Rezensionen

Kritik der Kriegsmoral

Die Westmächte führen immer nur gegen das Böse Krieg, auch wenn sie einen „Angriffskrieg“ führen, der in ihrem Fall auch nicht so genannt wird, weil er ja eigentlich der Verteidigung diene, nämlich der Verteidigung „unterdrückter“ Völker gegen Diktatoren und Despoten. Weder die Bombardierung Serbiens noch die Interventionen in Syrien, Libyen, Irak oder Afghanistan werden daher als „Angriffskriege“ bezeichnet. Aufgrund der Überzeugung von der moralischen Vortrefflichkeit ihres Staatswesens verbietet sich für die demokratische Öffentlichkeit auch jede Kritik an der eifrig betriebenen Eskalation des Kriegs in der Ukraine, schließlich würde jedes andere Verhalten ja nur dem Bösen in der Gestalt Putins von Nutzen sein.

Damit ist sie im Wesentlichen bereits fertig, die Kriegsmoral, die keinen Einspruch duldet und jeden zum Parteigänger des Bösen erklärt, der sich ihr widersetzt. Schließlich könne doch niemand etwas dagegen haben, dass die Westmächte weltweit Demokratie und Menschenrechte durchsetzen. Dieser einfältigen Sichtweise setzen die Autoren die Erklärung solcher höchsten Werte entgegen, die auf dem Rechtsbewusstsein nationalistischer Bürgerinnen beruhen. Dieses Rechtsbewusstsein äußert sich unter anderem als Anspruch auf den Erfolg „ihrer“ Nation, weil sie diesen als ihre Lebensgrundlage affirmieren. Und um diesen Erfolg sicherzustellen, bedarf es der weltweiten Durchsetzung universeller Menschenrechte, die das Fundament des globalen Geltungsanspruchs imperialistischer Staaten bilden. Dennoch machen sich die führenden Nationen keineswegs von der tatsächlichen Geltung dieser Menschenrechte abhängig, sodass es keinen Einwand gegen politisch gefügige Nationen darstellt, wenn es diese damit nicht so genau nehmen. Ihre Gewalt gegen unerwünschte politische Herrschaftsgebilde stellen sie jedoch gerne als Durchsetzung der Menschenrechte dar, auch wenn diese ihre Feindschaft nicht begründen, sondern nur rechtfertigen sollen, wie die Autoren auf S. 113 festhalten.

Welche hemmungslose Gewaltbereitschaft sich auf Basis ihrer vermeintlichen moralischen Überlegenheit der bürgerlichen Öffentlichkeit bemächtigt hat, haben die Autoren an einigen Beispielen ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufbereitet. Sie kommen zu folgendem Schluss: „Diese Moralität ist so prinzipiell und radikal, dass sie sogar das auszuschließen gewillt ist, was zum guten Ton eines demokratischen Dialogs gehört: die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen.“ (S. 104)

Ohne für irgendeine der beteiligten Mächte Partei zu ergreifen, erklären die beiden Autoren auch die Ursachen für den „Angriffskrieg“ Russlands in der Ukraine. Leider wird auch dies den beiden Autoren nicht das Schicksal ersparen, als Parteigänger Putins gebrandmarkt zu werden, nach dem Prinzip, dass gegen „uns“ ist, wer nicht für „uns“ ist. Zu hoffen ist allerdings, dass mit dieser Flugschrift jene Menschen erreicht werden, die ihr Denken noch nicht in den Dienst eines begeisterten Kriegsgeheuls zum Kreuzzug gegen das vermeintlich Böse gestellt haben.

Altes Denken in neuem Gewand

Norbert Wohlfahrt: Revolution von rechts?

Der Antikapitalismus der Neuen Rechten und seine radikalpatriotische Moral – eine Streitschrift, VSA, Hamburg 2022

Die Nazis sahen bekanntlich in Liberalismus und Kommunismus einen die Solidarität der Völker zersetzenden Individualismus und Materialismus am Werk, als deren Repräsentanten ihnen sowohl das internationale Finanzkapital als auch der Bolschewismus galten. Als Materialist und Fundament des Bolschewismus war Marx daher ihr Gegner. Diese Feindschaft gegen Marx hält die Neue Rechte für einen Fehler, sie erhebt dagegen den Anspruch, Marx den Marxisten zu entreißen. Das ist zwar ein Unterschied zwischen der Neuen Rechten und den alten Nazis, aber gegen das Finanzkapital und die Globalisierung, die damals eben als Internationalisierung gegeißelt wurde, richten sie sich genauso. Auch die Neuen Rechten beklagen, dass das Finanzkapital nicht der Nation diene, machen diesen Vorwurf aber auch dem Industriekapital, wenn es in Billiglohnländer auswandert. Die Unterscheidung zwischen raffendem und schaffendem Kapital ist den neuen Verhältnissen angepasst und nicht mehr auf das Finanzkapital beschränkt, nachdem nun das produzierende Kapital über mehr Mobilität verfügt als in der „guten alten Zeit“.

Norbert Wohlfahrt unternimmt in seinem Buch eine akribische Untersuchung der Urteile der Neuen Rechten und überprüft dabei deren Anspruch, Marx gemäß den aktuellen Erfordernissen adaptiert zu haben. Dabei stellt sich heraus, dass auch diese rechten Theoretiker den materialistischen Eigennutz für die Spaltung der Gesellschaft verdammen, wogegen es diensteifrige und opferbereite Bürger brauche, die im Dienst an der nationalen Gemeinschaft ihre Erfüllung finden. Der Kritik des Profits bei Marx schließen sie sich insofern an, als sie ihnen als Kritik des Materialismus gilt. Marx als Materialisten zu begreifen, der einen selbstlosen Dienst an der Volksgemeinschaft für irrational halten würde, betrachten sie hingegen als ein Missverständnis, für das die Linke verantwortlich sei und wovon es Marx zu befreien gelte. Welche Inkonsequenzen und Widersprüche sie bei diesem Unterfangen in Kauf nehmen müssen, lässt sich in Wohlfahrts Buch mit großem Erkenntnisgewinn entdecken. Zu diesem Zweck nimmt sich der Autor die Positionen der Neuen Rechten im Einzelnen vor, so deren Menschenbild und den mit diesem verbundenen Staatsbegriff, ihre Vorstellungen zum Verhältnis von Leistung und Sozialstaat, von Volk und Nation sowie zum Euro, den die Neuen Rechten nicht als machtvolles imperialistisches Instrument, sondern als Mittel zur Zersetzung nationaler Souveränität begreifen wollen. Darüber hinaus erläutert dieses Buch auch die Bemühungen der Rechten, Gramsci und Luxemburg für ihre politischen Anliegen zu nutzen und einzuspannen. Zum Abschluss werden die Anforderungen erklärt, welche die Neuen Rechten an die Kultur und die Familie stellen, um den Erfolg der Nation sicherzustellen.

Erinnerungskultur zur Pflege nationalen Sendungsbewusstseins

Johannes Schillo: Ein nationaler Aufreger Zur Kritik der Erinnerungskultur

https://www.klemm-oelschlaeger.de/epages/79140548.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/79140548/Products/978-3-86281-173-1

Wien, 29. 3. 2022

In diesem Buch setzt sich Johannes Schillo mit der nationalen Selbstdarstellung Deutschlands hinsichtlich der NS-Vergangenheit auseinander. Er zeigt auf, wie diese immer schon von der Dialektik beherrscht war, durch demonstrative Zurschaustellung im Büßerhemd eine „moralische Exklusivität des heutigen Deutschland“ (S. 13) in der Beurteilung staatlicher Gewaltaffären anzumelden. So eignete sich die Erweiterung des Antifaschismus zum „selbstbewussten Antitotalitarismus“ (S. 11) bereits in der Zeit des Kalten Krieges bestens zur Rechtfertigung der politischen Interessen eines in jeder Hinsicht erneuerten Deutschland.

