet und zunächst auf die Gesinnung der Menschen abzielt, bei scheinbar „Unbelehrbaren“ aber auch deren Vernichtung anstrebt.

Mit dieser Kritik nicht nur der Gewalttaten, sondern der diese motivierenden Urteile ist auch keine Versöhnung verbunden, im Gegenteil, sowohl gegen diese Taten als auch gegen ihre Ursachen ist diese Erklärung unversöhnlich. Da für Foucault aber Erklärung und Versöhnung zusammenfallen, bleibt ihm nur die Demonstration seiner Wut über die Tatsachen, die durch keine Erklärung zu bezähmen ist, weil dies Verrat an den Opfern sei. Es kommt ihm daher darauf an, seine persönliche Betroffenheit und Unbestechlichkeit zur Schau zu stellen. Er macht sich nicht durch Erklärungen, die in Wirklichkeit Rechtfertigungen von Gewalt seien, die Hände schmutzig. Da gibt er doch viel lieber den antikommunistischen Ressentiments des Westens Recht, der zu dieser Zeit mit den Gulags des Stalinismus seine Leichenberge in Vietnam rechtfertigte.

Angesichts Foucaults Wut über die Tatsachen stellt sich auch die Frage: Hätte seine Wut nicht auch dazu führen können, für Säuberungen gegen die Urheber jener Tatsachen, die diese Wut veranlassten, einzutreten? Ist es nicht immer solche Wut, die zu Gewalt und Vernichtung führt?


[1] Michel Foucault: Die große Wut über die Tatsachen. Über „Les Maitres Penseurs“ von André Glucksmann, in: Ders: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978, S. 217

[2] Ebenda, S. 218

[3] Ebenda, S. 220

Unorganisiertes Leben – unwertes Leben?

Wien, 24. 3. 2020

In seiner Novelle „Unvermutete Bekanntschaft mit einem Handwerk“[1] schildert Stefan Zweig die Erlebnisse des Erzählers, der die unerwartete Gelegenheit erhält, einen Taschendieb bei der Ausübung seines „Handwerks“ zu beobachten. Möglich wird diese Beobachtung nur dadurch, dass der Erzähler ohne ein bestimmtes Ziel durch Paris schweift und sich ganz den Erscheinungen hingeben kann, die diese Stadt zu bieten hat. In den Worten des Erzählers: „Ich machte keinerlei Plan, ich gab mich frei, schaltete jeden Kontakt auf Wunsch und Ziel ab und stellte meinen Weg ganz auf die rollende Scheibe des Zufalls, das heißt, ich ließ mich treiben, wie mich die Straße trieb (…).“[2] Eine Haltung wie diese wird in unserer durchorganisierten Gesellschaft den Kindern immer mehr von vornherein ausgetrieben, immerzu müssen sie strebsam ihre Aufmerksamkeit auf die Erlangung bestimmter Fähigkeiten richten und können sich nicht ihrer Umgebung ganz interesselos und jenseits von Zweckgebundenheit hingegeben. So verlieren sie die Fähigkeit, sich zu entspannen und den Blick für Neues freizubekommen, für Dinge jenseits des von einem bestimmten Interesse eingeschränkten Gesichtskreises.

Ein „interesseloses Wohlgefallen“, wie Kant den ästhetischen Genuss genannt hat, ist in einer Gesellschaft verpönt, in der das ganze Dasein dem Interesse der Verwertung zu dienen hat. Es darf in der Schule keine Tätigkeit geben, die nicht in irgendeiner schulischen Leistung verwertbar wäre. Sich nur einmal dem unmittelbaren Dasein hinzugeben, ohne dass dies zumindest durch einen Erlebnisaufsatz im Deutschunterricht gerechtfertigt würde, darf einfach nicht sein. Anscheinend muss jeder seine Erlebnisse veräußern und den anderen Menschen zugänglich machen, sie für sich behalten zu wollen, erschiene als anstößig und als abweichendes Verhalten, das vielleicht sogar eines therapeutischen Eingriffs bedürfen würde. Die Sorge, dass die Schüler zu sehr in den Tag hineinleben könnten, hat vermutlich auch manche Lehrer dazu veranlasst, diese nun mit Arbeitsaufgaben einzudecken, die sich richtig einzuteilen bereits eine Herausforderung darstellt. Nachdem es wegen der Corona-Pandemie notwendig wurde, die Schüler zu Hause mit Arbeitsaufträgen zu versorgen, sind manche Lehrer diesem Gebot nämlich derartig engagiert nachgekommen, dass man sich wahrlich keine Sorgen um eine mögliche Unterbeschäftigung der Schüler machen muss.

