2025
Was soll die Ukraine denn sonst machen?
Wien, 24. 3. 2025
Diese Frage stellt sich sofort ein, wenn jemand die Ukraine dafür kritisiert, dass sie es auf einen Krieg ankommen ließ, ehe sie sich den politischen Forderungen der russischen Föderation unterwarf. Letzteres wäre doch nur ein Zurückweichen vor einem Despoten, der sich dadurch überdies ermuntert sehen würde, auch andere Nationen mit der Androhung von Krieg zum Gehorsam zu zwingen. Ganz unabhängig vom Inhalt der Forderungen Russlands gilt es als Herrschaftsstreben, dass es dieser Staat überhaupt wagt, Ansprüche gegenüber anderen Nationen zu erheben. Diese Ignoranz ist auch notwendig, sonst könnte es schon ein wenig irritieren, dass der Ukraine ein Bekenntnis zur Neutralität nicht zumutbar sei, weil sie unbedingt ein Mitglied der NATO sein will. Schließlich hat ein Staat, der nicht neutral sein will, auch nicht unbedingt friedfertige Absichten und will daher zumindest die Fähigkeit zur Kriegsführung hegen und pflegen, welcher die Neutralität Schranken setzen würde. Weil alle Einwände Russlands gegen die Aufrüstung der Ukraine ignoriert und deren Vorbereitungen zur Zurückeroberung annektierter und separatistischer Regionen offenkundig wurden, kam es zum Angriff Russlands, gegen den sich die Ukraine ja bloß verteidigen würde, weshalb sich auch jede Kritik an diesem Staat verbiete.
Als zu Beginn des Kriegs zwischen der Ukraine und der russischen Föderation das Argument vorgebracht wurde, die Ukraine solle besser kapitulieren, als sich auf einen Krieg mit dem militärisch überlegenen Gegner einzulassen, machten sich Hohn und Spott breit. So meinte Carolin Kebekus, die Schrack-Zimmermann des deutschen Kabaretts und daher auch Haus- und Hofkabarettistin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass dieser Vorschlag dazu führen würde, den Ukrainern mitzuteilen: „Sterbt!“ Dass es sich genau umgekehrt verhält, nämlich durch die Kapitulation das massenhafte Sterben verhindert werden soll, können sich solch schlichte Gemüter offensichtlich nicht vorstellen. Für Menschen solcher Geistesverfassung scheint der Zweck eines Krieges in der Vernichtung des Feindes zu bestehen, nicht in der Durchsetzung politischer Zwecke, für welche diese Vernichtung nur ein Mittel darstellt, dessen ein Staat nicht mehr bedarf, sobald er diese politischen Zwecke erreicht hat. Anders gesagt: Jeder Staat hätte nichts dagegen, wenn er seine politischen Ansprüche gegen andere Staaten auch ohne Krieg durchsetzen könnte, er würde dann auf kriegerische Anstrengungen verzichten, weil diese ja gar nicht erforderlich wären, um seine Ziele zu erreichen. Es ist gar nicht das Anliegen von Staaten, möglichst viele Menschen zu töten, auch wenn sie deren Vernichtung ohne jeden Skrupel in Kauf nehmen, sobald ihnen dies zur Durchsetzung ihrer Herrschaftsansprüche erforderlich scheint.
Ein Staat hätte also immer die Möglichkeit, einen Krieg zu vermeiden, zugleich sind es aber auch gerade seine Interessen, die mit kriegerischen Mittel behauptet werden sollen und welchen seine Bürger im Krieg genauso zu dienen haben wie in Friedenszeiten. Keineswegs verhält es sich daher so, dass die Ukraine sich gegen Russland wehrt, um ihre Bürger vor der Vernichtung zu bewahren, sondern es wird gerade umgekehrt deren Leben zur Durchsetzung ihrer politischen Ansprüche eingesetzt, die im Gegensatz zu jenen der russischen Föderation stehen. Russland hätte natürlich ebenso nicht auf der Geltung seiner Ansprüche beharren müssen, aber genauso wie die Ukraine für ihren Erfolg in der nationalen Konkurrenz auf ihre Ziele nicht verzichten will, will dies auch Russland nicht. Allerdings stellt sich hier schon die Frage, inwiefern die Forderung nach Entmilitarisierung und Neutralität der Ukraine einen Beweis für die Aggression Russlands darstellen soll. Zeigt sich darin nicht vielmehr die Wahrnehmung der Ukraine als Bedrohung, die durch solche Maßnahmen beseitigt werden soll? Wer natürlich unbedingt sein Feindbild vom russischen Aggressor pflegen will, sieht darin nur den Versuch, die Ukraine zu schwächen, um sie danach umso leichter unterwerfen zu können. Die russische Föderation soll hingegen den beschwichtigenden Worten vertrauen, wonach die Stationierung von Waffen und Soldaten in der Ukraine nur der Verteidigung dienen solle. Ja, der Verteidigung der gegen Russland gerichteten Vorhaben in der Ukraine.