Die Dialektik, nationale Größe aufgrund der Fähigkeit zur Einsicht in die nationale Schuld zu erlangen, wird allerdings auch als „Schuldkult“ angeprangert, der die Selbstbehauptung der Nation gefährden könnte „und für ein selbstbewusstes nationales Auftreten hinderlich ist“ (S. 14). So kommt es zur Forderung einer „Absage an das antifaschistische Sendungsbewusstsein“ (S. 17), gipfelnd im „Topos der Unaufgeräumtheit“ (S. 18 f.), dem zufolge es sich verbietet, Ereignisse in eine Ordnung zu bringen, weil dies die Freiheit des Zugriffs auf historische Ereignisse und somit geschichtliche Vielfalt einschränke.

Auf diese Entwicklungen geht Schillo kritisch ein und führt in den weiteren Kapiteln vor, wie der Kampf um ein neues nationales Sendungsbewusstsein in den kulturpolitischen Konzepten der AFD weitergeführt wird. Diese ist so überzeugt davon, den natürlichen nationalen Volkscharakter zu repräsentieren, dass sie jede Kritik an ihren Positionen als Werk entfremdeter Intellektueller geißelt. Um Letzteren wieder zur notwendigen nationalen Erdung zu verhelfen, will die AFD „linksextreme Lumpen … statt eines Studienplatzes wieder praktischer Arbeit“ (S. 50) zuführen. Wie sich hier die neuen Rechten vom Kulturmarxismus umzingelt glauben und daher nicht anders als die alten Rechten verhalten, wie dieser nationale Aufbruch der Rechten mit neuen nationalen Herausforderungen angesichts zugespitzter nationaler Konflikte einhergeht, erklärt Schillo in diesem Buch.

Im abschließenden Kapitel zeigt Manfred Henle auf, wie es die politische Führung Deutschlands hinbekommt, auch noch die 27 Millionen Opfer des Krieges von Nazideutschland gegen die Sowjetunion „zum grenzenlosen Selbstlob des heutigen deutschen Wir“ (S. 91) zu nutzen. Mit Inszenierungen der Betroffenheit über die vielen Opfer der Nazis beweisen heutige Politiker schließlich ihre moralische Kompetenz, weswegen die aktuellen Kriege der NATO-Staaten auch in Ordnung gehen: Nun kämpft das Gute gegen das Böse, nun wird dem Bösen Einhalt geboten, das sich in finsteren Zeiten der Nation bemächtigt hatte. Und weil die moralisch geläuterte Nation überall auf der Welt das Gute vor dem Bösen schützen muss, hört sich das in den Worten von Deutschlands Bundespräsident Steinmeier so an: „Aus dem Geschenk der Versöhnung erwächst für Deutschland große Verantwortung. Wir wollen und wir müssen alles tun, um Völkerrecht und territoriale Integrität auf diesem Kontinent zu schützen, und für den Frieden mit und zwischen den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zu arbeiten.“ (S. 94) Dieses Schutzanliegen ist natürlich ein Kriegsprogramm, auch wenn es sich so sanftmütig und einfältig gibt, als könnte es kein Wässerchen trüben. Die Lektüre dieses Buches verhilft zur Immunität gegen solch elende Heucheleien.

Zur bürgerlichen Sittlichkeit und ihrem Bedarf an Sinngebung

Jürgen Hoßdorf: Sinn und Sittlichkeit – Zur Kritik der Sinnfrage

https://www.klemm-oelschlaeger.de/epages/79140548.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/79140548/Products/978-3-86281-168-7

Wien, 29. 3. 2022

Das Bedürfnis nach Sinn gilt als wesentliches Merkmal des menschlichen Daseins. Dieses begehrte Dogma, wie ich derartige Bedürfnisse einmal genannt habe, unterzieht Jürgen Hoßdorf in seinem Buch einer systematischen Kritik. Er weist nach, dass dieses Bedürfnis nicht dem menschlichen, sondern dem bürgerlichen Dasein entspringt, genauer: dem Anliegen, die bürgerlichen Existenzbedingungen zu bejahen, obwohl es diese schwermachen, Lebensfreude zu entfalten und aufrechtzuerhalten. Eines lässt sich dem Bedürfnis nach Lebenssinn nämlich sofort entnehmen: In einem freudvollen, befriedigenden Leben würde es nicht einmal aufkommen.

Konsequenterweise beginnt das Buch daher mit der Erklärung der Ursachen dafür, warum das Leben des weitaus größeren Teils der Bürger alles andere denn eine befriedigende Angelegenheit ist. Danach geht der Autor auf die allgemein verbreiteten Sinnstiftungsangebote über Sportidole und religiöse Gurus ein und leitet so über zu den elitären Formen der Sinnproduktion, die bei Günther Anders, Theodor W. Adorno, Albert Camus und Viktor Frankl zu finden sind. An Wilhelm Schmids metaphysischer Aufbereitung der abenteuerlichen Expeditionen Reinhold Messners stellt Hoßdorf die Verbindung zu alltäglicheren Formen der Sinnstiftung her. Messner erscheint als Held der Willensstärke, welche die Bewältigung von Leistungsanforderungen und Entbehrungen ermöglicht, die auch Lohnabhängigen sehr vertraut sind. Darin kann man mit recht viel gutem Willen auch seinen Sinn finden: „Alles auszuhalten und nicht an sich und/oder den Verhältnissen, die einem ein solches Leben zumuten, zu verzweifeln, zeigt nämlich, dass man aus besonderem Holz geschnitzt ist.“ (S. 96)

Trotz widriger Lebensverhältnisse seinen Frieden mit diesen machen zu wollen, nötigt der menschlichen Geistestätigkeit einiges an Widersprüchen ab, wie Hoßdorf an den erwähnten Autoren aufzeigt. Dafür ist auch eine falsche Kritik herrschender Verhältnisse notwendig: So gilt für Günther Anders bereits die Einbindung in einen großflächigen und nicht von jedem Beteiligten überblickbaren Arbeitsprozess als Fremdbestimmung und Sinnverlust. Deswegen würden die hierin eingespannten Menschen nicht wissen, wie sich ihre Arbeit auswirkt, und werden von Anders dazu aufgerufen, diese Effekte zu antizipieren. (S. 48 f.) Zwar will er dadurch einen „nuklearen Holocaust“ (S. 49, 56) verhindern, die dafür erforderliche Antizipation der Effekte des eigenen Tuns erschwert dies jedoch so sehr, dass nur er als „närrischer Philosoph“ (S. 48) daran festhält. Ein Bewusstsein für die Auswirkungen ihres Tuns hätten die Menschen damit aber immerhin und das befriedigt einen Philosophen, weil sich diese dann nicht mehr mit oberflächlichen Scheinbefriedigungen ihres Sinnverlusts zufriedengeben.

Adorno geht hier noch einen Schritt weiter. Sein kritisches Bewusstsein müht sich damit ab, das Denken der „Mikrologie“ (S. 66) und das Dasein einer unerreichbaren, weil nur mit dem Tod gegebenen „Transzendenz“(S. 74) näherzubringen. Camus wiederum sieht der Trostlosigkeit des Daseins trotzig-heldenhaft ins Auge (S. 80), wer dazu nicht imstande sei, versuche die Menschen mit Utopien zwanghaft zu beglücken. Auch religiöser Trost ist für Camüs ein Fluchtversuch, der die Gefahr in sich birgt, den jenseitigen Trost im Diesseits zu verwirklichen. Die Absurdität des menschlichen Daseins nicht auszuhalten, führe zur Gewalt gegen dieses.

Jürgen Hoßdorfs Kritik an diesen Formen elitärer Sinnstiftung ist äußerst gelungen und auch amüsant zu lesen. Auch wenn der Autor damit durchschnittliche Bürgerinnen wahrscheinlich nicht erreicht, wäre schon viel gewonnen, wenn es ihm gelingen würde, sich damit bei Intellektuellen durchzusetzen, die z. B. Adornos Philosophie für Gesellschaftskritik halten.

