Krieg in der Ukraine – Sternstunden der Propaganda
Um das gleich einmal vorauszuschicken: Mir wäre es auch lieber, wenn Russland keinen Krieg gegen die Ukraine führen würde. Leider sehen das die USA und die EU nicht so, insbesondere der ukrainische Staatschef hofft dadurch die Aufnahme in die westlichen Bündnisse EU und NATO erzwingen zu können. Deswegen hindert er bekanntlich auch die männliche Bevölkerung der Ukraine im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 60 Jahren an der Ausreise, die sich für diesen Zweck opfern soll. Wie üblich fällt hier auch niemandem ein, von geschlechtlicher Diskriminierung zu sprechen, und es fragt sich auch niemand, wofür es dieses Ausreiseverbot braucht, wo doch ohnehin jeder Ukrainer zum Kampf gegen Russland fest entschlossen sei.
Welche Gründe Putin für diesen Krieg haben mag, interessiert keinen Menschen, obwohl in den letzten Jahren in der Ukraine Fakten geschaffen wurden, welche hinzunehmen man eigentlich nur einem Kriegsverlierer zumuten würde. So lautete bereits 2014 die Kritik Russlands an einer Einbindung der Ukraine in die EU: „Zahlreiche industrielle Verflechtungen zwischen Russland und der Ukraine wären von der Umstellung auf die technischen Normen und Standards der EU betroffen, u. a. auch sicherheitspolitisch bedeutsame Kooperationen in Abteilungen der Rüstungsproduktion, im Raketen- und Flugzeugbau.“ Dies hätte gravierende Auswirkungen für Russlands Handlungsfähigkeit, die sich keine Nation bieten lassen würde, was in dem eben zitierten Text mit folgender rhetorischer Frage aufzeigt wird: „Was würde deutschen Politikern wohl einfallen, wenn sich ein Nicht-EU-Mitglied die Kontrolle über Teile der Airbusproduktion verschafft?“[1]
Auch die Provokationen der Ukraine gelten wohl als bloße Hofnarrenscherze, zumal es sich beim aktuellen Staatsoberhaupt der Ukraine ja auch um einen Kabarettisten handelt. Hätte Russland diese „harmlosen“ Sticheleien doch nur vornehm zur Kenntnis genommen, um zumindest als moralischer Sieger dazustehen, wenn es dafür auch reale Niederlagen in Kauf nehmen hätte müssen! Was ist denn schon dabei, wenn die Ukraine ein bisschen Krieg spielt, für „Straßen- und Häuserkämpfe in städtischer Umgebung“ probt und die „Vorverlegung schwerer Waffen, die gemäß einer Einigung im Minsk-Format zurückverlegt worden waren“,[2] durchführt? Wie kann man nur so kleinlich sein, im Ziel der Ukraine, ihre territoriale Integrität innerhalb ihrer Staatsgrenzen wiederherzustellen, die Gefahr eines „Srebrenica im Donbass“[3] erblicken zu wollen? Was sollen denn Manöver der USA auf ukrainischem Boden anderes sein als Verteidigungsvorbereitungen, wenn die USA nun einmal weltweit ihre Interessen zu verteidigen haben?
Da kann die Selenskyj-Regierung noch so offen die Strategie verfolgen, einen russischen Angriff zu provozieren und damit das Eingreifen von USA und NATO zu ihren Gunsten zu erzwingen,[4] für die USA ist es keine Option, sich „vom ukrainischen Revanchismus in dessen Krieg hineinziehen zu lassen“.[5] Die USA bestimmen schließlich immer noch selbst, wann wieder einmal Krieg geboten ist: „Die Dienstleistungen, für die Amerika die Ukraine und ihr Militär verplant hat, decken sich eben überhaupt nicht mit den Zielen des aktuellen Präsidenten (gemeint ist der Präsident der Ukraine – Anm. G.L.) in seinem politischen Überlebenskampf: Russland mit einer Dauerinvasionsdrohung im Donbass militärisch bedrängen, erhebliche russische Kräfte binden, das ist in den USA erwünscht; dafür sind die ca. 2 Mrd. $, die in den letzten sieben Jahren ins ukrainische Militär gesteckt worden sind, gut angelegtes Geld. Aber ihre Konfrontation mit Russland wollen die USA schon weiterhin selbst gestalten: erstens mit dem schier unendlich erscheinenden Arsenal der zivilen Kriegführung, das der US-Regierung die gute Hoffnung einflößt, den großen Rivalen nach Belieben zu schwächen; und zweitens mit der Fortentwicklung ihrer militärischen Fähigkeiten zur Entmachtung des Kreml in Szenarien ihrer Wahl – unter maßgeblicher Beteiligung auch des geschätzten Verbündeten Ukraine: Allein sieben Manöver finden auf ukrainischem Boden im laufenden Jahr statt, darunter das Großmanöver ‚Defender-Europe 21‘ im Schwarzen Meer. Aber über den Ernstfall und sein Eintrittsdatum will die Weltmacht ganz nach ihrem Bedarf entscheiden.“[6]
