Das Elend linker Sozialstaatsillusionen
Die Rente ist sicher (zu gering)
Mit seinem Artikel über nachhaltige, weil starrsinnig gepflegte Rentenmärchen1 hat Suitbert Cechura am 2. August 2025 wohl einen wunden Punkt getroffen, wie sich der Reaktion von Reiner Heyse entnehmen lässt. Diesem zufolge richte sich Cechuras Kritik der Ideologie des Generationenvertrags gegen „ein Glanzstück der Sozialpolitik der 1950er Jahre“, dessen Urheber „richtige Lehren aus den Katastrophen der vorangegangenen 50 Jahre gezogen“2 hätten. Die Kritik des sogenannten „Umlageverfahrens“, wo die Altersversorgung durch Pflichtbeiträge der aktuell aktiven Lohnabhängigen finanziert wird, lege nämlich den Schluss nahe, diese Beiträge in Rentenkassen zu deponieren, obwohl das doch bereits zweimal gescheitert sei und diese Beiträge von der NS-Herrschaft „für Aufrüstung und Krieg zweckentfremdet“ worden seien. Anstatt einen Kapitalstock anzusparen, wurde also in der Nachkriegszeit beschlossen, die Pensionen aus den Löhnen und notfalls den Steuern zu finanzieren, da ohnehin „aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden“ müsse, wie Mackenroth laut Heyse 1952 festgestellt habe. Das ist insofern kein Unterschied zu einer auf Kapitalbildung beruhenden Altersrente, als ja auch die Wertpapiere nichts weiter als Beteiligungen am kapitalistischen Erfolg und Forderungen auf dessen Erträge darstellen, allerdings mit dem Unterschied, dass sie nicht auf den nationalen Reichtum beschränkt sind, sondern weltweit investiert werden können. Darüber hinaus besteht der Reichtum des Finanzkapitals auch nicht in der sinkenden Lohnsumme, sondern im stetig wachsenden Kapital großer Unternehmen, die auch aus Krisen meistens als Sieger hervorgehen und auf Kosten vernichteter Konkurrenten weiter wachsen.
Aus diesem Grund kommt der Staat auch nicht auf die Idee, für reiche Menschen ein Umlageverfahren zur Altersversorgung einzuführen. Sofern Angehörige dieser Klasse überhaupt eine Pension beziehen, weil sie sich in ihrem Unternehmen als Geschäftsführer angestellt haben, spielt diese für ihr Einkommen eine untergeordnete Rolle, weil die Kapitalerträge viel mehr dazu beitragen. Solche Bürger verpflichtet der Staat nicht zur Vorsorge für ihr Alter, ganz im Gegenteil zu jenen, die von Löhnen leben müssen. Diese halten in fortgeschrittenem Alter den Anforderungen des Kapitals nicht mehr stand und sollen daher durch die Beiträge der jüngeren Generationen finanziert werden, deren Verschleiß erst im Gange ist. Wie Cechura eigentlich unmissverständlich feststellt, sind Lohnabhängige also „wegen der Art ihres Einkommens gesetzlich gezwungen, einen Teil ihres Einkommens für die Altersvorsorge aufzuwenden“. (ebd.) Da hat der Staat auch gar nicht nachgefragt, ob die von dieser Verpflichtung betroffenen Bürger damit einverstanden sind, weswegen die Darstellung dieses staatlichen Zwangs als „Generationenvertrag“ eine Ideologie zu dessen Beschönigung darstellt.
Diesen schönen Schein des „Generationenvertrags“ will Heyse aber unbedingt für bare Münze nehmen und über dieses „Glanzstück der Sozialpolitik“ nichts kommen lassen. Deswegen ist für ihn die Kritik der Altersarmut, die sich mit der Einkommensquelle Lohnarbeit als Basis der Altersrente unvermeidlich einstellt, alles andere als unmissverständlich. Weil Heyse unbedingt daran festhalten will, dass Lohnarbeit eine taugliche Einkommensquelle darstellt, kann er dieser Kritik nur entnehmen, dass die Altersarmut durch alternative Finanzierungsweisen besser zu bewältigen, ja vielleicht sogar zu verhindern sei. Wenn Cechura die rhetorische Frage stellt, weshalb denn Lohnabhängige nicht wie Kapitalisten von ihren Einzahlungen einen Kapitalstock bilden können,3 dann sieht Heyse darin nichts als ein Angebot an das Kapital, von Lohnnebenkosten entlastet zu werden, indem die Vorsorge wieder ganz in die Hände jedes einzelnen Bürgers gelegt werde. Geradezu so, als hätte er Cechuras eigentliches Anliegen entlarvt, warnt er: „Da werden Fantasien zu Lohnkostensenkungen beflügelt. Es winken so schöne Zeiten wie einst vor 1891.“ (ebd.) Heyse will nicht einsehen, dass Cechura nicht ein bestimmtes Pensionssystem kritisiert, sondern die illusorische Erwartung, dass trotz der Beschränkung auf die Einkommensquelle Lohnarbeit mit dem „richtigen“ Pensionssystem Armut im Alter vermeidbar wäre.