Nun soll hier keineswegs dafür Partei ergriffen werden, nur in den Tag hineinzuleben, sich nur treiben zu lassen und das Leben nicht zweckmäßig einzurichten. Es kommt aber schon darauf an, welche Zwecke hier organisiert werden und wie das Verhältnis zwischen Arbeit und Muße ausfällt, das heutzutage unter dem Schlagwort Work-Life-Balance thematisiert wird. In dieser modernen Fassung ist das Verhältnis allerdings ganz klar so bestimmt, dass das Leben der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit dienen soll, während es sich in einer vernünftigen Gesellschaft genau umgekehrt so verhielte, dass die Arbeit dem Leben dienen würde. In einer kapitalistischen Gesellschaft dient die Arbeit aber der Kapitalverwertung, die an den Lebenskräften zehrt, sodass es gezielter Maßnahmen bedarf, um diese wiederherzustellen. Zu solchen Maßnahmen zählt mittlerweile die Eindämmung der dank neuer Kommunikationsformen gegebenen permanenten Verfügbarkeit. Das Kapital macht vom totalen Zugriff auf das Leben der Lohnabhängigen, den Internet und Mobiltelefone ermöglichen, rücksichtslosen Gebrauch und seinen Knechten damit das Leben auch in der „Freizeit“ schwer, die auf diese Weise zu verschwinden droht. Damit nähert sich das Kapital wieder der Erkenntnis von Karl Marx, laut welchem das Kapital die Frage nach der täglichen Arbeitszeit auf folgende Weise beantwortet: „Der Arbeitstag zählt täglich volle 24 Stunden nach Abzug der wenigen Ruhestunden, ohne welche die Arbeitskraft ihren erneuerten Dienst absolut versagt.“[3] Auch hier erweist sich die Schule als Ausbildung für das kapitalistisch bestimmte Leben, denn auch die Schüler werden zu Hause mit Material versorgt. Sie müssen das elektronische Klassenbuch überprüfen, um sich auf dem aktuellen Stand hinsichtlich ihrer Hausübungen zu halten. Da gibt es immer wieder unliebsame Überraschungen, wenn nach 18 Uhr plötzlich eine Hausübung vermerkt ist, die vorher nicht eingetragen war. Wenn man hier nicht immer wieder die Eintragungen kontrolliert, kann es schon einmal vorkommen, dass man so eine Aufgabe erst am Tag ihrer Fälligkeit bemerkt.

Nicht zufällig stellt sich Joseph von Eichendorff den Anforderungen bürgerlicher Konkurrenzfähigkeit entgegen, wenn er seine berühmte Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ nennt, denn schließlich ist deren Hauptperson eine einfältige Künstlerseele. Zwar verhält es sich keineswegs so, dass der „Taugenichts“ zu nichts taugt, schließlich versteht er es ja, seine Geige zu spielen. Ein Taugenichts ist er jedoch gemessen am Zweck des bürgerlichen Gelderwerbs und des entsprechenden Schaffensdrangs. Allerdings ist die Welt des „Taugenichts“, die Eichendorff schildert, von dessen kindlicher Einfalt geprägt, die niemandem etwas Böses will und auch von niemandem Böses fürchtet. Diese heile Welt wird auch durch nichts erschüttert, da glückliche Fügungen immer wieder dafür sorgen, dass der „Taugenichts“ nicht Not leiden muss, dass ihm durch fremde Menschen kein Leid geschieht, sondern diese ihm wohlgesinnt sind. In der bürgerlichen Gesellschaft mit ihren unversöhnlichen Gegensätzen und Konkurrenzkämpfen verhält es sich gerade umgekehrt, daher wirkt die Welt der Novelle Joseph von Eichendorffs als Märchen. Die Romantik insgesamt lässt sich in diesem Sinne als bürgerliche Erbauungsliteratur verstehen, in welcher die bürgerlichen Gegensätze versöhnt oder schicksalshaft überhöht, weil höheren Mächten geschuldet erscheinen.