Kritik deterministischer Auffassungen über Männer

Karin Kneissl: Testosteron macht Politik, Wien 2012

Wien 14. 6. 2021

In ihrem Buch stellt sich Karin Kneissl die Frage, inwiefern das Männlichkeitshormon Testosteron bei politische Ereignissen und Handlungen zumindest beteiligt ist bzw. mitwirkt. Es ist ihr aufgefallen, dass die sozialen Verhältnisse in muslimischen arabischen Gesellschaften nicht nur Armut, sondern auch eine bedeutende sexuelle Frustration vor allem für junge Männer hervorbringen. Sie kommt zu dem Schluss, dass dies zu den politischen Aufbrüchen im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings beigetragen hat, zumal „Sex eine aggressionshemmende Wirkung hat“ (Kindle-Position 1234), im Umkehrschluss bei erzwungener Enthaltsamkeit das männliche Testosteron aggressives Verhalten fördert. Um sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen, muss man als Muslim jedoch in der Regel verheiratet sein, sofern man nicht einer reichen Elite angehört. Für eine Heirat bedarf es allerdings finanzieller und materieller Mittel, über welche diese Männer nicht verfügen, da die muslimischen Frauen überdies sehr hohe Ansprüche stellen. Ähnlich war es ja auch während der 1968er-Revolte in Europa, weswegen dort ein Zusammenhang zwischen sozialer und sexueller Revolution hergestellt wurde.

Die Rolle des Testosterons sieht Kneissl jedoch nicht so, dass dieses bestimmte Handlungen determinieren würde. Es scheint vielmehr dazu zu führen, dass Männer eher dazu neigen, ihren Überzeugungen Taten folgen zu lassen, dass es ihnen umgekehrt auch schwerer fällt, sich in Geduld und Zurückhaltung zu üben, wenn sie bestimmte Handlungen für notwendig halten. Aus diesem Grund ist Testosteron sowohl mit aggressiven, gewalttätigen als auch mit fürsorglichen Handlungen verbunden, wie sie bei Feuerwehr- und Rettungseinsätzen notwendig sind. Daher „sollten wir dieses Hormon nicht nur negativ sehen, denn es schafft auch Verantwortung und Fürsorge“. (Kindle-Position 119) Es scheint sich mit dem Testosteron so zu verhalten, dass dadurch Männer eher als Frauen die Initiative ergreifen, dass aber dennoch von den diesen Handlungen unterliegenden Überzeugungen abhängt, welche Gestalt diese Handlungen annehmen. Wie wir von Hegel bereits wissen sollten und würden, wenn man sich denn die Mühe machte, seine Schriften zu studieren und bekannt zu machen, ist jedes Handeln nach außen gerichtet und neigen vermeintlich schöne Seelen deswegen dazu, in jeder Handlung etwas Gewalttätiges zu erblicken. Diesem Verdacht sind auch das Testosteron und damit Männer im Allgemeinen ausgesetzt.

Hier kommt Frau Kneissls Buch das Verdienst zu, Argumente gegen solche pauschalen Anklagen und Verurteilungen zu präsentieren, die einer Dämonisierung der Männlichkeit entgegengesetzt werden können und Einsichten für eine sinnvolle Nutzung der vom Testosteron bewirkten Handlungsbereitschaft der Männer ermöglichen. Umgekehrt weist sie darauf hin, dass auch Frauen aggressives Verhalten bei Männern fördern, auch wenn sie danach noch so empört „me too“ schreien. So beklagen sich viele Frauen über toxische, aggressive Männlichkeit, nehmen jedoch nur in den damit einhergehenden Konkurrenzkämpfen erfolgreiche Männer wahr: „Und es sind nicht zuletzt wiederum die Frauen, die Männer mit bestimmtem Status bzw. potenziell erfolgreichem Lebensweg auswählen, um ihre Nachkommenschaft versorgt zu wissen.“ (Kindle-Positionen 249-250) Es ist ja bereits ins Alltagsbewusstsein eingedrungen, dass viele Frauen sogenannte „bad boys“ den „netten Jungs“ vorziehen, auch wenn ebenso viele Frauen dies leugnen oder sich nicht eingestehen wollen.

Ein Kapitel des Buches beschäftigt sich auch mit den Gefahren des durch Abtreibungen weiblicher Föten in China und Indien herausgebildeten eklatanten Männerüberschusses, der dafür sorgen wird, dass in der Dekade von 2040–2050 ein Überschuss von 20 % der Männer im heiratsfähigen Alter besteht. (Kindle-Position 1620) Kneissl zeigt in diesem Zusammenhang auch, dass solche Situationen bereits in früheren Zeiten zu Gewalt und Krieg geführt haben, wie jeder Latein-Schüler weiß, der Texte über den Raub der Sabinerinnen übersetzen muss. Das Buch von Frau Kneissl ist auch deswegen empfehlenswert, weil man in knapper Darstellung und daher mit geringem zeitlichem Aufwand neben wesentlichen Erkenntnissen über Testosteron auch interessante Überlegungen zum Verhältnis von Geist und Natur, von Vernunft bzw. freiem Willen und Gefühl erhält.

Peter Decker erklärt Heideggers Apotheose der Herrschaft

Peter Decker: Martin Heidegger – Der konsequenteste Philosoph des 20. Jahrhunderts – Faschist, Gegenstandpunkt-Verlag, München 2020

Wien, 6. 3. 2021

In ihrer Verachtung für das bloß Seiende und dessen „Banalität“, in ihrem Streben nach „Höherem“ weist die Philosophie eine Disposition für den faschistischen Größenwahn auf. Mit diesen wenigen Worten lässt sich die Aussage dieses Buches zusammenfassen. Heidegger ist mit seiner Seinslehre der konsequenteste Philosoph gewesen und hat gerade deswegen mit dem Faschismus nicht nur sympathisiert, sondern sich als Universitätsrektor offen in dessen Dienst gestellt. Das bedeutet allerdings nicht, dass nur eine faschistische Herrschaft den philosophischen Ansprüchen genügen kann, dies leistet vielmehr jede Herrschaft insofern, als sie ihre Untertanen zu Dienst und Opferbereitschaft verpflichtet. Wenn das eigene Dasein dadurch in Frage gestellt wird, erfahre man nämlich etwas vom „Ruf des Seins“ und damit von dessen Wahrheit und Größe. Der Seinsvergessenheit mache sich hingegen schuldig, wer sich dem bloß Seienden und Materiellen hingibt, wer sich in seinem Dasein bequem einrichten will. Kleinmütig am Seienden festzuhalten, anstatt dieses entschlossen zu negieren und so für die Heldentaten frei zu werden, die eine Nation auf ihrem Weg zu gebührender Größe verlangt, das ist für Heidegger ein Verstoß gegen die Würde des menschlichen Daseins und dessen angemessenes Seinsverständnis.

Den Dienst an der bestehenden Herrschaft als Dienst am Sein zu begreifen und damit der Größe des menschlichen Daseins zu entsprechen, dem es sich verbietet, sich mutlos an Seiendes zu klammern: Dieser Gedanke führt Heidegger zum Faschismus. Diese Verachtung des am bloß Seienden haftenden Lebens kommt dem faschistischen Drang nach nationaler Größe wie gerufen. Peter Decker versteht es, solche Zusammenhänge an den Aussagen Heideggers zu erklären. Er weist damit nach, dass man Heideggers Worte ignorieren muss, wenn man zwischen der Person, die politisch geirrt habe, und dem Werk, das mit diesem Irren nichts zu tun haben könne, unterscheiden will.

Umgekehrt verhält es sich allerdings auch nicht so, dass Heidegger zunächst Faschist gewesen wäre und seine Philosophie seiner faschistischen Gesinnung gemäß entworfen hätte. Er hat hier keinen Missbrauch der Philosophie betrieben, wie Nicolas Tertulian meint, für den „Heideggers politische Anschauungen tatsächlich im Mittelpunkt seines Denkens stehen“.[1] Es bestimmen nicht politische Zwecke seine Philosophie, sondern seine Philosophie sieht sich in der faschistischen Politik gut aufgehoben. Im Mittelpunkt seines Denkens stehen seine philosophischen Vorstellungen und Überzeugungen, die ihn für den Faschismus genauso empfänglich gemacht haben wie für jede andere Herrschaftsform, welche die materialistischen Berechnungen ihrer Untertanen durchkreuzt. Diese Einstellung zeigt sich heutzutage in anderer Gestalt, etwa in der Verachtung der Spaßgesellschaft, der es in ihrer Oberflächlichkeit an jedem „tieferen“ Seinsverständnis mangle. Darin will niemand eine zynische Verachtung von Lebensfreude entdecken, aber auch nicht das verräterische Eingeständnis freudloser Zustände, die das Bedürfnis nach einer „Entschädigung“ durch „Spaß“-Erlebnisse hervorbringen.