Die Beschäftigung mit den politischen Absichten, die solche Gegensätze zwischen Staaten bilden, dass sich diese genötigt sehen, mit kriegerischen Mitteln deren Durchsetzung zu erzwingen, ist der Feindbildpflege natürlich nicht förderlich. Dann könnte man nämlich feststellen, dass der hochgeschätzte Frieden kapitalistischer Staaten bereits von kriegsträchtigen Gegensätzen geprägt ist, weswegen diese Staaten ja auch sehr schnell zum Krieg bereit sind, von dem die bürgerliche Öffentlichkeit dann immerzu überrascht ist, weil dies ihren schönen Vorstellungen von Demokratie und Weltordnung widerspricht, an denen sie unbedingt festhalten will.[1] Es muss daher auch sofort ein despotischer Herrscher mit einem autokratischen Staat ausgemacht werden, dem die „demokratischen“ Medien die Schuld am „Ausbruch“ eines Krieges zur Last legen, in diesem Fall stehen eben Putin und der russische Nationalcharakter unter Anklage. Dabei haben die Staaten nicht deswegen sofort ihre Armee einsatzbereit, um kriegerische Handlungen auszuführen, weil ja für den Krieg bereit sein müsse, wer den Frieden wolle. Es ist gerade umgekehrt so, dass die Ansprüche der Staaten, ihresgleichen für ihr kapitalistisches Wachstum zu benutzen, ohne die Fähigkeit zum „Schutz“ dieser Ansprüche nicht einmal erhoben werden können. Weil die Staaten sich in Konkurrenz zueinander für ihr Kapitalwachstum benutzen wollen, gibt es immer wieder Konflikte über die Handlungsbeziehungen, die sich bereits in deren Einrichtung geltend machen und für sehr lange Verhandlungen sorgen. Und auch nach einer Einigung auf allgemein gültige Handelsbedingungen ergibt sich immer wieder ein Bedarf für deren Überwachung oder Korrektur, sodass auch dann immer wieder Konflikte entstehen, zu deren kriegerischer Austragung die beteiligten Staaten jederzeit bereit sind, um ihre Macht zu behaupten oder zu erweitern, was für sie ohnehin aufs Gleiche hinausläuft.
Die von den USA seit dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzte Weltordnung übt imperialistische Herrschaft nicht durch Aneignung von Kolonien, sondern durch freien Handel aus. Das hat auch den Vorteil, dass der Aufwand einer militärischen und zivilen Verwaltung der Kolonien entfällt und den neu gebildeten Nationen obliegt. Der Erfolg nationaler Befreiungsbewegungen in der Vertreibung ihrer Kolonialherren rief daher keine Intervention der USA hervor, sofern sich diese nicht kommunistisch betätigten, wie Vietnam, sondern sich in den freien Handel einzufügen und auf diese Weise ihren Erfolg anzustreben suchten. Keineswegs war und ist es somit natürlich für diese Staaten vorgesehen, eine Politik zu betreiben, die sich gegen diese Handelsordnung richtet oder deren Konditionen zu ihren Gunsten zu verändern trachtet. Änderungen der eingerichteten Handelsbeziehungen sind und bleiben das Privileg der USA, die sich dessen immer dann bedienen, wenn sich der nationale Erfolg nicht zu ihrer Zufriedenheit entwickelt. Das ist z. B. dann der Fall, wenn eine nicht zufällig als „Ölstaat“ bezeichnete Nation sich von diesem Status zu emanzipieren bestrebt ist, in welchem die Lieferung von Öl ihre einzige Funktion für den Weltmarkt darstellt. Weil deswegen zur Ausbeutung der Erdölquellen eingesetztes US-Kapital enteignet wurde, war das für die USA nicht hinzunehmen. Nachdem dann auch noch die zum Zeitpunkt dieser Enteignung hohen Ölpreise der Finanzierung eines Entwicklungsprogramms dienen sollten, um Unabhängigkeit von ausländischem Kapital zu erlangen, sahen die USA sich erst recht in ihrer Vormachtstellung herausgefordert und gingen dagegen durch Unterstützung oppositioneller Kräfte in Venezuela sowie durch Handelsboykotte in der bereits gegen Castros Kuba bewährten Art vor.
