Vom Nutzen der Lohnarbeit

Wien, 10. 2. 2020

In der ORF-Sendung „Report“ vom 4. 2. 2020 befragte Wolfgang Wagner den Landeshauptmann des Burgenlands, Hans Peter Doskozil, zu seinen „revolutionären“ Plänen. Dieser hat nämlich so unverständliche Vorstellungen wie jene, dass man von dem Lohn leben können müsse, den man für seine Arbeit erhält. Schließlich müsse man Mieten zahlen und benötige auch ein Auto, um die Notwendigkeiten eines bürgerlichen Alltags zu bewältigen. Dafür erklärt er die Durchsetzung eines Mindestlohns von 1700,- Euro netto notwendig.

Dem hält Wolfgang Wagner entgegen, dass ihn nicht einmal seine Partei, die SPÖ, in dieser Sache folgen würde. Dadurch sieht er sich in seinen Zweifeln bestätigt, denn schließlich wäre auch die Privatwirtschaft nicht bereit, diesen Mindestlohn zu akzeptieren. Natürlich fällt ihm als bürgerlichem Gerechtigkeitsfanatiker auch sofort ein, dass ein solcher Mindestlohn möglicherweise die Differenzierung der Löhne gemäß der Kriterien von Ausbildung und Leistung nicht mehr ermöglichen würde. Schließlich würden dadurch plötzlich Menschen in den Genuss eines Lohns kommen, den bisher nur entsprechend ausgebildete Menschen erhalten haben.

Es ist wirklich bemerkenswert, mit welch kaltschnäuzigem Zynismus ein Journalist, der sich für einen kritischen Menschen hält, hier freimütig seine Menschenverachtung bekennt. Die Vorstellung, Lohnarbeit sei mit der bloßen Existenzerhaltung der Lohnempfänger vereinbar, erscheint ihm äußerst befremdlich. Damit gibt er zwar eine Wahrheit der bürgerlichen Gesellschaft kund, dies scheint ihm aber keineswegs bewusst zu sein, denn sonst müsste er zur Kritik dieser Gesellschaft übergehen. Wenn er nun gegen Doskozil sich auf den Standpunkt stellt, die in der bürgerlichen Gesellschaft herrschende Rechungsweise vertrage sich nicht mit den Lebensbedürfnissen der Lohnarbeiter, so hat er damit recht, zieht aber daraus nicht den Schluss, dass dies gegen die bürgerliche Gesellschaft spricht. Wäre Wagner während der NS-Herrschaft ein Journalist gewesen, hätte er wohl seine Zweifel gehabt, wenn irgendjemand den unerhörten Gedanken gewagt hätte, ob der „Endsieg“ der arischen Rasse auch ohne die Massenvernichtung der Juden zu erreichen wäre. An solchen Journalisten lässt sich daher sehr schön demonstrieren, wie lächerlich das Greinen darüber ist, dass der Widerstand gegen die NS-Herrschaft sich auf ein paar Minderheiten beschränkt hat. Sie beweisen schließlich in ihrer Person, dass sie eher bereit sind, den Schaden anderer Menschen in Kauf zu nehmen, als an ihren Überzeugungen zu rütteln. Die Überzeugung des Herrn Wagner kann nämlich nur sein, dass die bürgerliche Gesellschaft die beste aller möglichen Welten ist, auch wenn sie massenhaft Menschen hervorbringt, die von ihrer Arbeit nicht leben können.

Wagner beweist damit auch, dass er kein Problem damit hat, wenn die bürgerliche Gesellschaft ihren Idealen nicht entspricht. Denn daran festhalten, dass sie eigentlich allen Menschen nützen würde, will er trotz des dazu widersprüchlichen Befundes der Massenarmut. Damit fügt er sich nahtlos in die Riege der übrigen Journalistenzunft ein, die auch kein Problem damit hat, wenn sie in ihrer Berichterstattung die bürgerliche Ideologie des Rechtsstaates erschüttert. So wird derzeit zwischen ÖVP und SPÖ darüber gestritten, dass beide Parteien versuchen würden, einen größeren Einfluss auf die Justiz zu erhalten, indem sie Gesinnungsgenossen dort unterbringen. Misstrauen sie der unparteiischen Haltung der Justiz oder ist es gerade diese Haltung, die sie dadurch zu unterwandern beabsichtigen? Wenn es aber darum geht, sich die Rechtsprechung gewogen zu machen, wie kommt es dann, dass sie nicht befürchten, dadurch den Anschein einer unparteiischen Justiz zunichte zu machen? Solche Fragen stellt sich ein bürgerlicher Journalist nicht einmal, er brüstet sich nämlich lieber damit, durch seine mutige „Aufklärungsarbeit“ die hehren Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft gegen die Übergriffe verkommener politischer Führer zu verteidigen. Als solch ein Übergriff gelten einem Journalisten wohl auch die „weltfremden“ Forderungen des Herrn Doskozil nach einem Mindestlohn von 1700,- Euro netto.

Der „Realismus“ der SPÖ wird hier allerdings schon für die Einsicht sorgen, dass man es mit dem Mindestlohn nicht übertreiben darf. So erweist sich die Heuchelei als das Merkmal, wodurch sich die Sozialdemokratie von den übrigen Parteien unterscheidet, und erlebt deswegen derzeit ihren wohlverdienten Niedergang. Schließlich erklärt sie den Proleten seit Jahrzehnten, dass die Klassengesellschaft ihre soziale Heimat sei und Arbeitslosigkeit hierzulande nur vermieden werden könne, wenn man sie dem Ausland verschaffe, indem man das dort angesiedelte Kapital in der Konkurrenz bezwinge. Wenn die Proleten nun zu jenen Parteien überlaufen, die diesen Standpunkt glaubwürdiger vertreten, so erhält die Sozialdemokratie damit nur die Resultate ihrer Politik, die sie redlich verdient hat.

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