2025

Bildungskatastrophen! Alice Weidel und Elon Musk sprechen über Hitler

Wien, 11. 1. 2025

Nachdem Alice Weidel schon des Öfteren als „Nazi-Schlampe“ beschimpft wurde, scheint es ihr ein Anliegen zu sein, Hitler und die Nazis als Kommunisten darzustellen, die eher im Lager jener anzusiedeln seien, welche sie auf diese Weise zu beschimpfen pflegen. In einem Gespräch mit Elon Musk behauptete sie daher, dass Hitler ein Linker gewesen sei. Seinen Kampf gegen Kommunisten und Sozialdemokraten wird sie demnach wohl für eine stalinistische Säuberungsaktion halten, umgekehrt wohl auch noch den Kampf der Kommunisten gegen die Nazis.

Diese Behauptung ist allerdings keineswegs neu, sondern schon lange bei Weißwäschern des Kapitalismus sehr beliebt. Seltsam ist nur, dass Hitler das ganz anders gesehen hat. So urteilt er in „Mein Kampf“ über die Sozialdemokratie: „Jedenfalls war das, was ich so vernahm, geeignet, mich aufs äußerste aufzureizen. Man lehnte da alles ab: die Nation, als eine Erfindung der ‚kapitalistischen‘ – wie oft mußte ich nur allein dieses Wort hören – Klassen; das Vaterland, als Instrument der Bourgeoisie zur Ausbeutung der Arbeiterschaft; die Autorität des Gesetzes, als Mittel zur Unterdrückung des Proletariats; die Schule, als Institut zur Züchtung des Sklavenmaterials, aber auch der Sklavenhalter; die Religion, als Mittel der Verblödung des zur Ausbeutung bestimmten Volkes; die Moral, als Zeichen dummer Schafsgeduld usw. Es gab da aber rein gar nichts, was so nicht in den Kot einer entsetzlichen Tiefe gezogen wurde.“[1] Eine Kritik der kapitalistischen Nation will Hitler nicht hinnehmen, ebenso hat er nichts gegen die kapitalistischen Klassen und stößt sich an deren Verunglimpfung als „kapitalistisch“, kann dieses Wort gar nicht mehr hören. Das Vaterland, die Autorität des Gesetzes, die Schule, die Religion und die Moral gelten ihm als unantastbare Werte, sind sie doch die ideologischen Mächte, die der Herrschaft von Kapital und Nation dienen und die ihm vertraute und als natürlich geltende bürgerliche Gesellschaftsordnung bilden.

Hitler lehnte also ganz unmissverständlich Marxismus und Kommunismus ab. Deren Internationalismus betrachtete er als Angriff insbesondere auf die deutsche Nation und damit auf jegliche Kultur, dennoch soll er allein deswegen links gewesen sein, weil ja bereits in dem Wort „Nationalsozialismus“ auch vom Sozialismus die Rede sei. Um an dieser Auffassung festzuhalten, blenden Menschen wie Alice Weidel auch aus, dass der Zusatz „national“ einen Widerspruch zur sozialistischen Kritik der Nation und dem eben erwähnten Internationalismus darstellt. Wenn man unbedingt wollte, könnte man genauso sachlich ungerechtfertigt Weidels Ablehnung der EU mit Hitlers Ablehnung des Internationalismus gleichsetzen. Alice Weidel, die man auch als Deutschlands Ayn Rand bezeichnen könnte, kümmert sich jedoch nicht um jene Aspekte, die ihrer Legende von Hitler als einem Linken widersprechen. Stattdessen greift sie nach jedem Strohhalm und daher alles auf, was diese These unterstützen könnte, auch wenn dies nur bei ignoranter und oberflächlicher Betrachtung möglich ist. Hierzu passt es auch wunderbar, dass die Nazis die Opferbereitschaft des arischen Arbeiters gerne zur Schau stellten. Zu diesem Zweck bedienten sie sich natürlich ganz billig der Rituale der Arbeiterbewegung, „to steal the Left’s thunder“,[2] um den Linken das Rampenlicht zu stehlen, wie Michael Parenti bereits in seinem 1997 erschienen Buch Blackshirts and Reds über diese verlogene Tour geschrieben hat. So setzt sich der Faschismus nach außen als Revolution in Szene, um die herrschenden Interessen von Kapital und Staat durchzusetzen: „It propagates a ’new order’ while serving the same old moneyed interests.“[3] (Er verkündet eine „neue Ordnung“, während er weiterhin denselben alten finanziellen Interessen dient.)