Was die Ansprüche der pflichtversicherten Lohnarbeiter im Alter betrifft, hat sich durch das Umlageverfahren des Generationenvertrags nichts Wesentliches zu den früher bestehenden Rentenkassen geändert, die der Staat damals für Kriegsanleihen benutzt hat. Nun kann der Staat eben die Pensionsbeiträge erhöhen und die Ansprüche reduzieren, darüber hinaus muss er nur die Bedingungen für den Erwerb einer Pension erschweren. Dies erreicht der bürgerliche Staat relativ einfach, indem er die Zahl der Beitragsjahre erhöht, die zum Bezug einer Pension berechtigen, ebenso wie das Alter, ab welchem diese Berechtigung in Kraft tritt, das sogenannte „Pensionsantrittsalter“. Um dies politisch durchzusetzen, muss nur die leider unvermeidbare Notwendigkeit dieser Maßnahmen aufgrund einer staatlichen Notlage beschworen werden, für welche entsprechende Notstandsgesetze bereitstehen.
Wie auch immer ein Pensionssystem gestaltet werden mag, dessen Abhängigkeit von erfolgreicher Kapitalakkumulation bleibt bestehen, denn die davon bestimmte Anzahl der Lohnempfänger ergibt die Lohnsumme und damit die Basis der Pensionen. Wenn diese Basis nicht ausreicht und der Staat zu ihrer Finanzierung auf Steuereinnahmen zurückgreifen muss, dann spätestens sind wieder Reformen des Pensionssystems nötig, die in der Regel in die vorhin erwähnte Richtung gehen, dass höheren Beiträgen der Versicherten geringere Ansprüche und Leistungen gegenüberstehen. Angesichts dieser Ausgangsbedingungen mag Heyse schon Recht haben, wenn er behauptet: „Von allen denkbaren Systemen der Altersversorgung ist das Umlageverfahren, der Generationenvertrag, das sinnvollste.“ (ebd.) Allerdings gesteht Heyse mit den von ihm geforderten Rahmenbedingungen (garantiertes Versorgungsniveau, Absicherung gegen Altersarmut, Finanzierung durch alle Erwerbstätigen bei Ergänzungsleistungen aus dem Sozialetat des Staates) selbst ein, dass dieses Pensionssystem des politischen Willens bedarf, um die erwünschten Wirkungen zu entfalten, oder wie Cechura in seiner Replik auf Heyse ironisch anmerkt: „Seltsamerweise kennt der Autor gleich eine ganze Liste von Bedingungen, die erst noch erfüllt werden müssen, damit sein Lob Gewicht bekommt.“4 Da hätte Heyse genauso gut fordern können, dass der Staat doch bitte für eine ordentliche Pension sorgen möge. Aber wer unbedingt an seinen Sozialstaatsillusionen festhalten will, der findet, was er sucht, ausgerechnet in Österreich, dessen Pensionssystem Heyse als Vorbild empfiehlt – ein Pensionssystem, das dem österreichischen Staat als Belastung gilt, das er daher gerade abwickelt bzw. reformiert, um seine Zuschüsse loszuwerden oder zumindest zu senken, für die er eine bessere Verwendung weiß, als damit den Lebensabend nicht mehr gebrauchter Menschen zu finanzieren.
Wohnen muss leistbar sein
Nicht nur zu Pensionen, auch zu den Mieten pflegen sich als Linke verstehende Menschen ihre Illusionen und sind daher auch nicht in der Lage, die Argumente ihrer Gegner zurückzuweisen. Ein Beispiel dafür ist die gerade sehr stark in den Medien präsente Heidi Reichinnek, Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag, die sich für eine Mietpreisbremse einsetzt. In einer Diskussion, deren Internet-Quelle ich leider nicht mehr gefunden habe, hat sie sich für leistbaren Wohnraum durch Mietpreisbremsen starkgemacht. Das kann ja zunächst in der Praxis nichts anderes als ein gesetzliches Verbot weiterer Mieterhöhungen sowie die Festlegung einer Obergrenze für den Quadratmeterpreis bedeuten. Darauf kommt natürlich sofort die Entgegnung, dass dies nur zum Rückgang der verfügbaren Wohnungen führen würde, denn zum einen würden mangels Profit keine weiteren Wohnungen gebaut, zum anderen vorhandene Wohnungen nicht mehr angeboten werden, weil sich damit nicht genug verdienen ließe. Bestehende Mieten würden zwar nicht steigen, Menschen auf der Suche nach Wohnraum hätten aber darunter zu leiden. Und das wird schon so sein, zumindest dann, wenn es alternative Anlagesphären gibt, die höhere Gewinne versprechen. Schließlich vergleicht das Finanzkapital permanent die Rendite-Möglichkeiten von Finanzinvestitionen auf der ganzen Welt und sieht es gar nicht gerne, wenn der Staat diese beschränkt.