Den Zusammenhang zwischen der faschistischen Gesinnung und dem philosophischen Anspruch Heideggers nachzuweisen, gelingt Peter Decker in seinem Buch auf überzeugende Weise. Die Lektüre dieses Werks kann ich daher nur empfehlen. Kein anderes Buch kritisiert Heidegger und die ideologische Funktion der Philosophie in solcher Klarheit und Kürze.


[1] Nicolas Tertulian, zit. n. Peter Decker: Martin Heidegger – Der konsequenteste Philosoph des 20. Jahrhunderts – Faschist, Gegenstandpunkt-Verlag, München 2020, Kindle-Version, S. 73

Falsche Behauptungen und offensichtliche Leseschwäche

Nachdem Amazon leider die Kommentarfunktion und mit dieser alle bisherigen Kommentare entfernt hat, muss ich hier meinen Einspruch gegen die folgende dumme und erbärmliche Rezension meines Buches über Dogmen veröffentlichen. Zunächst die jenseitige, von falschen Behauptungen strotzende „Rezension“:

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            wolfsnase

1,0 von 5 Sternen

Voll die Mogelpackung — platteste kommunistische Propaganda

Rezension aus Deutschland vom 4. Juni 2020

Verifizierter Kauf

Der Autor hat einige wenige gute Gedanken, aber diese muss man in dem Buch aus dem reichlichen Schrott erstmal heraussieben. Und das lohnt sich nicht. Also besser Finger weg von dem Buch.

Hab‘ das Buch gestern auf den Kindle geladen bekommen und eben zurück gegeben. Ein paar Beispiele aus dem Gedächtnis:

Wer nach Ansicht des Autors den Kapitalismus wegen den widerkehrenden Krisen kritisiert, kritisiert ihn nicht wirklich, sondern akzeptiert ihn und wünscht lediglich die Vermeidung dieser Krisen. Nur liefert eine Kritik an einem System wegen einem bestimmten Phänomen bei eben diesem System, erstmal keinen Anhaltspunkt für eine grundsätzliche Akzeptanz oder Ablehnung eben dieses Systems. Solche gedanklichen Kurzschlüsse finden sich leider öfter in dem Buch.

Das geht auch noch haarsträubender: Neonazis meinen (nach Ansicht des Autor’s) durch Leugnung des Holocaust das dritte Reich rein waschen zu können, als ob das der einzige Geonzid in dieser Zeit gewesen wäre und auch der einzige Unterschied zu dem System, in dem wir jetzt leben. Und damit, meint der Autor, hätten diese ausnahmsweise –und unwissenderweise– mal etwas kapiert. Da hört’s dann bei mir auf. Abgesehen, dass ich davon ausgehe, dass Neonazis durchaus noch die ein oder andere Veränderung am bestehenden System wünschen, sehe ich durchaus den ein oder anderen Unterschied zur Gesellschaft von 1933 bis 1945. Platter geht’s nicht mehr. Na gut, wenigstens genau so platt geht es bei der Abhandlung zum Thema Meinungsfreiheit zu.

Verständlich wird das ganze erst so nach und nach bei der Lektüre des Buchs, wenn so langsam klar wird, wo die politische Heimat des Autor’s liegt. Nämlich in der Gegend hinter dem „antifaschistischen Schutzwall“ bzw das, was man früher dafür hielt. Das Buch fängt noch recht frei von ideologie mit der Abhandlung bestimmter Dogmen in unserer Gesellschaft an. Nach und nach fallen immer öfter die Worte ‚Kapitalismus‘, ‚Kommunismus‘ und ‚Marx‘. Bis wir dann bei ‚Loidolts Blick auf die böse kapitalistische Welt und wie mit Marxismus alles besser werden würde‘ sind.

Die kommunistischen Belehrungen machen das ganze dann immer dröger, bevor man dabei einschläft, wird man bestenfalls durch einen kompletten Aussetzer wachgerüttelt und die gibt es in diesem Buch spätesten alle zwei bis drei Seiten. Wie zB der komplette Querschläger aus dem off, wo er sich gehässig darüber auslässt, dass Feministinnen in den 70er Jahren den penetrationslosen Sex propagierten. So What? Sind das jetzt unsere aktuellen Probleme? Was hat das mit aktuellen Dogmen zu tun? Ich schätze mal auch der ein oder andere stramme Kommunist oder Linke dürfte an dieser Stelle etwas konsterniert sein. Loidolt klingt da beim Schreiben wie ein Mitglied eines Dumpfbacken-Stammtischs.

Loidolts Geschichtswissen scheint wohl zumindest teilweise aus einem Geschichtslehrbuch aus dem Ostblok der 50er Jahre zu stammen. Wie er richtig bemerkt, waren zu allen Zeiten in Nationalstaaten Soldaten die, die im Krieg die Drecksarbeit für Imperialisten machen durften und hinterher oft genug eins wegen Kriegsverbrechen auf den Deckel bekamen, zumindest aber nach ‚getaner Arbeit‘ egal waren. Ganz ander’s nach Loidolt die Soldaten der russischen Armee. Die waren „richtige Helden“. Tja, nur das die russischen Soldaten oft genug von hinten erschossen wurden, wenn sie nicht zackig genug nach vorne liefen. Dann gab es noch den Eid, der zu schwören war, dass man lieber sterben würde als sich zu ergeben. Das sorgte dafür, dass viele der übriggebliebenen hundertausenden russischen Krieggefangenen nach dem 2. Weltkrieg so gar keine Lust hatten, repatrieiert zu werden, dann das bedeutete als Strafe für den „Verrat“, sich gefangen nehmen zu lassen, das Gulag. Solche Punkte blendet Loidolt geflissentlich aus.

Mir fallen spontan etliche Punkte im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System derzeitiger westlicher Staaten ein, die m.E. dringend einer Änderung bedürfen. Allerdings keiner Änderung in Richtung Kommunismus. Das System hat die letzten rund 100 Jahre mit 100 Millionen Toten gezeigt, wo man es am besten lässt: auf dem Müllhaufen der Geschichte. Wer seine politische Heimat in eben diesem dogmatischen System hat, sollte sich besser nicht zu Dogmen äussern. Wenn man den Teich austrocknen will, sollte man die Frösche aussen vor lassen. Auch wenn diese erstmal so tun, als ob sie Beifall quacken.

1 Stern ist noch zuviel für dieses Pamphlet.

Meine Erwiderung:

Die kommunistische Dumpfbacke dankt für diese Demonstration, dass es sich bei dem Buch um eine UNERWÜNSCHTE Widerlegung begehrter Dogmen handelt. Das ist auch nicht erstaunlich, sonst wären diese Dogmen ja nicht so begehrt. Hier ist es das Dogma des Antikommunismus, das sich herausgefordert sieht. Antikommunist ist der Rezensent, weil der Kommunismus in 100 Jahren 100 Millionen Tote hervorgebracht habe. Woher er das so genau weiß, bleibt sein Geheimnis. Selbst wenn das stimmte, wäre ihm der Kapitalismus auch hier überlegen, der ja bekanntlich jährlich mehr als 30 Millionen Hungertote hervorbringen soll, wobei das natürlich auch hier nur Schätzungen sein können.