Solche Gesten der Anerkennung sind eigentlich leicht als Heuchelei zu durchschauen, zumal dann, wenn ihnen keine materielle Aufwertung entspricht, ganz im Gegenteil. Laut Parenti wurde zwar dank der Kriegsrüstung die Arbeitslosigkeit um die Hälfte reduziert, „but overall poverty increased because of drastic wage cuts“,[4] insgesamt nahm also die Armut wegen drastischer Lohnkürzungen zu. Diese Lohnkürzungen waren nur konsequent für den faschistischen Standpunkt, dass die Arbeit dem kapitalistischen Wachstum und dem davon abhängigen nationalen Reichtum, nicht aber einem angenehmen Leben der Arbeiter dienen sollte. Schließlich würde nur ein forderndes, kampfbetontes Leben zu jener Höherentwicklung der menschlichen Natur führen, die es für konkurrenz- und kriegstüchtige Subjekte braucht. Hitler war daher gegen die „Gleichmacherei“ des Kommunismus, weil diese die natürliche Unterteilung der Menschheit in mächtige Herrenmenschen, brauchbare Hilfsvölker und unwerte, der Vernichtung preiszugebende Untermenschen missachtet werde. Dem Kommunismus und seiner „Sozialromantik“ einer klassenlosen Gesellschaft setzt Hitler daher in einer Rede am 22. Juni 1944 vor Wehrmachtsoffizieren das Prinzip des Lebens als Kampf entgegen: „Der Krieg ist … das unabänderliche Gesetz des ganzen Lebens, die Voraussetzung für die natürliche Auslese des Stärkeren und zugleich der Vorgang der Beseitigung des Schwächeren. Das, was dem Menschen dabei als grausam erscheint, ist vom Standpunkt der Natur aus selbstverständlich und weise. Ein Volk, das sich nicht zu behaupten vermag, muss gehen und ein anderes an seine Stelle treten. Ein Wesen auf dieser Erde wie der Mensch kann sich nicht dem Gesetz entziehen, das für alle anderen Menschen auch gültig ist … Seit es Wesen auf dieser Erde gibt, ist der Kampf das Unvermeidliche.“[5] Wie Parenti berichtet, erklärt 1934 Benito Mussolini genau in diesem Sinne die Vorstellung eines „perpetual peace“ (ewigen Friedens) zu einer „depressing“ (niederdrückenden) Doktrin, denn nur durch grausamen Kampf und Eroberung erreiche die Menschheit ihre höchste Entwicklung. Mussolini stellt schließlich fest: „War alone … puts the stamp of nobility upon the peoples who have the courage to meet it.“[6] (Allein der Krieg drückt den Stempel der Vornehmheit auf die Völker, die den Mut haben, sich ihm zu stellen.)