Etwas seltsam ist angesichts dieses Zusammenhangs von Preis und Angebot einer Immobilie das Lob hoher Mieten als Voraussetzung nicht nur höherer Investitionen in den Wohnungsbau, sondern auch langfristig niedriger Mieten. Das ist nämlich allen Ernstes das Argument, das gegen Mietpreisbremsen vorgebracht wird. Und da hätte Reichinnek schon einfallen können, dass es doch keinen Unterschied für Hauseigentümer ausmache, ob ihre Mieteinkünfte durch ein höheres Wohnungsangebot oder durch eine Mietpreisbremse sinken würden. Vermutlich ist allen Beteiligten in dieser Diskussion dieser Widerspruch nicht aufgefallen, weil insgeheim ohnehin niemand mit einer Mietsenkung durch freie Mietpreisbildung rechnet. Schließlich weiß jeder, dass mehr Wohnungen nur dann gebaut, renoviert und angeboten werden, wenn sich damit gut verdienen lässt. Die einzige reale Alternative lautet im Kapitalismus eben: Wer eine brauchbare Wohnung haben will, muss das Profitbedürfnis des Grundeigentums befriedigen und dafür die entsprechende Geldsumme aufbringen, denn sonst gibt es zwar vielleicht billige, aber nur wenige und heruntergekommene Wohnungen.
Weil der Profit stimmen muss, damit überhaupt produziert und gehandelt wird, muss auch die Profitrate in industriellen und kaufmännischen Betrieben gehegt und gepflegt werden. Wenn das Kapital also durch zu hohe Investitionen in Immobilien eine Blase bildet und seine Gewinnerwartungen in diesem Bereich platzen, verlagert es die Investitionen, ehe es sich mit niedrigen Mietpreisen und in der Folge auch mit stagnierenden Marktpreisen für seine Immobilien abfindet. Da müsste schon die Profitrate weltweit sinken, damit das Kapital auch niedrige Mieteinnahmen akzeptieren müsste. Aber solche Zusammenhänge zur Kenntnis zu nehmen und den Gegensatz von Kapitalinteressen zu den Lebensinteressen der übrigen Bürger einzusehen, ermöglicht es eben nicht, sich die bürgerlichen Lebensverhältnisse so zurechtzulegen, dass sie mit den richtigen sozialstaatlichen Maßnahmen doch noch eine vernünftige Einrichtung sein könnten, die allgemein nützlich ist. Dafür braucht es eben Sozialstaatsillusionen, auch wenn dies offensichtlich nicht nur zu materiellem, sondern auch zu geistigem Elend führt.