Damit ist klar: Die Toten des Kommunismus sprechen gegen diesen, weil der Rezensent gegen ihn ist. Beim Kapitalismus ist das nicht so, weil ihm da ja „spontan etliche Punkte im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System derzeitiger westlicher Staaten, die (…) dringend einer Änderung bedürfen“, einfallen. Das wird die Damen und Herren von Staat und Kapital gewiss schwer beeindrucken, auch wenn er nicht einen einzigen Einwand erwähnt – vermutlich ist er von deren Vielzahl einfach überwältigt. Einwände gegen das westliche System haben Faschisten im Übrigen auch, das macht diese noch lange nicht schlüssig. Nahezu jede Person hat ihre Ideale über den Kapitalismus, die ihr als Einwand gegen seine Realität gelten. Das hat allerdings nichts mit Kritik, sondern höchstens mit Utopie zu tun.

Zum Abschluss noch ein Hinweis zu den inhaltlichen Einwänden am Beispiel der sowjetischen Kriegshelden: Das Wort „Held“ kommt im ganzen Buch genau sechsmal vor. Dreimal ist dabei Karl Held gemeint. Einmal mache ich mich über blinden Aktionismus lustig und nenne dessen Protagonisten polemisch „Helden der Tat“. Im Artikel über Kriegsverbrecher kommt folgender Satz über Soldaten, die als Kriegsverbrecher angeklagt werden, vor: „Sie mögen sich also damit trösten, dass sie auch als ‚gefallene Helden‘ für die Weißwaschung ihrer Herrschaft weiterhin die nützlichen Idioten abgeben, die im Krieg deren Feinde ihren ‚gerechten‘ Zorn spüren ließen.“ Die sechste Erwähnung spricht von Kriegshelden: „Weder von der Sowjetunion noch vom heutigen Russland sind solche heuchlerischen Schauprozesse bekannt, deren Soldaten galten auch noch als ‚Kriegshelden‘, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatten.“ Wie man daraus die Behauptung drechseln kann, ich würde diese für „richtige Helden“ halten, lässt sich nur mit der Verwirrung und der Erschütterung erklären, welche die Lektüre des Buches beim „Rezensenten“ hervorgerufen hat.

Dabei hat er sich sogar daran gestoßen, dass „auch der ein oder andere stramme Kommunist oder Linke (…) etwas konsterniert sein (dürfte)“, weil ich etwas Freches über den Feminismus geschrieben habe. Wenn es ihm in den Kram passt, sind ihm offensichtlich auch linke Dogmen lieb und teuer!

Sehr nett, weil verräterisch ist auch die Aussage zum Faschismus, nachdem ich die Demokratie nicht so fundamental von dieser Herrschaftsform unterscheide, wie er das in seinem Demokratie-Idealismus gerne hätte: „Da hört’s dann bei mir auf.“ Das wäre ja schön, wenn es da bei ihm aufhörte, bloß wollte ich nicht erreichen, dass es dabei bleibt. Aber da hätte er ja seine Dogmen über Bord werfen müssen und das wollte er nicht, deswegen hört es da bei ihm auf und ist er zu keiner inhaltlichen Auseinandersetzung fähig!

Albert Krölls: Kritik der Psychologie – Das moderne Opium des Volks

Haben die Menschen in vergangenen Zeit auf Gottes Erlösung gehofft, so setzen sie heutzutage auf die Psychotherapie. Während religiöse Fanatiker den mangelhaften Glauben ihrer Brüder und Schwestern für jeglichen Schaden verantwortlich machen, der ihnen daher als „Strafe Gottes“ gilt, schreiben moderne Menschen ihr Scheitern dem mangelhaften Glauben an sich selbst zu. Psychische Defekte halten sie für die Ursache dieses Mangels und versuchen diese zu beseitigen, um in der bürgerlichen Konkurrenz nicht mehr zu scheitern, sondern erfolgreich zu sein. Daher nennt Albert Krölls die Psychologie das moderne Opium des Volks. Genauso wie Aufputsch- und Beruhigungsmittel wird sie zur Förderung der Konkurrenztüchtigkeit eingesetzt. Darüber hinaus bietet sie auch Methoden zur Bewältigung der Konkurrenzniederlagen an, die ja trotz allen Selbstvertrauens nicht ausbleiben, weil es nun einmal nicht der Zweck der bürgerlichen Gesellschaft ist, dass sich bei allen Bürgern Erfolg einstellt. Auch wenn die Psychologie nicht auf eine Belohnung im Jenseits vertröstet, so lädt sie dazu ein, das Scheitern als Anstoß zur „Entwicklung der Persönlichkeit“ zu nehmen, die dadurch belastbarer werde und somit den Herausforderungen der Konkurrenz in Zukunft besser gewachsen sei. Das kommt den Angeboten der Religion gleich, schmerzhafte Erfahrungen als Prüfungen Gottes zu begreifen, durch die man ein besserer Mensch werden könnte.

In seiner Kritik der Psychologie hält sich Albert Krölls allerdings nicht mit solchen allgemeinen Feststellungen ihres Zusammenhangs mit der bürgerlichen Gesellschaft auf. Er zeigt vielmehr ganz konkret an den Inhalten psychologischer Theorien die Widersprüche auf, die sie sich dadurch einhandeln, dass sie vermeintlichen psychischen Defekten der Menschen anlasten, was sich diese in ihrem bürgerlichen Rechtsbewusstsein antun. Krölls kritisiert den Determinismus der Psychologie, von der Aggressionstheorie bis zu Freud und Skinner, und das darin zum Ausdruck kommende Ideal der Steuerung menschlichen Verhaltens. Anstatt sich in das Bild einer mit sich selbst im Kampf liegenden menschlichen Natur einzufühlen, schlägt er die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft vor, die in den Konkurrenzkämpfen der Bürger und der Nationen besteht. Wer von solcher Kritik nichts wissen will, der muss notwendigerweise falsche Urteile herausbilden, welche die Psychologie zu ihrem System gemacht hat.

Johannes Schillo: Zurück zum Original. Zur Aktualität der Marxschen Theorie

Seit einiger Zeit besteht wieder ein Interesse an der Kapitalismuskritik von Karl Marx, die dieser im „Kapital“ vorgelegt hat. Das ist einerseits wenig erstaunlich angesichts der zahlreichen Krisen, des Wachstums von Armut und Elend, der Kriegsschauplätze und kriegsträchtigen Konflikte rund um den Erdball. Andererseits ist den Autoren dieses Bandes aufgefallen, dass bei dieser neuen Beschäftigung mit Marx, der neuen Marx-Lektüre, häufig der Text des Originals kaum zur Kenntnis genommen wird. Dies führt zu jeder Menge Verzerrungen und Verirrungen, die anhand des Marxschen Texts kritisiert werden. Deswegen ist dieses Buches sowohl für die Auffrischung einer länger zurückliegenden Marx-Lektüre als auch zur Einführung und Begleitung eines Neulings bei der Lektüre des Marxschen „Kapitals“ ausgesprochen nützlich und hilfreich. Ein wichtiges Resultat dieser Untersuchungen lässt sich bereits vorwegnehmen: Um die Lektüre des Originals kommt man in der Regel nicht herum. Den Autoren gelingt es zu zeigen, wie aufschlussreich die Marxschen Erkenntnisse nach wie vor sind, um den Kapitalismus zu erklären und zu kritisieren. Dies gilt allerdings in erster Linie für die ökonomischen Schriften und nicht für die früheren Werke, in denen Marx mit der Kritik zeitgenössischer philosophischer Überzeugungen beschäftigt war und die natürlich für die Erklärung des Kapitalismus bedeutungslos sind.

Nicht nur mit der neuen Marx-Lektüre, sondern auch mit neuen Versuchen der Marx-Widerlegung durch die Extremismusforschung beschäftigt sich dieser Band. Es zeigt sich hier, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung diesem Anliegen widerspricht und stattdessen ganz prinzipiell der Geltungsanspruch der Marxschen Theorie als extremistisch diffamiert wird, kommt er doch dem Geltungsanspruch der Staatsmacht in die Quere.