Auch bei Goethe spielt der Konflikt zwischen Gelderwerb und brotloser Kunst eine Rolle, nämlich in seinem Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Dort versucht Wilhelm Meisters Schwager immer wieder, diesen von seiner Leidenschaft für das Theater abzubringen und für die Schönheiten des „natürlichen Erwerbsstrebens“ zu begeistern. Es handelt sich hier allerdings um einen Konflikt, den sich Wilhelm Meister nur als Angehöriger einer erfolgreichen Kaufmannsfamilie leisten kann, den meisten Bürgern ist eine solche Wahl nämlich nicht gegeben, sondern sie sind den Zwängen des Gelderwerbs unterworfen. Damit schließt sich der Kreis zu den Erfahrungen mit der Schule in der bürgerlichen Gesellschaft, der man wahrlich nicht vorwerfen kann, die Kinder nicht bei der Einübung bürgerlicher Verhaltensweisen zu unterstützen, worunter insbesondere der Gehorsam gegen die Obrigkeit fällt. Einwände gegen ein durch und durch auf kapitalistische Funktionalität angelegtes Leben sind eher selten anzutreffen, vielmehr wird dies im Utilitarismus zum genuin menschlichen Dasein verklärt. So bleibt es den Außenseitern der bürgerlichen Gesellschaft vorbehalten, ihr Unbehagen mit dieser Lebensführung zu formulieren, wie etwa Rolf Dieter Brinkmann schreibt: „(…) ich habe immer darunter gelitten, dass alles, was einer macht, über den Leisten der sofortigen Nützlichkeit gezogen werden muss – überhaupt: dass die erste Einstellung von Menschen, egal worauf sie treffen, immer vom Nützlichkeitsaspekt, der sofortigen Verwertung für Konkretes, aber nicht als Material zum Träumen und Weitergehen und Weiterentwickeln bestimmt ist – so sehen sie alles nur als Fressen an.“[4] Damit, so Brinkmann weiter, würden sich die Menschen nicht von Tieren unterschieden, die „ja unter der andauernden Anspannung der Nahrungsbeschaffung“ stehen. Auch hierin bereitet die bürgerliche Schule bestens auf das Dasein vor, das für die meisten Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft vorgesehen ist. Ein wacher Geist ist dort nur für die Wahrnehmung von Geschäftsgelegenheiten gefragt, die intellektuelle Tätigkeit ist darauf eingeschränkt, diese zu erkennen und zu ergreifen. Sich wie der Erzähler in Stefan Zweigs Novelle treiben zu lassen und Dinge zu beobachten, ohne dass diese Beobachtungen zu Geld gemacht werden können, gilt hier als Zeitvergeudung.


[1] Stefan Zweig: Unvermutete Bekanntschaft mit einem Handwerk, in: Die unsichtbare Sammlung – Novellen, in: Stefan Zweig: Gesammelte Werke, zusammengestellt von Jürgen Schulze, Kindle E-Book, Neuss 2013

[2] Ebenda, Positionen 84801 ff.

[3] Karl Marx: Das Kapital, in: Marx-Engels-Werke (MEW) Bd. 23, S. 280

[4] Rolf Dieter Brinkmann: Rom, Blicke, Hamburg 1979, S. 448 f.; an neue Rechtschreibung angepasst.