Solange allgemein kapitalistisches Wachstum in Form einer beschleunigten Kapitalakkumulation herrscht, haben auch untergeordnete Nationen einen Nutzen davon. Diesen bleibt ohnehin keine andere Wahl, als einen Anteil am allgemeinen Kapitalwachstum zu erhalten, denn eine alternative Erwerbsquelle steht ihnen nicht zu und daher auch nicht zur Verfügung. Versuchen sie alternative Wege zu beschreiten, führt das in der Regel zu einem Ordnungsruf der Weltordnungsmächte, dem auch mit begrenzten Militärinterventionen Nachdruck verliehen werden kann. Spätestens nach dem Umschlag der beschleunigten Akkumulation in die Überakkumulation von Kapital ist allerdings kein allgemeines Wachstum mehr möglich, an welchem die sogenannten Entwicklungsländer zwar in geringerem Maße partizipieren als die führenden Nationen, das aber immerhin auch bei ihnen noch stattfindet. Mit dem Beginn der Überakkumulation ist allerdings Kapitalwachstum nur noch durch eine Verdrängung anderer Kapitale möglich, also durch eine Kapitalvernichtung, die vor allem in den untergeordneten Nationen stattfindet. Solche Verdrängungsprozesse einzuleiten war das Ziel des Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine, dessen Scheitern im Jahr 2014 für die USA ein solches Ärgernis war, dass diese einen Staatsstreich in der Ukraine förderten, um eine „westlich orientierte“ Regierung einzusetzen. Die seither bestehende Auseinandersetzung zwischen der Ukraine als imperialistischem Vorposten der Westmächte und der russischen Föderation hat den fundamentalen Gegensatz gezeigt, in welchem die beteiligten Staaten es vorziehen, ihre Interessen mit kriegerischen Mitteln zu behaupten, ehe sie auf deren Durchsetzung verzichten. Offensichtlich halten sie es für notwendig, ihren Interessen um jeden Preis Geltung zu verschaffen, um als kapitalistisch erfolgreiche und politisch einflussreiche Macht bestehen zu können. Wenn das nicht gegen die Herrschaft solcher Mächte spricht, dann ist diese wohl durch nichts zu erschüttern!
Man muss übrigens gar nichts über die widersprüchliche Entwicklung der Kapitalakkumulation wissen, um die Ideologie zu entkräften, dass internationaler Handel dem wechselseitigen Vorteil der Handelspartner diene. Wenn sich nämlich ein Entwicklungsland tatsächlich entwickelt und zum kapitalistischen Konkurrenten aufsteigt, wird das von den maßgeblichen Nationen keineswegs als Erfolg verbucht, in dem sich wieder einmal die Unschlagbarkeit des kapitalistischen Systems erweisen würde. So gilt der Aufstieg Chinas keineswegs als erfreulich: „Offensichtlich ist es nicht so, dass sich der Rest der Staatenwelt und mit ihm die Völker unbefangen freuen, wenn es einem Land gelingt, Armut und Unterentwicklung hinter sich zu lassen.“[2] Im Gegenteil: „Weil in dieser Welt der Marktwirtschaft und Staatenkonkurrenz jeder Erfolg des einen letztlich auf Kosten anderer geht, gibt China als Newcomer auf dem Weltmarkt neben allen Geschäftsmöglichkeiten, die es anderen eröffnet, ganz offensichtlich auch Grund zur Sorge um die eigenen Erfolgsaussichten und damit Anlass zu einer immer auch latent feindseligen Stellung zu ihm.“[3]
Die Frage, was die Ukraine denn sonst machen solle, nachdem sie von Russland angegriffen wurde, zeugt angesichts all der hier vorgebrachten Argumente von nichts als Ignoranz. Wer so denkt, dem ist die Geltung nationaler Interessen eine Selbstverständlichkeit, deren Verteidigung er mit dem Schutz unschuldiger Menschen gleichsetzt, die man ohne Krieg nur einem blutrünstigen Mörder ausliefern und der Vernichtung preisgeben würde.