Aber nicht nur die Kapitalismuskritik, sondern auch die Religionskritik von Marx erfreut sich eines neuen Interesses, vor allem aufgrund der Auseinandersetzungen der weltlichen Mächte mit dem Islam. Was diese Mächte an Religionen schätzen, in bestimmten Fällen aber auch fürchten, wird hier schlüssig dargestellt. Auch hier gibt es eine neue Lektüre, die zu ziemlich unerwarteten Ergebnissen führt, wenn etwa Linke plötzlich auch die Religion nicht mehr links liegenlassen, also nicht den Rechten überlassen wollen. Da wird die Religion plötzlich als ein ganz feines Überlebensmittel angesichts elender Lebensverhältnisse geschätzt – schön, dass sich hier einmal Linke mit dem Staat einig wissen!

Weitere ausführlich erklärte Themen dieses Buches betreffen das Verhältnis von Kapitalismus und Demokratie bzw. Wirtschaft und Staat, die neuesten „Errungenschaften“ der staatlichen Betreuung des nationalen Standortes und der dafür notwendigen Formen von Pauperismus sowie schließlich die „bahnbrechenden“ Erkenntnisse von Piketty. Dieser hat doch tatsächlich in Zahlen gefasst und empirisch belegt, was ohnehin jeder wissen und täglich begutachten könnte, nämlich die zunehmende soziale Ungleichheit, das einzige sichere Wachstum dieser Gesellschaft, nämlich das Wachstum der Kluft zwischen Arm und Reich. Wie es sich mit Pikettys Erklärung dieses Faktums verhält, steht jedoch auf einem anderen Blatt, auch hierzu bietet dieses Buch die nötigen Hinweise.

Hier handelt es sich um ein kenntnis- und erkenntnisreiches Buch, dessen Erwerb sich absolut lohnt Ein Muss für jeden, der begreifen will, in welcher Welt er lebt und was dieser entgegenzusetzen ist, anstatt verständnislos den Kopf zu schütteln oder in den Sand zu stecken.

Renate Dillmann/Arian Schiffer-Nasserie: Der soziale Staat. Über nützliche Armut und ihre Verwaltung

Die hässliche Fratze eines reichen Staates

Bekanntlich behaupten Linke, dass Rechte die Angst vor Armut schüren. Ebenso erklären sie Deutschland zu einem reichen Staat, dem es keine Mühe bereiten sollte, Migranten bei sich aufzunehmen. Demnach müssten sie ein Buch wie dieses, das von der Armut in Deutschland handelt, für ein Propagandamachwerk der Rechten halten, das zur Abschreckung von Migranten geschrieben worden sei.

Hier wird allerdings keine Angst vor Armut geschürt, sondern die längstens bestehende Armut in wesentlichen Details beschrieben, die man bereits ihrer sozialstaatlichen Verwaltung entnehmen kann. Von den Schlussfolgerungen Rechter unterscheidet sich dieses Buch darüber hinaus dadurch, dass es Armut nicht als „Missstand“ und nationales „Versagen“ beklagt, sondern als Mittel kapitalistischer Produktion erklärt, ohne welches diese nicht stattfinden könnte. Deswegen werden hier auch nicht Migranten für Armut verantwortlich gemacht. Armut ist vielmehr eine Voraussetzung und Notwendigkeit für die Produktion kapitalistischen Reichtums und nationaler Macht. Deswegen handelt es sich hier um nützliche Armut, wie es im Untertitel heißt. Zu dieser nützlichen Armut zählen auch die Arbeitslosen, die als industrielle Reservearmee dafür sorgen, dass das Kapital jederzeit auf Arbeitskräfte zugreifen kann, sei es zum Ersatz bestehender „Dienstnehmer“ oder zur Ausweitung seines Geschäfts.

Um die Nützlichkeit dieser Armut herstellen und erhalten zu können, bedarf es ihrer staatlichen Verwaltung und Betreuung. Dabei kommt allerdings keineswegs mehr als ein schäbiges, von Entbehrungen und Krankheiten geprägtes Leben heraus, sodass der Sozialstaat keineswegs so etwas wie die Beseitigung von Armut wäre, nur weil er so etwas wie ein nacktes Überleben ermöglicht und der Verlust des Arbeitsplatzes dadurch nicht bald zur völligen Verwahrlosung in Pauperismus oder Kriminalität führt. Damit weder seinen Unternehmen noch seinem Haushalt die sozialstaatlichen Maßnahmen finanziell zur Last fallen, greift der Staat auf die Löhne zu. Er entscheidet, wie viel dafür vom Lohn abgezweigt werden muss, welche Leistungen dadurch finanziert werden und wie man sich dieser würdig erweist, nämlich durch umfassende Bemühungen zur Nutzbarmachung der eigenen Arbeitskraft für kapitalistischen Bedarf. So verschafft sich der Sozialstaat Handlungsfreiheit bei der Festsetzung der Aufwendungen, die er für angemessen hält – entsprechend sehen diese auch aus. Mittlerweile sind sowohl die tägliche als auch die Lebensarbeitszeit wieder dem Ausgangspunkt vor 150 Jahren nahe, als unter Bismarck eine Pension für Lohnabhängige ab 70 Jahren eingerichtet wurde.

Der Sozialstaat dient der Aufrechterhaltung eines Lebens in den vielen Notlagen, die sich aus der Armut der Lohnabhängigen ergeben, wie an seinem Umgang mit diesen hier ausführlich dargestellt wird. Auch die Auswirkungen der kapitalistischen Entwicklung, die sich auch in der Ausbreitung von Erkrankungen wie Demenz infolge eines geistig vereinseitigenden und auszehrenden Berufsalltags manifestieren, auf die Betreuungsmaßnahmen des Sozialstaates werden ausführlich beschrieben und erklärt.

Das Buch bietet Aufklärung im besten Sinn des Wortes und kann auch als Nachschlagewerk genutzt werden, wobei hier auch Kästen helfen, in denen Erkenntnisse zu bestimmten Schlagwörtern festgehalten werden. Es ist ein absolutes Muss für jeden, der eine nüchterne und schonungslose Analyse des Sozialstaats jenseits ideologischer Verblendung zu schätzen weiß.

Kritik der Betriebswirtschaftslehre (von Alexander Melčok)

Wien, 9. 4. 2018

Hier wird das Standardwerk der Betriebswirtschaftslehre (BWL) von Günter Wöhe, das im Fach auch als „der Wöhe“ bekannt ist, einer Kritik unterzogen. Wöhe beginnt mit einer allgemeinen Bestimmung dessen, was Wirtschaften sei. Ohne die existierende Wirtschaft vorher zu untersuchen, weiß diese „Bibel“ der BWL genau Bescheid, dass Wirtschaften im möglichst zweckmäßigen bzw. effizienten Umgang mit knappen Gütern besteht. Knapp seien dabei prinzipiell alle Güter unabhängig von ihrer vorhandenen Menge, da es sich beim Menschen um ein unersättliches Wesen handle. Der naturgegebenen Knappheit der Ressourcen stehe daher die Unbegrenztheit der menschlichen Bedürfnisse gegenüber (Position 104). Wirtschaften nenne man daher „den sorgsamen Umgang mit knappen Ressourcen“ (Zitat aus Wöhe, Position 119). Dieses Prinzip verwirft diese Kritik als Abstraktion, deren Fragwürdigkeit sich bereits darin erweist, dass nicht zwischen der knappen Zahlungsfähigkeit eines privaten Haushalts und dem Geldeinsatz eines kapitalistischen Unternehmens unterschieden wird. Letzteres produziert mit modernster Technik und überschwemmt den Weltmarkt, wo daher alles andere als Knappheit herrscht. Deswegen hat das Kapital ja auch am Markt plötzlich alles andere als sorgsamen Umgang mit Knappheit im Sinn, sondern will diesen bei seinen Käufern gerade außer Kraft setzen: Es will nun Absatzwiderstände überwinden, die darin bestehen, dass die Menschen trotz ihrer eben noch als unbegrenzt präsentierten Bedürfnisse den Kauf verweigern. Dies teilt Wöhe seinen Studenten im Kapitel über Marketing mit (in dieser Kritik ab Position 1367), ohne auch nur einen Gedanken an den Widerspruch zu verschwenden, den er sich damit einhandelt.