Bildungskatastrophen ohne Ende

25. 2. 2020

Der bekanntlich äußerst fähige und daher mehrere Funktionen wahrnehmende Präsident der österreichischen Wirtschaftskammer, Harald Mahrer, war am 23. 2. 2020 zu Gast in der Pressestunde des ORF. Ein offenkundiger Übermensch wie er lässt sich natürlich nicht hinters Licht führen, wenn die Gewerkschaft die Erschöpfung der Pflegekräfte zum Anlass nimmt, eine Beschränkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden zu fordern. Er weiß, dass das nur ein Vorwand ist, um eine Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche allgemein durchzusetzen. Hierzu gibt er bereitwillig Auskunft, dass dies im Kapitalismus unmöglich sei, weil man sich ja im globalen Wettbewerb befinde. Während man früher tunlichst vermieden hätte, mit dem Kapitalismus für dessen Zumutungen zu werben, ist Kritik am Kapitalismus mittlerweile so ausgestorben, dass man nur verständnislose Blicke erntet, wenn man darauf besteht, dass die Notwendigkeit dieser Zumutungen doch nur ein weiteres Argument gegen den Kapitalismus sei.

Das alles gehört jedoch noch zum hierzulande üblichen Auftreten sich kritisch wähnender Geister. Eine Besonderheit konnte Herr Mahrer in seiner Zurückweisung einer Arbeitszeitverkürzung dann jedoch auch noch präsentieren: Er wies darauf hin, dass das österreichische Kapital mehr als die Hälfte seiner Bereicherung im Export erlange, dies aber wegen „Qualität, Innovation und Kreativitätskraft“ und nicht „dadurch, dass wir so niedrige Lohnnebenkosten haben, so niedrige Energiepreise, so wenig Bürokratie“. Das ist insofern bemerkenswert, als dies ja eher dafür spräche, dass das Kapital eine Verringerung der Arbeitszeit verkraften könnte, weil diese ja seine Stärken nicht berühren, sondern sich nur in jenen Bereichen auswirken würde, denen es seinen Erfolg ohnehin nicht verdankt. Schließlich würde sich eine Arbeitszeitverkürzung nur auf die Lohnkosten auswirken, und in niedrigen Lohnkosten liegt gerade nicht die Stärke des Kapitals, erklärt uns Mahrer, wenn er darauf hinweist, dass nicht niedrige Lohnnebenkosten das Mittel seines Erfolgs seien. Die Argumentation des Herrn Mahrer ist hier also eindeutig widersprüchlich, ein geradezu schreiender Widerspruch, und man fragt sich, wie da zwei Journalisten danebensitzen können, ohne dass ihnen dies auffällt. Bei allen beteiligten Personen kann es sich nur um Beispiele der Bildungskatastrophen handeln, die sich in Österreich tagtäglich abspielen. Im Übrigen ist das deswegen niemandem aufgefallen, weil alle Beteiligten in ihrem großen Einfühlungsvermögen für die Nöte kapitalistischer Bereicherung sofort verstanden haben, dass das Kapital ohnehin schon mit Lohnnebenkosten, Energiepreisen und bürokratischen Auflagen derartig belastet sei, dass man ihm nicht auch noch eine Arbeitszeitverkürzung zumuten könne. Es könne diese Belastungen ja ohnehin gerade noch durch seine Qualität und seine innovativen sowie kreativen Fähigkeiten stemmen (auch durch Kreativität in der Steuergestaltung, wie jeder weiß), weitere Belastungen würden selbst durch die hier bewiesenen Fähigkeiten nicht mehr zu kompensieren sein.

Herr Mahrer hat mit dieser Argumentation wahrlich eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er zu Recht mehrere Funktionen im wirtschaftlichen und politischen Geschehen Österreichs wahrnimmt. Denn wer es schafft, mit derartigen Widersprüchen seinen Standpunkt zu behaupten, dem sind wahrlich keine Grenzen gesetzt. Sehr schön und entlarvend war ja auch seine rhetorische Frage zur Arbeitszeitverkürzung: „Wer macht uns dann die Arbeit?“ Herrn Mahrer ist es offensichtlich vollkommen klar, dass andere für ihn die Arbeit machen, und mit „uns“ meint er wohl die Klasse der Besitzenden, auch wenn er natürlich felsenfest davon überzeugt ist, dass er und seinesgleichen eine viel wertvollere Arbeit leisten, die sich in entsprechenden Einkünften gerechterweise niederschlage.