Lohn-Preis-Spirale
Dem Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit und der Widerlegung einer hierzu beliebten Ideologie widmet sich Karl Marx in seiner Schrift Lohn, Preis, Profit, die auch sehr brauchbar für jene ist, die eine Einführung ins Werk von Marx suchen. Darin weist er nach, dass höhere Löhne nicht einfach durch höhere Preise kompensiert werden können, sondern eine allgemeine Anhebung der Lohnhöhe vielleicht die Preise für Güter des unmittelbaren täglichen Bedarfs zu steigern ermöglicht, dafür aber die Einkünfte der in der Luxusproduktion engagierten Kapitalisten schmälert. Diese haben nicht nur höhere Ausgaben zur Entlohnung des Personals in ihren Unternehmen und Residenzen zu leisten, sondern müssen auch mehr für alltägliche Konsumgüter bezahlen. Sie können aber nicht die Preise ihrer Luxusware entsprechend erhöhen, sondern müssen diese sogar senken, weil die Kaufkraft des Lebensmittelkapitals vielleicht erhalten bleibt, jene der übrigen Kapitalisten jedoch sinkt, die höhere Kosten für Löhne und Lebensmittel haben. Marx hat diesen Zusammenhang sehr klar dargestellt: „Daher würde in diesen Industriezweigen die Profitrate fallen, und zwar nicht bloß im einfachen Verhältnis zu der allgemeinen Steigerung der Lohnrate, sondern im kombinierten Verhältnis zu der allgemeinen Lohnsteigerung, der Preissteigerung der Lebensmittel und dem Preisfall der Luxusartikel.“5
Dies würde zu Produktionsumschichtungen führen, sodass schließlich mehr Konsumgüter für die Arbeiter und weniger Luxusgüter für die Besitzenden produziert würden, wodurch sich die Profitraten wieder ausgleichen. Auch eine Ausweitung des Konsums der Arbeiter auf Luxusartikel, die ja im Preis gefallen sind, wäre natürlich möglich. Würde dieser Fall eintreten, so hätten die Proleten den Ausfall der Nachfrage nach Luxuswaren teilweise kompensiert und ihren Konsum auf Kosten der Kapitalherren erweitert, sodass es ohnehin nicht zu übersehen wäre, wer von einem höheren Lohn den Nutzen und wer den Schaden hat. Marx hat bereits vor der oben zitierten Zusammenfassung darauf hingewiesen, dass die dadurch bewirkte Umstrukturierung der Produktion nicht geringe Ausmaße hätte, da es sich bei den Produzenten von Luxusgütern keineswegs nur um eine Handvoll handelt: „Wenn ihr bedenkt, daß 2/3 des nationalen Produkts von 1/5 der Bevölkerung – oder sogar nur von einem Siebtel, wie kürzlich ein Mitglied des Unterhauses erklärte – konsumiert werden, so begreift ihr, welch bedeutender Teil des nationalen Produkts in Gestalt von Luxusartikeln produziert oder gegen Luxusartikel ausgetauscht und welche Unmenge selbst von den Lebensmitteln auf Lakaien, Pferde, Katzen usw. verschwendet werden muß, eine Verschwendung, von der wir aus Erfahrung wissen, daß ihr mit steigenden Lebensmittelpreisen immer bedeutendere Einschränkungen auferlegt werden.“6 Dass diese Verteilung des Reichtums zwischen Arm und Reich, zwischen Lohnarbeit und Kapital heute gewiss noch viel größere Dimensionen angenommen haben wird, ist wohl eine naheliegende Schlussfolgerung.
Damit erweist sich die Behauptung einer Lohn-Preis-Spirale als Ideologie, was sich ja bereits daran erkennen ließe, dass sich das Kapital einer Forderung nach Lohnerhöhung widersetzt. Wenn es nämlich so einfach wäre, dass sich das Kapital für höhere Löhne durch höhere Preise schadlos halten könnte, dass also die lohnabhängige Bevölkerung gar nichts davon hätte, dann wäre es vollkommen überflüssig, Forderungen nach einer Lohnerhöhung zurückzuweisen. Es wäre sogar irrational, eher einen Streik zu riskieren, als höhere Löhne zu gewähren, wenn diese doch ganz einfach durch Preiserhöhungen kompensiert werden könnten! Da die vermeintlichen Linken der 2020er-Jahre aber viel vom Sozialstaat sowie von Genderismus, Multikulturalismus und Wokeismus, jedoch nichts von Klassenkampf halten, sind sie auch nicht in der Lage, die Ideologie der Lohn-Preis-Spirale zu kritisieren, obwohl bereits die ganz banale Praxis des Streits um die Lohnhöhe diese Ideologie widerlegen würde, wenn man denn bereit wäre, diesen Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen.
1Suitbert Cechura: Nachhaltige Rentenmärchen, https://overton-magazin.de/top-story/nachhaltige-rentenmaerchen/, aufgerufen am 30. 9. 2025
2Reiner Heyse: Nachhaltiger Generationenvertrag – kein Märchen, https://overton-magazin.de/top-story/nachhaltiger-generationenvertrag-kein-maerchen/, aufgerufen am 30. 9. 2025
3Suitbert Cechura: Nachhaltige Rentenmärchen, a. a. O.: „Warum stammen die Leistungen nicht aus den Beträgen, die laut penibler Abrechnung vom Einzelnen für sein Alter in der Kasse deponiert wurden?“
4 Suitbert Cechura: Rentenversicherung: Märchen werden nicht glaubwürdiger, wenn man sie wiederholt, https://overton-magazin.de/top-story/rentenversicherung-maerchen-werden-nicht-glaubwuerdiger-wenn-man-sie-wiederholt/, aufgerufen am 30. 9. 2025
5 Karl Marx: Lohn, Preis, Profit, in: Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 16, S. 108
6 Ebd., S. 107
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