Rassismus ist ein Fehler, unabhängig von der Person
„Sollte man nicht zwischen einer Leugnung, die von Unterdrückern kommt, und einer Leugnung aus den Mündern der Unterdrückten einen Unterschied machen, so wie der Rassismus der herrschenden Weißen vom Rassismus der unterdrückten Schwarzen zu unterscheiden ist?“[1] Mit diesen Worten rechtfertigt Gilbert Achcar, ein Professor an der School of Oriental and African Studies in London, die Leugnung des Holocaust, wenn diese von Palästinensern stammt. Er entschuldigt das „Leugnen bei den arabischen ‚Massen‘ grundsätzlich, weil es doch aus berechtigter Wut rühre und aus gerechtfertigtem Haß“.[2] Trotz aller Lippenbekenntnisse über die Schädlichkeit von Hass und Hetze scheint sich dieses Urteil durchgesetzt zu haben, denn in der TAZ wird folgende Behauptung als unumstößliche Wahrheit verkündet: „Schwarze, die sich negativ über Weiße äußern, und Weiße, die negativ über Schwarze reden – das wird nie das Gleiche sein, nicht in 100 Jahren. Queers dürfen Heteros ablehnen, aber nicht umgekehrt. Frauen dürfen Männer nicht dabeihaben wollen, aber nicht umgekehrt. Behinderte Menschen dürfen über Nichtbehinderte lästern, aber nicht umgekehrt. Jüdinnen und Juden dürfen sich über nichtjüdische Deutsche lustig machen – umgekehrt keinesfalls.“[3] Fehlte gerade noch, dass Queers auf Heteros einschlagen dürfen, aber nicht umgekehrt. Und sogar in 100 Jahren soll diese „Weisheit“ noch gültig sein, warum nicht gleich in alle Ewigkeit?
Es ist aber leider nichts als haltloser Schwachsinn, solche Behauptungen aufzustellen. Keineswegs ist es so, dass es eine Diskriminierung gäbe, die bloß die Ohnmacht ihres Urhebers widerspiegelt, während andere mit Diskriminierung ihre Machtposition festigen würden. Wer diskriminiert, der übt Macht aus, es gibt keine machtlose Diskriminierung. Und ein Fehler ist es obendrein, wenn man den „Unterdrückern“ mit rassistischem Hass begegnet, genauso wie es ein Fehler der „Unterdrücker“ ist, die sozialen Hierarchien mit den natürlichen Fähigkeiten der Menschen zu rechtfertigen. Auf ersteren Fehler hat bereits Bertolt Brecht in einer seiner „Geschichten vom Herrn Keuner“ hingewiesen, die ich daher hier in Erinnerung rufen will:
Vaterlandsliebe, der Haß gegen Vaterländer
Herr K. hielt es nicht für nötig, in einem bestimmten Lande zu leben. Er sagte: „Ich kann überall hungern.“ Eines Tages aber ging er durch eine Stadt, die vom Feind des Landes besetzt war, in dem er lebte. Da kam ihm entgegen ein Offizier dieses Feindes und zwang ihn, vom Bürgersteig herunterzugehen. Herr K. ging herunter und nahm an sich wahr, daß er gegen diesen Mann empört war, und zwar nicht nur gegen diesen Mann, sondern besonders gegen das Land, dem der Mann angehörte, also daß er wünschte, es möchte vom Erdboden vertilgt werden. „Wodurch“, fragte Herr K., bin ich für diese Minute ein Nationalist geworden? Dadurch, daß ich einem Nationalisten begegnete. Aber darum muß man die Dummheit ja ausrotten, weil sie dumm macht, die ihr begegnen.“[4]
Für das Gegenteil dieser Schlussfolgerung treten aber all jene ein, die Rassismus in bestimmten Fällen nicht für eine Dummheit, sondern für eine „verständliche“ Reaktion halten.
[1] Gilbert Achcar, zit. n. Egon Flaig: Die Niederlage der politischen Vernunft: Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen, Kindle-Version, Springe 2017, S. 241
[2] Ebenda, S. 242
[3] https://taz.de/Kontroverse-um-Sarah-Lee-Heinrich/!5807616/, aufgerufen am 19. 10. 2021
[4] Bertolt Brecht: Kalendergeschichten, Berlin 2013, S. 140
Schreibe einen Kommentar