Als Fazit können wir festhalten, dass ein wenig Unbildung hinsichtlich der Gesetze der Logik nicht schaden kann, wenn man sich für die Interessen des Kapitals einsetzen will, dies scheint vielmehr sogar eine Voraussetzung dafür zu sein. Und so lassen sich in Österreich genauso wie in den übrigen Erdteilen mit kapitalistischer Herrschaft jeden Tag Beispiele für Bildungskatastrophen finden, die alle aufzuzeichnen einen einzelnen Menschen gewiss überfordern würde. Daher nehme ich mir die Freiheit, besonders gelungene Beispiele solcher Bildungskatastrophen vorzustellen, wie sie nur so besonders fähige Persönlichkeiten wie Herr Mahrer hervorzubringen imstande sind. Dieser wird es gewiss vorziehen, sich solcher Vergehen gegen logische Argumentation schuldig zu machen, ehe er sich den Belastungen aussetzt, welche die Gesundheit der Pflegekräfte beeinträchtigen und dazu führen, dass diese ihren Beruf aufgeben, obwohl sie sich das finanziell kaum leisten können.

Vom Nutzen der Lohnarbeit

Wien, 12. 2. 2020

In der ORF-Sendung „Report“ vom 4. 2. 2020 befragte Wolfgang Wagner den Landeshauptmann des Burgenlands, Hans Peter Doskozil, zu seinen „revolutionären“ Plänen. Dieser hat nämlich so unverständliche Vorstellungen wie jene, dass man von dem Lohn leben können müsse, den man für seine Arbeit erhält. Schließlich müsse man Mieten zahlen und benötige auch ein Auto, um die Notwendigkeiten eines bürgerlichen Alltags zu bewältigen. Dafür erklärt er die Durchsetzung eines Mindestlohns von 1700,- Euro netto notwendig.

Dem hält Wolfgang Wagner entgegen, dass ihn nicht einmal seine Partei, die SPÖ, in dieser Sache folgen würde. Dadurch sieht er sich in seinen Zweifeln bestätigt, denn schließlich wäre auch die Privatwirtschaft nicht bereit, diesen Mindestlohn zu akzeptieren. Natürlich fällt ihm als bürgerlichem Gerechtigkeitsfanatiker auch sofort ein, dass ein solcher Mindestlohn möglicherweise die Differenzierung der Löhne gemäß der Kriterien von Ausbildung und Leistung nicht mehr ermöglichen würde. Schließlich würden dadurch plötzlich Menschen in den Genuss eines Lohns kommen, den bisher nur entsprechend ausgebildete Menschen erhalten haben.

Es ist wirklich bemerkenswert, mit welch kaltschnäuzigem Zynismus ein Journalist, der sich für einen kritischen Menschen hält, hier freimütig seine Menschenverachtung bekennt. Die Vorstellung, Lohnarbeit sei mit der bloßen Existenzerhaltung der Lohnempfänger vereinbar, erscheint ihm äußerst befremdlich. Damit gibt er zwar eine Wahrheit der bürgerlichen Gesellschaft kund, dies scheint ihm aber keineswegs bewusst zu sein, denn sonst müsste er zur Kritik dieser Gesellschaft übergehen. Wenn er nun gegen Doskozil sich auf den Standpunkt stellt, die in der bürgerlichen Gesellschaft herrschende Rechungsweise vertrage sich nicht mit den Lebensbedürfnissen der Lohnarbeiter, so hat er damit recht, zieht aber daraus nicht den Schluss, dass dies gegen die bürgerliche Gesellschaft spricht. Wäre Wagner während der NS-Herrschaft ein Journalist gewesen, hätte er wohl seine Zweifel gehabt, wenn irgendjemand den unerhörten Gedanken gewagt hätte, ob der „Endsieg“ der arischen Rasse auch ohne die Massenvernichtung der Juden zu erreichen wäre. An solchen Journalisten lässt sich daher sehr schön demonstrieren, wie lächerlich das Greinen darüber ist, dass der Widerstand gegen die NS-Herrschaft sich auf ein paar Minderheiten beschränkt hat. Sie beweisen schließlich in ihrer Person, dass sie eher bereit sind, den Schaden anderer Menschen in Kauf zu nehmen, als an ihren Überzeugungen zu rütteln. Die Überzeugung des Herrn Wagner kann nämlich nur sein, dass die bürgerliche Gesellschaft die beste aller möglichen Welten ist, auch wenn sie massenhaft Menschen hervorbringt, die von ihrer Arbeit nicht leben können.