Politische Abenteurer wie der ukrainische Präsident Selenskyj wollen dadurch Karriere machen, dass sie sich den Interessen von EU und NATO dienstbar erweisen, und machen die frustrierende Erfahrung, dass sich der dadurch erhoffte nationale Erfolg gar nicht einstellen will. Der Angriff Russlands auf die Ukraine nährt daher nun die Hoffnung, den Beistand dieser Mächte endlich in jenem Ausmaß zu erhalten, welches diese bisher verweigert hatten. Den Interessen von EU und USA kommt Putin damit tatsächlich in die Quere, deswegen zieren sich diese auch nach Auffassung der ukrainischen Führung immer noch viel zu sehr in ihren Unterstützungsmaßnahmen. Die Ukraine wird jedoch für ihre Helden gefeiert, die sich nach Art von Hitlers Volkssturm der russischen Invasion entgegenstellen, um Russland einen hohen Blutzoll abzutrotzen. Da werden auch Menschen, die sich mit einer Brücke in die Luft sprengen, nicht als Selbstmordattentäter verabscheut, sondern zu Kriegshelden erklärt.[7] Wen interessiert es schon, dass damit wohl bald das Ziel Russlands, militärische Einrichtungen auszuschalten und die Zivilbevölkerung zu schonen, nicht mehr beachtet werden wird? Hier hat Putin auch die Fehleinschätzung gemacht, dass es eine Spaltung zwischen einer faschistischen Führung und einem braven Volk gäbe, das sich ohnehin nicht für diese Führung opfern würde, nun aber genau dazu fest entschlossen ist. Angesichts dieser Lage wird es wohl auch bald mit der versprochenen Rücksichtnahme auf die Zivilisten des vermeintlichen Brudervolkes vorbei sein.
Nun hat Russland also die Berechnungen von USA und NATO zunichte gemacht, dass man durch Schaffung einer angemessenen Bedrohungskulisse den russischen Riesen mehr oder weniger „friedlich“ den eigenen Interessen unterwerfen könnte. Putin hat sich nicht erpressen lassen, eine Vorgangsweise von NATO und USA zu akzeptieren, die sich Staaten üblicherweise erst nach Kriegsniederlagen bieten lassen müssen. Da dies niemand in der westlichen Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen will, da niemand einen Einwand dagegen hat, dass Russland von der NATO immer mehr in die Zange genommen wird, gilt Russland nun als durchgeknallter Aggressor, dessen Handeln sich nur durch die Wahnvorstellungen eines Verrückten erklären lasse. Schließlich lässt sich eines gewiss nicht bestreiten: Mit seiner Invasion in der Ukraine erscheint Russland als Aggressor. Die Frage ist nur, wogegen sich diese Aggression richtet und ob Aggression nicht auch ein Versuch der Gegenwehr sein kann. Für Putin stellt sich die Situation ganz sicher so dar, er will nicht wieder warten, bis ein Angriff aus dem Westen kommt, wie das unter Napoleon sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg geschehen ist.
So sieht sie eben aus, die „friedliche“ Weltordnung seit Abdankung des Sowjetreiches. Da schien die Welt in bester Ordnung, die Sowjetunion hatte sich dem Totrüsten des Westens gebeugt und schließlich ohne Krieg kapituliert. Und sie ging auch gleich beim ehemaligen Klassenfeind in die Lehre und bot ihre Konkursmasse dessen befugten Händen zur kapitalistischen Verwertung an. Diese bestand in einer großflächigen Abwrackung von Produktionsstätten und der kapitalistischen Nutzung des Restes, insbesondere gut ausgebildeter und billiger Arbeiter sowie der Energieträger Erdöl und Erdgas. Weil man sich der nützlichen Dienste Russlands mit seiner nun kapitalistischen Ausrichtung so gewiss war, kam es auch zu jenem Zugriff auf billiges russisches Erdgas, der heute als Abhängigkeit beklagt wird. Das neue Russland wollte sich nämlich keineswegs damit begnügen, billige Energie und Arbeitskräfte bereitzustellen, und so kamen auch die ersten Konflikte um Einflusssphären auf, denn in der freien Marktwirtschaft gilt das Recht des Erfolgreichen und Starken, der die Bedingungen internationalen Handels setzt, um seinen Erfolg sicherzustellen. Angesichts der Sorge, dass mit China und Russland ein neuer Machtblock entstehen könnte, machten sich EU und NATO an die Osterweiterung, die nun zum Krieg in der Ukraine geführt hat.