[1] Vgl. dazu die Ausführungen von Freerk Huisken: FRIEDEN. Eine Kritik. Aus aktuellem Anlass, Hamburg 2023
[2] Renate Dillmann: Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit, Kindle E-Book, Köln 2025, S. 229
[3] Ebd., S. 229 f.
Bildungskatastrophen! Alice Weidel und Elon Musk sprechen über Hitler
Wien, 11. 1. 2025
Nachdem Alice Weidel schon des Öfteren als „Nazi-Schlampe“ beschimpft wurde, scheint es ihr ein Anliegen zu sein, Hitler und die Nazis als Kommunisten darzustellen, die eher im Lager jener anzusiedeln seien, welche sie auf diese Weise zu beschimpfen pflegen. In einem Gespräch mit Elon Musk behauptete sie daher, dass Hitler ein Linker gewesen sei. Seinen Kampf gegen Kommunisten und Sozialdemokraten wird sie demnach wohl für eine stalinistische Säuberungsaktion halten, umgekehrt wohl auch noch den Kampf der Kommunisten gegen die Nazis.
Diese Behauptung ist allerdings keineswegs neu, sondern schon lange bei Weißwäschern des Kapitalismus sehr beliebt. Seltsam ist nur, dass Hitler das ganz anders gesehen hat. So urteilt er in „Mein Kampf“ über die Sozialdemokratie: „Jedenfalls war das, was ich so vernahm, geeignet, mich aufs äußerste aufzureizen. Man lehnte da alles ab: die Nation, als eine Erfindung der ‚kapitalistischen‘ – wie oft mußte ich nur allein dieses Wort hören – Klassen; das Vaterland, als Instrument der Bourgeoisie zur Ausbeutung der Arbeiterschaft; die Autorität des Gesetzes, als Mittel zur Unterdrückung des Proletariats; die Schule, als Institut zur Züchtung des Sklavenmaterials, aber auch der Sklavenhalter; die Religion, als Mittel der Verblödung des zur Ausbeutung bestimmten Volkes; die Moral, als Zeichen dummer Schafsgeduld usw. Es gab da aber rein gar nichts, was so nicht in den Kot einer entsetzlichen Tiefe gezogen wurde.“[1] Eine Kritik der kapitalistischen Nation will Hitler nicht hinnehmen, ebenso hat er nichts gegen die kapitalistischen Klassen und stößt sich an deren Verunglimpfung als „kapitalistisch“, kann dieses Wort gar nicht mehr hören. Das Vaterland, die Autorität des Gesetzes, die Schule, die Religion und die Moral gelten ihm als unantastbare Werte, sind sie doch die ideologischen Mächte, die der Herrschaft von Kapital und Nation dienen und die ihm vertraute und als natürlich geltende bürgerliche Gesellschaftsordnung bilden.
Hitler lehnte also ganz unmissverständlich Marxismus und Kommunismus ab. Deren Internationalismus betrachtete er als Angriff insbesondere auf die deutsche Nation und damit auf jegliche Kultur, dennoch soll er allein deswegen links gewesen sein, weil ja bereits in dem Wort „Nationalsozialismus“ auch vom Sozialismus die Rede sei. Um an dieser Auffassung festzuhalten, blenden Menschen wie Alice Weidel auch aus, dass der Zusatz „national“ einen Widerspruch zur sozialistischen Kritik der Nation und dem eben erwähnten Internationalismus darstellt. Wenn man unbedingt wollte, könnte man genauso sachlich ungerechtfertigt Weidels Ablehnung der EU mit Hitlers Ablehnung des Internationalismus gleichsetzen. Alice Weidel, die man auch als Deutschlands Ayn Rand bezeichnen könnte, kümmert sich jedoch nicht um jene Aspekte, die ihrer Legende von Hitler als einem Linken widersprechen. Stattdessen greift sie nach jedem Strohhalm und daher alles auf, was diese These unterstützen könnte, auch wenn dies nur bei ignoranter und oberflächlicher Betrachtung möglich ist. Hierzu passt es auch wunderbar, dass die Nazis die Opferbereitschaft des arischen Arbeiters gerne zur Schau stellten. Zu diesem Zweck bedienten sie sich natürlich ganz billig der Rituale der Arbeiterbewegung, „to steal the Left’s thunder“,[2] um den Linken das Rampenlicht zu stehlen, wie Michael Parenti bereits in seinem 1997 erschienen Buch Blackshirts and Reds über diese verlogene Tour geschrieben hat. So setzt sich der Faschismus nach außen als Revolution in Szene, um die herrschenden Interessen von Kapital und Staat durchzusetzen: „It propagates a ’new order’ while serving the same old moneyed interests.“[3] (Er verkündet eine „neue Ordnung“, während er weiterhin denselben alten finanziellen Interessen dient.)