Bereits am Knappheitstheorem, das Wöhe dogmatisch als Prinzip allen Wirtschaftens setzt, so als wäre es bereits in dessen Begriff enthalten, wird deutlich, dass es sich um eine Übersetzung des kapitalistischen Verhältnisses handelt, in dem der finanzielle Ertrag, der auch als Profit bekannt ist, möglichst hoch über dem Aufwand, besser bekannt als Kosten, liegen soll. Aus diesem Grund konstatiert diese Kritik der BWL auch zwei nicht ganz kompatible Prinzipien bei Wöhe, der neben der Ideologie des Knappheitstheorems mit seiner angeblichen Optimierung der menschlichen Bedürfnisbefriedigung auch praktisch nützliches Wissen bieten will. Mit dieser Hinwendung zur kapitalistischen Wirklichkeit entgeht ihm jedoch nicht, dass diese „auf die eigennützige Bereicherung der Betriebseigner abzielt“ (Position 321). Die Prinzipien „Optimierung menschlicher Bedürfnisbefriedigung“ und „Bereicherung der Betriebseigner“ stehen sich daher unvermittelt gegenüber, sollen aber natürlich einander ergänzen, wofür Wöhe einfach auf die von der kapitalistischen Wirklichkeit eigentlich schon längst blamierte Ideologie der unsichtbaren Hand von Adam Smith zurückgreift (Position 326). Im Unterschied zu Marx spricht hier das Alter dieser „Theorie“ nicht gegen sie.

Indem die BWL die Erzeugung von Gewinn mit dem möglichst zweckmäßigen Einsatz der Mittel am Beispiel der Heiztechnik gleichsetzt, erspart sie sich die Erklärung des Gewinns. Dieser ist einfach als Prinzip der wirtschaftlichen Realität unterstellt, und weil es in dieser um Gewinn geht, widmet sich das Lehrbuch den Methoden für dessen Steigerung. Genauso beruft sich die BWL auf die wirtschaftliche Realität, um damit die Gültigkeit ihrer Modelle nachzuweisen, die für eine „vereinfachte Abbildung der Wirklichkeit“ (Wöhe, Position 204) notwendig seien. Sich auf die Realität zu berufen oder diese abzubilden, ist aber etwas anderes, als diese zu erklären, Letzteres wäre die Aufgabe einer Wissenschaft. Stattdessen affirmiert die BWL die gesellschaftliche Natur der Menschen im Kapitalismus zur Natur des Menschen überhaupt (Position 239) und erweist sich damit endgültig als Ideologie zur Rechtfertigung der kapitalistischen Wirtschaft, die deren auszubildenden Nachwuchs mit dem entsprechenden Sendungsbewusstsein für künftige Führungsaufgaben ausstatten soll. Diese sollen Unternehmensführung als „Berufung“ begreifen, die einen Dienst an der Menschheit darstelle. Zu diesem Zweck werden auch einfache organisatorische Zusammenhänge bedeutungsvoll dargestellt, indem man diese z. B. in „schöne lateinische Adjektive“ (Position 675) übersetzt und von der Unterscheidung „zwischen komplementären, konkurrierenden und indifferenten Zielen“ (Wöhe, Position 676) schwätzt.

Welche Verrenkungen in theoretischer Hinsicht unter anderem auch für das Bedürfnis, die notwendigerweise spekulative Natur des Geschäfts (Positionen 1739 und 1834) berechenbar zu machen, erforderlich sind, stellt diese gelungene Kritik der BWL auf lehrreiche und anschauliche Weise dar.

Jan Fleischhauer: Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde, Reinbek bei Hamburg, 2009

Kurzcharakteristik: Kritik linker Selbstbeweihräucherung, die teilweise bürgerlichen Zynismus in Absetzung vom linken Moralismus praktiziert.

Jan Fleischhauers Buch „Unter Linken“ ist durchaus witzig, wenn es die selbstgefälligen Heucheleien der Linken bei der Protektion ihrer bevorzugten Opfer bloßstellt. Dass Linke darüber kein einziges Mal lachen können, ist klar, da kein Scherz über jene Anliegen gestattet ist, deren vermeintliche Bedeutung heiligen Ernst verlangt. Umgekehrt können Rechte ja auch keine Scherze über Themen und Urteile, die ihnen wichtig sind, vertragen.

Das Milieu der Linksschickeria, das bei Medien- und Kulturschaffenden dominiert, nimmt der Autor gelungen aufs Korn. Es ist die kleinbürgerliche Kapitalismuskritik der linken Spießer, die er damit trifft. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie die moralischen Tugenden, welche in der bürgerlichen Gesellschaft gewürdigt werden, um deren Selbstzerfleischung zu verhindern, enger als üblich auslegt. So klagen die linken Bourgeois über die Profitgier, zu der das gesunde Erwerbsstreben mutiert sei, wenn wieder einmal eine Krise der Kapitalverwertung ansteht. Die Verantwortung, die Kapitalisten gerne als eigentliches Motiv der Durchsetzung ihrer Interessen herausstreichen, nehmen sie ernst, um diese der Verantwortungslosigkeit zu rügen, wenn sie mit ihren Unternehmen scheitern. Ganz allgemein treten sie für mehr Moral als Heilmittel gegen die schnöde materialistische Welt ein, für die sie den Kapitalismus halten. Dass Marx sich als Materialist verstand und im „Manifest der Kommunistischen Partei“ der bürgerlichen Gesellschaft Respekt dafür zollte, dass alles Heilige in ihr verdampfe und sich das nüchterne Interesse als Prinzip der gesellschaftlichen Beziehungen offenbare, interessiert keinen dieser durchgedrehten Moralisten, die sich als Linke verstehen.

Da man als Moralapostel kaum ein heuchlerisches Erscheinungsbild vermeiden kann, liefert die Linksschickeria in ihrem moralischen Überlegenheitsgefühl jede Menge Anlass für die Kritik, die Fleischhauer durchführt. Alle Erniedrigten und Beleidigten, auch die selbsternannten, werden zum Objekt der linken Fürsorge, deren Repräsentanten sich damit als Gutmenschen in Szene setzen und ihren guten Ruf pflegen können. Der Erfindung des Opfers widmet sich daher Fleischhauers erstes Kapitel seiner Untersuchung des mondänen linken Denkens. Hier finden sich auch unerwartete Subjekte wie die Gehörlosen, deren Lebensweise diskriminiert werde, wenn man ihnen Hörhilfen zur Verfügung stelle.

Danach nimmt sich der Autor die Ausmalung utopischer Gesellschaftsentwürfe vor, bei der natürlich Platon nicht fehlen darf, nachdem dieser bereits von Popper und Glucksmann als Ahnherr des Despotismus entlarvt worden ist. Platon war für eine strenge gesellschaftliche Hierarchie von Ständen, was sich zwar schlecht mit dem Gleichheitsgebot des Kommunismus vereinbaren lässt, aber die Reglementierungen, die er für die Zusammenarbeit der Stände vorsah, nimmt Fleischhauer natürlich gerne als Vorzeichen sozialistischer Regulierung oder gar kommunistischer Planung. Die Strenge des Klosters und die Ruhe des Gefängnishofes gelten ihm als Vorbild dieser Gesellschaftskonzepte. (Position 1009) Wie dazu die Marx’sche Utopie einer ungebundenen Individualität passen soll, die morgens Jäger, nachmittags Fischer und nach dem Essen Kritiker sein könne (Position 999), bleibt jedoch Fleischhauers Geheimnis. Da sich die menschliche Natur gegen Regelungen sträube, obwohl jedes kapitalistische Unternehmen das Gegenteil davon bezeugt, ergebe sich die Gewalt sozialistischer Gesellschaften logischerweise aus dieser Lücke zwischen Utopie und Realität. (Position 1097) In ihrem Regulierungs- und Kontrollwahn sei die Linke auch auf die überschaubare Großkommune fixiert (Position 1163), weil sie in dieser ihre kleine Welt finde, die sie in diesem Fall gar nicht als kleinbürgerlich betrachtet.