In diesem Krieg kann man es sich als Außenstehender nun leicht machen und dem „Aggressor“ Russland alles Übel dieser Welt wünschen. Da muss man sich das Leben nicht mit dem irritierenden Gedanken schwermachen, dass es Putin vielleicht satt hatte, sich für die bisherige „Besonnenheit“ als „moralischer Sieger“ loben zu lassen und darüber in der Staatenkonkurrenz zum Verlierer zu werden. So wird Russland zum Störenfried der scheinbar „friedlichen“ Weltordnung, deren soziale Verheerungen man auch gar nicht beschönigt, sondern z. B. in dem Film „Mind the Gap“ gerne zur Diskussion stellt, solange es bei Diskussionen bleibt. Beim Krieg in der Ukraine kann man sich nun leicht als Gutmensch inszenieren, indem man sich gegen jede Form von Gewalt ausspricht, obwohl man mit dieser Einstellung z. B. Hitler nie in die Knie gezwungen hätte. Die westliche Öffentlichkeit macht sich damit jenes Verrats der Intellektuellen schuldig, den bereits Julien Benda kritisiert hat: „Ein Argument dieser Clercs war die These, die Kleinen müßten zwangsläufig die Beute der Großen werden, das sei das Gesetz dieser Welt, und wer die Kleinen auffordert, sich ihm zu widersetzen, der sei der wahre Störer des Friedens. Wenn es euch nicht gäbe, so hielten sie dem Genfer Gerichtshof mehr oder minder unverhüllt vor, dann hätte das mächtige Italien in Ruhe das schwache Äthiopien verschluckt und die Welt stünde jetzt nicht in Flammen.“[8] Auch wenn es im Krieg Russlands gegen die Ukraine so scheint, als wäre die Ukraine der Kleine, der sich nur zur Wehr setzen würde, verhält es sich genau umgekehrt. Die Ukraine inszeniert sich allerdings geschickt als der Kleine, der das Opfer einer völlig unverständlichen Aggression Russlands sei, denn auch sie will nicht nur als der nützliche Idiot der USA agieren und nur nach deren Befehl gegen Russland vorgehen, sondern dieses Interesse der USA und der EU benutzen, um im Wettstreit imperialistischer Nationen an Bedeutung zu gewinnen.
Trotz dieses kurzen Aufrisses der Motive Russlands für die Invasion der Ukraine will ich nicht für Russland Partei ergreifen. Russland hat sich nach der Abdankung der Sowjetunion seine früheren Systemgegner zum Vorbild gemacht und will nun mit deren Methoden erfolgreich sein, genauso wie China. China und Russland streben den imperialistischen Erfolgsweg an, den ihnen die USA vorgezeigt haben, und es ist daher nicht für sie Partei zu ergreifen, wenn ihre Berechnungen nicht aufgehen. Eine unterlegene Nation, die nicht die imperialistischen Herrschaftsverhältnisse aufheben, sondern sich zu deren Nutznießer erheben will, trifft die gleiche Kritik wie jene, die diese Herrschaftsverhältnisse eingerichtet haben.[9]
Auf die Idee, im Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht Partei zu ergreifen. sondern diesen Krieg als Folge einer Weltordnung zu begreifen, die abzulehnen ist, kommt in der hiesigen Öffentlichkeit anscheinend niemand. Das Feindbild Russland wird mit Material versorgt, die Verhaftung von Russen, die gegen diesen Krieg demonstrieren, gilt nur als weiterer Beleg für die Herrschsucht des Systems Putin. Das muss man sich auch auf der Zunge zergehen lassen: Wikileaks-Gründer Julian Assange wird von den USA gnadenlos verfolgt und fertiggemacht, weil er deren Ruf ein wenig beschädigt hat, aber Russland soll Demonstrationen zulassen, die für eine Nation im Kriegszustand tatsächlich ein Problem darstellen, weil sie die Kampfmoral schädigen können! Aber man kann auch so tun, als würde man ganz sachlich Putins Rechtfertigung für den Krieg gegen die Ukraine überprüfen. Hier hat wieder einmal der ORF den Vogel abgeschossen. Unter dem Titel „Putins Nazi-Erzählung über die Ukraine“[10] weist Österreichs Staatsfunk