Wagner beweist damit auch, dass er kein Problem damit hat, wenn die bürgerliche Gesellschaft ihren Idealen nicht entspricht. Denn daran festhalten, dass sie eigentlich allen Menschen nützen würde, will er trotz des dazu widersprüchlichen Befundes der Massenarmut. Damit fügt er sich nahtlos in die Riege der übrigen Journalistenzunft ein, die auch kein Problem damit hat, wenn sie in ihrer Berichterstattung die bürgerliche Ideologie des Rechtsstaates erschüttert. So wird derzeit zwischen ÖVP und SPÖ darüber gestritten, dass beide Parteien versuchen würden, einen größeren Einfluss auf die Justiz zu erhalten, indem sie Gesinnungsgenossen dort unterbringen. Misstrauen sie der unparteiischen Haltung der Justiz oder ist es gerade diese Haltung, die sie dadurch zu unterwandern beabsichtigen? Wenn es aber darum geht, sich die Rechtsprechung gewogen zu machen, wie kommt es dann, dass sie nicht befürchten, dadurch den Anschein einer unparteiischen Justiz zunichte zu machen? Solche Fragen stellt sich ein bürgerlicher Journalist nicht einmal, er brüstet sich nämlich lieber damit, durch seine mutige „Aufklärungsarbeit“ die hehren Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft gegen die Übergriffe verkommener politischer Führer zu verteidigen. Als solch ein Übergriff gelten einem Journalisten wohl auch die „weltfremden“ Forderungen des Herrn Doskozil nach einem Mindestlohn von 1700,- Euro netto.

Der „Realismus“ der SPÖ wird hier allerdings schon für die Einsicht sorgen, dass man es mit dem Mindestlohn nicht übertreiben darf. So erweist sich die Heuchelei als das Merkmal, wodurch sich die Sozialdemokratie von den übrigen Parteien unterscheidet, und erlebt deswegen derzeit ihren wohlverdienten Niedergang. Schließlich erklärt sie den Proleten seit Jahrzehnten, dass die Klassengesellschaft ihre soziale Heimat sei und Arbeitslosigkeit hierzulande nur vermieden werden könne, wenn man sie dem Ausland verschaffe, indem man das dort angesiedelte Kapital in der Konkurrenz bezwinge. Wenn die Proleten nun zu jenen Parteien überlaufen, die diesen Standpunkt glaubwürdiger vertreten, so erhält die Sozialdemokratie damit nur die Resultate ihrer Politik, die sie redlich verdient hat.

Ist Geld wirklich alles auf der Welt?

Wien, 27. 1. 2020

Einer meiner Söhne musste sich vor kurzem in der Schule mit der Frage auseinandersetzen, ob Geld wirklich alles auf der Welt sei. Diese Frage zeigt bereits die Auffassung des Fragenden an, dass Geld wohl nicht alles sein könne. Für diese Haltung steht ja auch die Geschichte von König Midas, der den Wunsch hatte, dass alles zu Gelde werde, was er berühre, und schließlich verhungerte, weil Gold nicht essbar ist. Zugleich offenbart diese Frage aber auch die große Bedeutung, die Geld in unserer Welt spielt. Wäre es nicht so deutlich, wie wichtig Geld ist, wäre die Frage, ob es denn gar das wichtigste und einzige Gut, ob es vielleicht sogar „alles“ sei, überflüssig. Diese Frage würde sich dann gar nicht stellen.