Solche Gesten der Anerkennung sind eigentlich leicht als Heuchelei zu durchschauen, zumal dann, wenn ihnen keine materielle Aufwertung entspricht, ganz im Gegenteil. Laut Parenti wurde zwar dank der Kriegsrüstung die Arbeitslosigkeit um die Hälfte reduziert, „but overall poverty increased because of drastic wage cuts“,[4] insgesamt nahm also die Armut wegen drastischer Lohnkürzungen zu. Diese Lohnkürzungen waren nur konsequent für den faschistischen Standpunkt, dass die Arbeit dem kapitalistischen Wachstum und dem davon abhängigen nationalen Reichtum, nicht aber einem angenehmen Leben der Arbeiter dienen sollte. Schließlich würde nur ein forderndes, kampfbetontes Leben zu jener Höherentwicklung der menschlichen Natur führen, die es für konkurrenz- und kriegstüchtige Subjekte braucht. Hitler war daher gegen die „Gleichmacherei“ des Kommunismus, weil damit die natürliche Unterteilung der Menschheit in mächtige Herrenmenschen, brauchbare Hilfsvölker und unwerte, der Vernichtung preiszugebende Untermenschen missachtet werde. Dem Kommunismus und seiner „Sozialromantik“ einer klassenlosen Gesellschaft setzt Hitler daher in einer Rede am 22. Juni 1944 vor Wehrmachtsoffizieren das Prinzip des Lebens als Kampf entgegen: „Der Krieg ist … das unabänderliche Gesetz des ganzen Lebens, die Voraussetzung für die natürliche Auslese des Stärkeren und zugleich der Vorgang der Beseitigung des Schwächeren. Das, was dem Menschen dabei als grausam erscheint, ist vom Standpunkt der Natur aus selbstverständlich und weise. Ein Volk, das sich nicht zu behaupten vermag, muss gehen und ein anderes an seine Stelle treten. Ein Wesen auf dieser Erde wie der Mensch kann sich nicht dem Gesetz entziehen, das für alle anderen Menschen auch gültig ist … Seit es Wesen auf dieser Erde gibt, ist der Kampf das Unvermeidliche.“[5] Wie Parenti berichtet, erklärt 1934 Benito Mussolini genau in diesem Sinne die Vorstellung eines „perpetual peace“ (ewigen Friedens) zu einer „depressing“ (niederdrückenden) Doktrin, denn nur durch grausamen Kampf und Eroberung erreiche die Menschheit ihre höchste Entwicklung. Mussolini stellt schließlich fest: „War alone … puts the stamp of nobility upon the peoples who have the courage to meet it.“[6] (Allein der Krieg drückt den Stempel der Vornehmheit auf die Völker, die den Mut haben, sich ihm zu stellen.)