Alice Wieder nennt es den größten Erfolg (wohl der Linken), dass ein antisemitischer Sozialist als konservativ und rechts dargestellt wurde, denn in Wirklichkeit sei er weder ein Konservativer noch ein Libertärer, sondern ein „communist-socialist guy“(Originalton Weidel) gewesen. Zwar hat er die Bolschewisten als Bestandteil der jüdischen Weltverschwörung zur Schädigung Deutschlands betrachtet, genauso wie das international raffende Finanzkapital im Unterschied zum der Nation dienenden schaffenden Industriekapital, aber ein Libertärer war er gerade deswegen sicher auch nicht und damit von vornherein ein Gegner von Weidel, für diese damit also ganz eindeutig ein Kommunist. Deswegen ist Weidel ja auch für grenzenlosen Kapitalverkehr, daher für die Erhaltung des EU-Binnenmarktes, nur ohne dessen Regulierungen und ohne die politische Bevormundung der EU-Bürokratie. Wer nicht für den entfesselten, sondern für einen regulierten Kapitalismus Partei ergreift, kann für Weidel vermutlich nur ein Kommunist sein. Da spielt es auch keine Rolle, dass es ohne zwischenstaatliche Regeln gar keine Handelsbeziehungen zwischen Staaten und daher auch keinen internationalen Kapitalverkehr gäbe. Auch dass diese Handelsbeziehungen immer wieder zum Gegenstand von Auseinandersetzungen werden, wenn sich für eine der beteiligten Nationen die ursprünglich erhofften Vorteile nicht einstellen, scheint Frau Weidel als Missbrauch einer anti-libertären Staatsgewalt zu betrachten. Anscheinend will sie in ihrer Begeisterung für die libertäre Ideologie einer allseitig nützlichen freien Marktwirtschaft nicht zur Kenntnis nehmen, dass Handelsverträge allein deshalb umstritten sind, weil sich hier Nationen jeweils zu ihrem Vorteil benutzen und damit widersprüchliche Interessen zur Geltung bringen wollen.

Hitler wollte unbedingt ein der deutschen Nation nützliches Kapital und lehnte aus diesem Grund das Finanzkapital ab. Darin würde Weidel ihm beim gegenwärtigen Stand der Dinge nicht folgen, wie es damals ausgesehen hätte, ist aber fraglich. Für den Erfolg des deutschen Kapitals setzte Hitler die staatliche Gewalt schließlich ohne Rücksicht auf Verluste ein und das nicht erst mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Zu diesem Zweck garantierten sowohl Hitler als auch Mussolini den Profit der Investitionen großer Unternehmen und der faschistische Staat übernahm auch den Großteil ihrer Risiken und Verluste. Darüber hinaus privatisierten sie staatseigene Elektrizitäts- und Stahlwerke sowie Dampfschifffahrtsgesellschaften.[7] Weidel behauptet jedoch im Gespräch mit Elon Musk das glatte Gegenteil, nämlich eine Nationalisierung des Kapitals durch Hitler, die sie wohl darin erblicken will, dass der Staat das Kapital auf diese Weise förderte, anstatt es sich selbst zu überlassen, weil doch für Weidel nur jene Unternehmen zu existieren verdienen, die sich als konkurrenztüchtig erweisen und daher keiner staatlichen Förderung bedürfen. Vielleicht hat sie auch Arisierungen mit Nationalisierungen verwechselt. Neu ist allerdings auch nicht ihre Behauptung, dass Hitler Privatunternehmen verstaatlicht hätte, diese scheint vielmehr zum Repertoire konservativer Auffassungen zu gehören. Aber wenn man immer nur jene Bücher liest, die den eigenen Standpunkt bestätigen, findet man eben nichts anderes. Ganz anders verhält sich Michael Parenti, der Angelo Codevilla als Beispiel für diese falsche Darstellung des Faschismus präsentiert, von dem Weidel abgekupfert haben könnte : „If fascism means anything, it means government ownership and control of business.“ (Wenn Faschismus irgendetwas bedeutet, so bedeutet er staatliches Eigentum und Kontrolle der Wirtschaft.) Parenti erwidert darauf mit einer Paraphrase dieser Behauptung: „In fact, if fascism means anything, it means all-out government support for business and severe repression of antibusiness, prolabor forces.“[8] (Tatsächlich, wenn Faschismus irgendetwas bedeutet, so bedeutet er totale staatliche Unterstützung für die Wirtschaft und harte Unterdrückung unternehmensfeindlicher, arbeiterfreundlicher Kräfte.)