Die Bedeutung des Geldes ist alles andere als erstaunlich und wird üblicherweise mit dessen enormem Nutzen begründet. So wird es gerne als eine Notwendigkeit zur Vereinfachung des Gütertausches dargestellt. Dieser wäre ohne Geld nur schwierig zu bewerkstelligen, heißt es da, denn es müsste ja immer derjenige, der an ein bestimmtes Gut herankommen will, dessen Besitzer genau jenes Gut zum Austausch anbieten, dessen dieser gerade bedarf. Darüber hinaus müsste dieser Austausch auch noch trotz der unterschiedlichen Gebrauchswerte dieser Güter von gleichem Wert sein. Schließlich würde es für einen der Tauschpartner von Nachteil sein, wenn er zwar ein Gebrauchsgut anbieten könnte, das der andere benötigt, umgekehrt jedoch dessen Gebrauchsgut mit viel weniger Arbeitsaufwand erzeugt worden ist. Ein Auto gegen ein Buch zu tauschen, würde daher als Benachteiligung dessen, der sein Auto hergibt, betrachtet werden. Dem Tausch habe das Geld sogar zweifach geholfen: einmal dadurch, dass es unmittelbar begehrt, weil allgemeines Tauschmittel ist, darüber hinaus dadurch, dass es als Wertmaß fungiert, also in verschiedenen Wertgrößen existiert und sich daher dem Wert des zu erwerbenden Gutes gemäß „tauschen“ lässt. Aus diesem Grund war auch zunächst Gold von Natur aus Geld, weil es diese Eigenschaften besonders gut erfüllt. Es ist haltbar, formbar, teilbar und quantitativ bestimmbar. Auch wenn Geld nicht von Natur aus Gold ist, so ist Gold dennoch von Natur aus Geld, heißt es daher bei Karl Marx.

Unterstellt ist natürlich bei dieser Beweisführung, dass die Güter einer arbeitsteiligen Gesellschaft nur mittels Austausch verteilt werden können. Das Beweisverfahren ist daher zirkulär, da es eine Geldwirtschaft voraussetzt, danach das Geld wegdenkt und infolgedessen sich damit leicht tut, dessen „Notwendigkeit“ nachzuweisen. Das läuft auf die Tautologie hinaus, dass Geld tatsächlich für eine Gesellschaft notwendig ist, in welcher die Verfügung über Geld notwendig ist, um auch nur auf irgendein Gebrauchsgut Zugriff zu erhalten. Deswegen produziert in der bürgerlichen Gesellschaft jeder zu dem Zweck, möglichst viel Geld zu verdienen. Gerade dadurch, dass hierin jeder seinen Vorteil im Auge habe, käme aber auch das allgemeine Wohl zustande, rühmt sich die bürgerliche Gesellschaft. Als wäre eine unsichtbare Hand am Werk, würden alle Bedürfnisse befriedigt werden, indem jeder auf seinen Vorteil bedacht sei, hat Adam Smith daher behauptet.

Diese Behauptung wird vermutlich auch nicht ganz zutreffen, denn auch in diesem Fall wäre die Frage überflüssig, ob Geld denn tatsächlich alles sei. Offensichtlich gibt es so einige Bedürfnisse, die in der bürgerlichen Gesellschaft nicht an den Segnungen der unsichtbaren Hand teilhaben. Die Frage, ob denn Geld wirklich alles sei, wird wohl kaum allein Auswüchse wie den König Midas oder Dagobert Duck im Auge haben, der seine perverse Liebe zum Geld durch ausgiebiges Baden in seinem Geldspeicher befriedigt. Als Perversion gilt hier, dass ein Mittel zum Selbstzweck wird. Eine solche Perversion stellt bereits die Schatzbildung an sich dar, lange bevor Dagobert Duck in seinen Schätzen badet. Den Schatzbildner hat Marx daher als den verrückt gewordenen Kapitalisten bezeichnet, der sein Geld dadurch vermehren will, dass er es seinem Zweck entzieht. Dieser Zweck besteht nämlich in der Vermehrung und die bleibt mit Sicherheit aus, wenn man das Geld hortet. Um mehr zu werden, muss Geld nämlich investiert werden. Umgekehrt findet daher Produktion in der kapitalistischen Gesellschaft nur dann statt, wenn sie der Geldvermehrung dient. Bleibt hier der Erfolg aus oder werden die Erfolgsaussichten negativ beurteilt, so findet auch keine Produktion statt. Es werden die nützlichen Dienste zur weiteren Produktion nicht mehr benötigt und daher noch massiver Lohnarbeiter freigesetzt, als dies bereits in den Zeiten des Wirtschaftswachstums erfolgte. Dieses Wachstum kann nur in bestimmten Phasen die Freisetzung von Arbeitskräften kompensieren, die ihre Ursache darin hat, dass das Kapital permanent daran arbeitet, seine Arbeitskosten zu reduzieren.