Alice Wieder nennt es den größten Erfolg (wohl der Linken), dass ein antisemitischer Sozialist als konservativ und rechts dargestellt wurde, denn in Wirklichkeit sei er weder ein Konservativer noch ein Libertärer, sondern ein „communist-socialist guy“(Originalton Weidel) gewesen. Zwar hat er die Bolschewisten als Bestandteil der jüdischen Weltverschwörung zur Schädigung Deutschlands betrachtet, genauso wie das international raffende Finanzkapital im Unterschied zum der Nation dienenden schaffenden Industriekapital, aber ein Libertärer war er gerade deswegen sicher auch nicht und damit von vornherein ein Gegner von Weidel, für diese damit also ganz eindeutig ein Kommunist. Deswegen ist Weidel ja auch für grenzenlosen Kapitalverkehr, daher für die Erhaltung des EU-Binnenmarktes, nur ohne dessen Regulierungen und ohne die politische Bevormundung der EU-Bürokratie. Wer nicht für den entfesselten, sondern für einen regulierten Kapitalismus Partei ergreift, kann für Weidel vermutlich nur ein Kommunist sein. Da spielt es auch keine Rolle, dass es ohne zwischenstaatliche Regeln gar keine Handelsbeziehungen zwischen Staaten und daher auch keinen internationalen Kapitalverkehr gäbe. Auch dass diese Handelsbeziehungen immer wieder zum Gegenstand von Auseinandersetzungen werden, wenn sich für eine der beteiligten Nationen die ursprünglich erhofften Vorteile nicht einstellen, scheint Frau Weidel als Missbrauch einer anti-libertären Staatsgewalt zu betrachten. Anscheinend will sie in ihrer Begeisterung für die libertäre Ideologie einer allseitig nützlichen freien Marktwirtschaft nicht zur Kenntnis nehmen, dass Handelsverträge allein deshalb umstritten sind, weil sich hier Nationen jeweils zu ihrem Vorteil benutzen und damit widersprüchliche Interessen zur Geltung bringen wollen.
Hitler wollte unbedingt ein der deutschen Nation nützliches Kapital und lehnte aus diesem Grund das Finanzkapital ab. Darin würde Weidel ihm beim gegenwärtigen Stand der Dinge nicht folgen, wie es damals ausgesehen hätte, ist aber fraglich. Für den Erfolg des deutschen Kapitals setzte Hitler die staatliche Gewalt schließlich ohne Rücksicht auf Verluste ein und das nicht erst mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Zu diesem Zweck garantierten sowohl Hitler als auch Mussolini den Profit der Investitionen großer Unternehmen und der faschistische Staat übernahm auch den Großteil ihrer Risiken und Verluste. Darüber hinaus privatisierten sie staatseigene Elektrizitäts- und Stahlwerke sowie Dampfschifffahrtsgesellschaften.[7] Weidel behauptet jedoch im Gespräch mit Elon Musk das glatte Gegenteil, nämlich eine Nationalisierung des Kapitals durch Hitler, die sie wohl darin erblicken will, dass der Staat das Kapital auf diese Weise förderte, anstatt es sich selbst zu überlassen, weil doch für Weidel nur jene Unternehmen zu existieren verdienen, die sich als konkurrenztüchtig erweisen und daher keiner staatlichen Förderung bedürfen. Vielleicht hat sie auch Arisierungen mit Nationalisierungen verwechselt. Neu ist allerdings auch nicht ihre Behauptung, dass Hitler Privatunternehmen verstaatlicht hätte, diese scheint vielmehr zum Repertoire konservativer Auffassungen zu gehören. Aber wenn man immer nur jene Bücher liest, die den eigenen Standpunkt bestätigen, findet man eben nichts anderes. Ganz anders verhält sich Michael Parenti, der Angelo Codevilla als Beispiel für diese falsche Darstellung des Faschismus präsentiert, von dem Weidel abgekupfert haben könnte : „If fascism means anything, it means government ownership and control of business.“ (Wenn Faschismus irgendetwas bedeutet, so bedeutet er staatliches Eigentum und Kontrolle der Wirtschaft.) Parenti erwidert darauf mit einer Paraphrase dieser Behauptung: „In fact, if fascism means anything, it means all-out government support for business and severe repression of antibusiness, prolabor forces.“[8] (Tatsächlich, wenn Faschismus irgendetwas bedeutet, so bedeutet er totale staatliche Unterstützung für die Wirtschaft und harte Unterdrückung unternehmensfeindlicher, arbeiterfreundlicher Kräfte.)