Staatliche Unterstützung für die Wirtschaft, das ist für Weidel wohl Sozialismus, auch wenn diese vor allem dem Kapital dient. Sie will nämlich einen Staat, der sich auf seine Kernaufgaben zurückzieht, nämlich den Schutz des Privateigentums nach innen mittels Polizei wie nach außen mittels Militär, das den weltweiten Zugriff des Kapitals auf Geschäftsgelegenheiten durchsetzen soll. Dafür braucht es aber „starke Führer“, teilt sie Elon Musk mit, hätte also in dieser Hinsicht auch gegen Hitler nichts einzuwenden gewusst. Der Staat soll also keinerlei wirtschaftliche Interventionen durchführen, sondern nur dafür sorgen, dass die kapitalistischen Unternehmen ungehindert in die nächste Überakkumulationskrise schlittern können, in der sie wieder nach der starken Hand des Staates rufen, den sie sonst immer nur als Behinderung ihrer freien Entfaltung betrachten. Damit erweist sich Alice Weidel einmal mehr als Deutschlands Ayn Rand, für die sich ja bereits ein anderer Ökonom begeistern konnte. So gratulierte ihr Ludwig von Mises zu ihrem Mut, in ihrem Werk Atlas shrugged unangenehme Wahrheiten auszusprechen, welche die dummen Massen nicht gerne hören würden: „You have the courage to tell the masses what no politician told them: you are inferior and all the improvements in your conditions which you simply take for granted you owe to the effort of men who are better than you.“[9] (Sie haben den Mut, den Massen mitzuteilen, was ihnen kein Politiker erzählte: Ihr seid minderwertig und all die Verbesserungen eurer Lebensbedingungen, die ihr einfach für selbstverständlich haltet, schuldet ihr der Anstrengung von Menschen, die besser sind als ihr.)

Falls Alice Weidel einmal in die Lage kommen sollte, ihren ökonomischen Sachverstand durchzusetzen, wird sie sich mit dem Problem herumschlagen müssen, das bereits Friedrich A. Hayek zu schaffen machte, nämlich mit dem „Widerspruch zwischen Marktschicksal und Leistungsmobilisierung“,[10] wie Jan Rehmann Hayeks Dilemma nennt. Schließlich sollen die Bürger an den Zusammenhang von Leistung und Erfolg glauben, um weiterhin motiviert zu sein, ihre Leistungen zu erbringen oder zumindest anzubieten, auch wenn dieser Zusammenhang sich als unzutreffend erweist. So plädiert Hayek zwar dafür, an der Auffassung festzuhalten, dass der persönliche Reichtum von der eigenen Leistungsfähigkeit abhänge, aber „übertriebene“ Erwartungen zu vermeiden, dass dies immer der Fall sein müsse. Rehmann stellt daher ganz richtig fest: „Ohne illusionäre Anteile am Prinzip ‚Jeder ist seines Glückes Schmied‘ ist Motivation nur schwer aufrechtzuerhalten.“[11] Das trifft vermutlich auch auf Weidels politische Überzeugungen zu.


[1] Adolf Hitler, zit. n. Konrad Hecker: Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung, Kindle E-Book, München 2017, S. 130; S. 39 der kritischen Edition, online zugänglich:

https://www.mein-kampf-edition.de/?page=band1%2Fp039.html&term=verbl%C3%B6dung#Fn101Chap2-volI-p017, aufgerufen am 11. 1. 2025

[2] Michael Parenti: Blackshirts and Reds. Rational Fascism and the Overthrow of Communism, San Francisco 1997, S. 16

[3] Ebd., S. 17

[4] Ebd., S. 7

[5] Adolf Hitler, zit. n. Manfred Schindlbauer: Thema: Geschichte. 7. Klasse, Wien 2007, S. 168

[6] Benito Mussolini, zit. n. Michael Parenti: Blackshirts and Reds, a. a. O., S. 12

[7] Michael Parenti: Blackshirts and Reds, a. a. O., S. 7

[8] Ebd., S. 8

[9] Ludwig von Mises zit. n. Georg Loidolt: Die Tugend des Kapitals, Wien 2020, S. 85, vgl.: https://cdn.mises.org/Ludwig%20von%20Misess%20Letter%20to%20Rand%20on%20Atlas%20Shrugged_4.pdf, aufgerufen am 12. 1. 2025

[10] Jan Rehmann: Einführung in die Ideologietheorie, Kindle E-Book, Argument Verlag 2008/2022, S. 275

[11] Ebd., S. 277 f.