Halten wir fest: Einerseits lobt sich die bürgerliche Gesellschaft für die Herrschaft von Privateigentum und Geld, weil dadurch die Segnungen der unsichtbaren Hand zur Entfaltung kämen. Andererseits registriert sie Schattenseiten wie Arbeitslosigkeit und Armut, die von diesen Segnungen nicht erreicht werden würden. Dass diese „Schattenseiten“ die notwendige Bedingung dieser vermeintlichen Segnungen sind, will sich jedoch niemand eingestehen. Menschen mit dieser Einsicht stellen daher eine Minderheit dar. Die Behauptung, dass Geld nicht alles sei, will daher nicht einfach solche Gemeinplätze bedienen wie den Standpunkt, dass Geld allein nicht glücklich mache oder man sich „wahre Liebe“ nicht mit Geld kaufen könne (in Wirklichkeit beruht in der bürgerlichen Gesellschaft „Liebe“ auf der Verfügung über Geld). Diese Einsicht soll vielmehr jenen als Trost dienen, die mit ihren kümmerlichen Löhnen zu einem bescheidenen Leben genötigt sind. Diese sollen keine höheren Löhne fordern, sondern sich mit ihrer Lage dadurch abfinden, dass Geld ja nicht alles sei. Kapitalisten wird allerdings umgekehrt nicht erklärt, dass sie bei ihren Investitionen nicht so sehr aufs Geld schauen sollten, weil dieses ja ohnehin nicht alles sei. Schließlich würde man sich mit dieser Aufforderung angesichts der herrschenden Verhältnisse, in denen alles Leben vom kapitalistischen Wachstum abhängt, lächerlich machen.

Abschließend möchte ich noch bemerken, dass die bürgerliche Gesellschaft es gar nicht schätzt, wenn eine alternative Gesellschaft den Beweis antreten will, dass Geld nicht alles sei. Voller Genugtuung wurde daher triumphierend darauf hingewiesen, dass auch der reale Sozialismus um Ausbeutung nicht herumgekommen und letztlich dennoch zum Scheitern verurteilt gewesen sei, weil er mit ein paar sozialen Rücksichten dafür sorgen wollte, dass Geld nicht alles sei. Die Freude kannte daher keine Grenzen, als die realsozialistischen Staaten um 1990 zu dem Befund kamen, dass eine ordentliche Staatsgewalt nur mit entsprechender Ausbeutung etwas hermache, und sich daher zur Übernahme des kapitalistischen Systems entschieden. Da es mit ihrer Imperialismustheorie auch nicht weit her war, bildete sich die damalige Sowjetunion auch ein, sich damit die Feindschaft des Westens dauerhaft von Hals halten zu können. Das hätte unter Jelzin beinahe zum kompletten Niedergang des Staates Russland geführt, dem erst Putin Einhalt geboten hat, der sich dafür wieder mit jenen Anfeindungen konfrontiert sieht, denen die Sowjetunion ausgesetzt war. Merke: Nur wenn man sich den imperialistischen Mächten auf Gedeih und Verderb ausliefert, kann man deren unversöhnliche Feindschaft vermeiden. Die Frage ist nur, was für einen Nutzen man davon haben sollte …