Staatliche Unterstützung für die Wirtschaft, das ist für Weidel wohl Sozialismus, auch wenn diese vor allem dem Kapital dient. Sie will nämlich einen Staat, der sich auf seine Kernaufgaben zurückzieht, nämlich den Schutz des Privateigentums nach innen mittels Polizei wie nach außen mittels Militär, das den weltweiten Zugriff des Kapitals auf Geschäftsgelegenheiten durchsetzen soll. Dafür braucht es aber „starke Führer“, teilt sie Elon Musk mit, hätte also in dieser Hinsicht auch gegen Hitler nichts einzuwenden gewusst. Der Staat soll also keinerlei wirtschaftliche Interventionen durchführen, sondern nur dafür sorgen, dass die kapitalistischen Unternehmen ungehindert in die nächste Überakkumulationskrise schlittern können, in der sie wieder nach der starken Hand des Staates rufen, den sie sonst immer nur als Behinderung ihrer freien Entfaltung betrachten. Damit erweist sich Alice Weidel einmal mehr als Deutschlands Ayn Rand, für die sich ja bereits ein anderer Ökonom begeistern konnte. So gratulierte ihr Ludwig von Mises zu ihrem Mut, in ihrem Werk Atlas shrugged unangenehme Wahrheiten auszusprechen, welche die dummen Massen nicht gerne hören würden: „You have the courage to tell the masses what no politician told them: you are inferior and all the improvements in your conditions which you simply take for granted you owe to the effort of men who are better than you.“[9] (Sie haben den Mut, den Massen mitzuteilen, was ihnen kein Politiker erzählte: Ihr seid minderwertig und all die Verbesserungen eurer Lebensbedingungen, die ihr einfach für selbstverständlich haltet, schuldet ihr der Anstrengung von Menschen, die besser sind als ihr.)
Falls Alice Weidel einmal in die Lage kommen sollte, ihren ökonomischen Sachverstand durchzusetzen, wird sie sich mit dem Problem herumschlagen müssen, das bereits Friedrich A. Hayek zu schaffen machte, nämlich mit dem „Widerspruch zwischen Marktschicksal und Leistungsmobilisierung“,[10] wie Jan Rehmann Hayeks Dilemma nennt. Schließlich sollen die Bürger an den Zusammenhang von Leistung und Erfolg glauben, um weiterhin motiviert zu sein, ihre Leistungen zu erbringen oder zumindest anzubieten, auch wenn dieser Zusammenhang sich als unzutreffend erweist. So plädiert Hayek zwar dafür, an der Auffassung festzuhalten, dass der persönliche Reichtum von der eigenen Leistungsfähigkeit abhänge, aber „übertriebene“ Erwartungen zu vermeiden, dass dies immer der Fall sein müsse. Rehmann stellt daher ganz richtig fest: „Ohne illusionäre Anteile am Prinzip ‚Jeder ist seines Glückes Schmied‘ ist Motivation nur schwer aufrechtzuerhalten.“[11] Das trifft vermutlich auch auf Weidels politische Überzeugungen zu.
[1] Adolf Hitler, zit. n. Konrad Hecker: Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung, Kindle E-Book, München 2017, S. 130; S. 39 der kritischen Edition, online zugänglich:
https://www.mein-kampf-edition.de/?page=band1%2Fp039.html&term=verbl%C3%B6dung#Fn101Chap2-volI-p017, aufgerufen am 11. 1. 2025
[2] Michael Parenti: Blackshirts and Reds. Rational Fascism and the Overthrow of Communism, San Francisco 1997, S. 16
[3] Ebd., S. 17
[4] Ebd., S. 7
[5] Adolf Hitler, zit. n. Manfred Schindlbauer: Thema: Geschichte. 7. Klasse, Wien 2007, S. 168
[6] Benito Mussolini, zit. n. Michael Parenti: Blackshirts and Reds, a. a. O., S. 12
[7] Michael Parenti: Blackshirts and Reds, a. a. O., S. 7
[8] Ebd., S. 8
[9] Ludwig von Mises zit. n. Georg Loidolt: Die Tugend des Kapitals, Wien 2020, S. 85, vgl.: https://cdn.mises.org/Ludwig%20von%20Misess%20Letter%20to%20Rand%20on%20Atlas%20Shrugged_4.pdf, aufgerufen am 12. 1. 2025
[10] Jan Rehmann: Einführung in die Ideologietheorie, Kindle E-Book, Argument Verlag 2008/2022, S. 275
[11] Ebd., S. 277 f.