Im dritten Kapitel setzt sich der Autor mit den Widersprüchen der linken Bildungspolitik auseinander, die sich daraus ergeben, dass Linke nicht ganz nüchtern den Auftrag der Selektion des Nachwuchses für die verschiedenen „Karrieren“ der bürgerlichen Gesellschaft zur Kenntnis nehmen, wie das im Gegensatz zu ihnen Freerk Huisken macht. Sie wollen gegen den Zweck der Bildungseinrichtungen eine Gleichheit bei den Ausbildungsresultaten erreichen, mit denen die derart beglückten Schüler in der bürgerlichen Gesellschaft gar nichts anfangen könnten, da diese deswegen nicht ihre Berufshierarchien aufheben wird.

Das vierte Kapitel zeigt auf, wie die Linken den Staat für die eigene Alimentierung zu nutzen verstanden, indem sie sich im öffentlichen Dienst und im Universitätswesen breitmachten. Dabei gelang ihnen auch eine entsprechende Aufblähung der Apparate, um ihresgleichen mit Anstellungen und Aufträgen zu versorgen. Generell seien es die Vorlauten, Cleveren und Unverschämten, die den Sozialstaat für sich einzuspannen verstehen, behauptet Fleischhauer zu Recht. (Position 1988) Dadurch würde der Staat sich immer neue Aufgaben aufhalsen und seine Kernaufgaben nicht erfüllen, sodass z. B. Eltern die Klassenzimmer ihrer Kinder streichen müssen. (Position 2027)

Im fünften Kapitel geht Fleischhauer auf den Umgang der Linken mit vielbeschworenen Volk ein, dem sie seine mangelnde Revolutionsbereitschaft übelnehmen. So schließt Herbert Marcuse daraus ohne jedes Argument schlicht und einfach auf ein verwirrtes Volk, nur dass diese Verwirrtheit bei ihm „totale Entfremdung“ heißt. (Position 2427) Ferner verteidigt Fleischhauer den deutschen Mittelstand, über dessen Geduld sich die Linke lustig mache, die darüber froh sein müsste, da die geschmähten Kleinbürger im Unterschied zu den Reichen immer die Zeche für den Sozialstaat zu zahlen hätten.

Kapitel sechs ist eine Kritik des Antizionismus und der komplementären Palästinenserfreundschaft. Das siebte Kapitel geht auf das Dogma vom Täter ein, der eigentlich ein Opfer sei, wodurch des Öfteren unvorsichtige Resozialisierungsmaßnahmen durchgeführt wurden, die leider nicht jene büßen mussten, die hier fahrlässig gehandelt haben. Im achten Kapitel wird die Frechheit der muslimischen, hier vor allem der türkischen Gemeinde bloßgestellt, die jeden Deutschen, der ihr widerspricht, zum Nazi erklärt. Das neunte Kapitel geht auf dieselbe Verfahrensweise der Linken gegen ihre Kritiker ein, die ja ebenso billig als Faschisten angeprangert werden. Dabei geht Fleischhauer jedoch so weit, diesen Vorwurf einfach zurückzugeben, was bereits dadurch berechtigt sei, dass auch der Nationalsozialismus ein Sozialismus sei. Aus dieser Selbstbezeichnung folgt jedoch überhaupt nichts, sie könnte ja genauso gut einem falschen Selbstverständnis oder einem Täuschungsmanöver entsprungen sein. Auch ist bemerkenswert, dass hier wieder alles schlecht sein soll, was mit den Nazis zu tun hat, während er genau diese Einstellung zuvor den Linken zur Last gelegt hat.

Fleischhauer weist in diesem Zusammenhang auf die Einschränkungen der kapitalistischen Freiheit unter der Obhut der Nazis und auf deren Programme zur Förderung der proletarischen Reproduktion hin. Dass diese Maßnahmen der Kriegsvorbereitung dienten und dafür ein gestärktes Volk vonnöten ist, kommt ihm in seiner Fixierung auf die beabsichtigte Gleichsetzung von Nazis und Linken nicht in den Sinn. Ebenso fällt ihm die faschistische Verherrlichung des Kampfes und der Stärke nicht ein, auf deren Grundlage die Nazis das „schaffende“ Industriekapital förderten und das „raffende“ Finanzkapital als jüdisch-parasitär verunglimpften. Die Auffassung, dass starke Menschen zu fördern und schwache zu eliminieren seien, die zum Holocaust führte, widerspricht darüber hinaus der sozialistischen Auffassung von der grundsätzlichen Gleichheit der Menschen. Das völkische Gleichheitsversprechen der Nazis ist daher nur die Kehrseite ihrer nationalen Überhöhung und ihres Selbstverständnisses als Herrenmenschen gewesen.

Ferner ist das Lob des Kapitalismus zu kritisieren: „Kein Wirtschaftssystem hat mehr gegen Armut und Hunger getan“ (Position 1251), posaunt Fleischhauer, selbst die Globalisierung würde nur unter falscher Wahrnehmung leiden und habe das Leben der Menschen weltweit verbessert. Den Beweis für diese Behauptungen bleibt er wohl nicht zufällig schuldig. Auch frage ich mich, wo die vielen Millionen Menschen herkommen, die angeblich jährlich an den Folgen von Hunger und Unterernährung sterben. Sind die reine Erfindung, falsch interpretiert oder dem Kapitalismus nicht zuzuschreiben, weil nur dort vorhanden, wo er eben „unterentwickelt“, also gar nicht wirklich vorhanden sei? Auch ist es lächerlich, wenn Fleischhauer in der Folge davon spricht, dass der Kapitalismus seine Versprechen halte (Position 1273). Was soll da jemals versprochen worden sein, außer dass jeder für sich zu sorgen habe, bei Strafe seines Untergangs? Aus diesem Grund legen die Menschen sich ja ihr Scheitern zur Last, entwickeln massenhaft Depressionen und begehen Suizid. Das ist auch ein Unterschied zu den realsozialistischen Staaten gewesen, dass diese tatsächlich für sich in Anspruch nahmen, die Menschen zu versorgen. Daran wurden die Staatsführer gemessen und jedes unbefriedigende Resultat wurde ihnen zur Last gelegt, nicht individuellem Versagen.

Schließlich ist noch die Behauptung eines Beweises bedürftig, dass ohne die Sanierung der neuen Bundesländer „die Wachstumsquote in den alten Bundesländern … etwa doppelt so hoch ausgefallen“ wäre. (Position 237) Wie hätte das bitte aussehen sollen? Boten die Maßnahmen zur Sanierung der Ostgebiete nicht im Gegensatz zu dieser Behauptung einen Absatzmarkt, der das Kapitalwachstum der alten Bundesländer beförderte, anstatt es zu behindern? Das ist mit Sicherheit eine der schwächsten Aussagen in diesem Buch, vor allem weil als Begründung dafür die Berufung auf einen Bericht der EU-Kommission aus dem Jahr 2002 herhalten muss. Auch die Behauptung Fleischhauers, gerade die Krise bestätige seinen Konservatismus, nährt den Verdacht, dass er nun in die umgekehrten Denkfallen der Linken tritt, die er doch recht treffend und amüsant kritisiert hat. Auch dafür bleibt er den Beweis im letzten Kapitel schuldig, er behauptet nur, dass auch der bürgerliche Staat kein Garant gegen Krisen ist – welcher Kommunist würde das auch bestreiten! Für ihn scheint die Krise ein Ausdruck der menschlichen Unzulänglichkeit zu sein, die einfach in der menschlichen Natur liegt. Würde man Krisen abstellen wollen, so käme dies für ihn wohl nur wieder einem in Despotismus und Terror ausartenden Angriff auf diese Menschennatur gleich. So ist die Krise für Fleischhauer nicht ein Einwand gegen den Kapitalismus, sondern die Bestätigung seiner Übereinstimmung mit der menschlichen Natur. Möglicherweise hat ihm seine Fixierung auf die linken Spießer den Blick für eine Kapitalismuskritik getrübt, die nicht so etwas wie angewandte Moral ist.

Fazit: Trotz Einwänden lesenswert, macht die Schwächen nicht nur linker, sondern unfreiwilligerweise auch konservativer Standpunkte deutlich.