nach, dass zwar beim Putsch 2014 viele Nazis beteiligt waren, diese aber mittlerweile ihre Schuldigkeit getan haben und die Ukraine ganz ohne die faschistischen Wahnvorstellungen schlichter Gemüter ihre imperialistischen Hilfsdienste für die NATO leistet. Darüber hinaus sei Putin auch deswegen unglaubwürdig, weil er zwar behaupte, gegen Neonazis vorzugehen, dafür aber Kontakte zu Ultrarechten in Europa pflege – was ja durchaus sein mag, wenn er sich dadurch eine Destabilisierung seiner Gegner erhofft. Auch Russlands „hartes Durchgreifen gegen Friedensdemonstrationen“ spricht natürlich gegen Russland, aber Christian Körber, der Verfasser dieses Propaganda-Artikels, sieht Licht am Horizont. Er setzt auf die wirtschaftliche Schädigung Russlands, die in diesem Fall auch keineswegs vor der Zivilbevölkerung haltmachen soll, ganz im Gegenteil. Herr Körber stellt frohlockend fest: „Auch Putins Darstellung von der Ukraine als bitterarme Gegend mit hohen Lebenshaltungskosten mag viele Russinnen und Russen eher an ihre eigene Lage erinnert haben. Nach zwei Jahren Pandemie und schwieriger wirtschaftlicher Lage könnte die Bevölkerung den Angriffskrieg Putin vor allem aus Kostengründen übel nehmen. Nächster Wahltermin für die Präsidentschaft ist 2024.“ Aber er sollte sich da besser nicht zu früh freuen. Wenn angesichts der Eskalation des Krieges in der Ukraine demnächst kein billiges russisches Erdgas mehr zur Verfügung steht und die Energiepreise hierzulande ungeahnte Höhen erklimmen, dann sollten sich vielleicht auch die zynischen Eliten des Westens nicht mehr ganz so sicher im Sattel fühlen, die die Verarmung ihrer Bevölkerung ohne Skrupel in Kauf nehmen, wenn dies für die Unterwerfung Russlands erforderlich ist.
[1] EU-Osterweiterung zum Dritten: die „östliche Partnerschaft“ mit der Ukraine. Europa geht bis an die Grenzen seiner Methode friedlicher Eroberung und darüber hinaus, in: Peter Decker (verantwortlicher Redakteur): Gegenstandpunkt 1-14, München 2014, S. 59; vgl. https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-europa-geht-an-grenzen-friedlichen-eroberung, aufgerufen am 27. 2. 2022
[2] Wie die Ukraine die Szenerie eines drohenden Kriegsausbruchs produziert und die Welt um eine neue Anklage gegen Russland bereichert, in: Peter Decker (verantwortlicher Redakteur): Gegenstandpunkt 3-21, München 2021, S. 87, vgl. https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-szenerie-eines-drohenden-kriegsausbruchs-produziert, aufgerufen am 27. 2. 2022
[3] Ebenda
[4] A. Jermak, Assistent des Präsidenten der Ukraine: „Strategie der militärischen Sicherheit der Ukraine. Militärische Sicherheit – Umfassende Verteidigung“, bestätigt durch das Dekret des Präsidenten der Ukraine Nr. 121/2021 vom 25. März 2021, zit. n. Gegenstandpunkt 3-21, a. a. O., S. 90
[5] Gegenstandpunkt 3-21, a. a. O., S. 93
[6] Ebenda, Hervorhebungen dort
[7] Soldat sprengt sich mit Brücke in die Luft und wird zum Helden, https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_91733064/ukraine-krieg-soldat-sprengt-sich-mit-bruecke-in-die-luft-und-wird-zum-helden.html, aufgerufen am 27. 2. 2022
[8] Julien Benda: Der Verrat der Intellektuellen, Mainz 2013, Kindle E-Book, Positionen 314–318; Benda bezieht sich hier auf den Abessinien-Krieg des faschistischen Italien von 1935 bis 1936.
[9] Vgl. meinen Artikel „In der Tiefe des dialektischen Widerspruchs verborgen ruht Chinas Sozialismus – oder: Ist es nicht logisch, so ist es dialektisch!“ aus dem Jahr 2016, https://lektoratsprofi.com/2016-2/, aufgerufen am 28. 2. 2022
[10] https://orf.at/stories/3249151/, aufgerufen am 28. 2. 2022, die folgenden Zitate finden sich dort.
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