Jordan Petersons Kritik des Manifests der kommunistischen Partei

Vortrag auf Youtube[1]

Peterson schlägt vor, ohnehin von allen Ideen anzunehmen, dass sie falsch seien und daher zu überprüfen, ob sie nicht falsch sein könnten. Marx hingegen würde Ideen von vornherein für richtig halten, sofern sie einen neuen Blickwinkel aufzeigen. Hier eine Auseinandersetzung mit einigen Denkfehlern, die Petersons Auseinandersetzung aufweist, ohne auf alle Dummheiten einzugehen, die er in diesem Vortrag präsentiert.

1. Peterson untersucht die These, dass die Geschichte von Klassenkämpfen beherrscht sei: „History is to be viewed primarily as an economic class struggle.“ (Minute 4,14) Übersetzung: Geschichte muss im Wesentlichen als ökonomischer Klassenkampf verstanden werden.

Das gilt ihm natürlich als eingeschränkt, weil Menschen auch andere als ökonomische Motive hätten. Die Frage, was die aber zählen und welche Rolle sie spielen, deren Beantwortung zum Ausschluss solcher Motive als irrelevant geführt hat, stellt Peterson sich nicht. Ihm genügt es hier festzustellen: Wenn Marx die ökonomischen Verhältnisse hervorhebt, dann schließt er ja etwas aus und macht sich dadurch der Ignoranz schuldig. So gebe es statt ökonomischen Wettbewerbs auch ökonomische Zusammenarbeit, als hätte Marx das je bestritten und nicht vielmehr sein Interesse darin bestanden zu klären, wer da zu welchem Zweck zusammenarbeitet. Petersons Einwand ist ungefähr so sinnvoll, als würde er behaupten, dass sich im Krieg die Menschen nicht nur töten, weil ja die verbündeten Soldaten zusammenarbeiten und nur die Feinde getötet werden.

Während Peterson sich mit der Bestimmung menschlicher Verhältnisse als Kampf aber bestens anfreunden kann, ist ihm diese nicht pessimistisch genug, sie geht ihm in ihrer Einschränkung auf die Ökonomie nicht weit genug. Geschichte sei nämlich hierarchischer Kampf, dieser Kampf sei jedoch nicht auf die menschliche Geschichte beschränkt, sondern es sei die Biologie selbst (5,16), die sich hierin manifestiere. Für Peterson ist das Leben ein Kampf, genauso wie für Hitler, und wenn Marx diesen auf die Ökonomie einschränkt und durch deren Umgestaltung abzustellen hofft, so vergehe er sich damit nur gegen das menschliche Leben. Alle Organismen würden sich in hierarchischen Strukturen mit hierarchischem Wettbewerb organisieren, deren Führung sich in einer „winner take all situation“ (5,26) einrichten würde. Die kapitalistische Aneignung des Reichtums würde also jeder hierarchischen Ordnung entsprechen, jede Ordnung sei aber nur als Hierarchie zu haben und daher sei dieses Resultat unvermeidbar, wenn nicht allseitiger Krieg und Chaos herrschen sollen. Aber auch diese hierarchische Ordnung kann den Kampf nicht dauerhaft bannen, sie gilt für Peterson vielmehr als „eternal form of motivation for struggle“ (5,55), ewige Form des Anlasses zum Kampf. Diese Form sei keine menschliche Konstruktion, sondern finde sich auch im Tierreich. Für Peterson sind Menschen also auch nicht anders als Tiere und daher könne man sich von diesen auch nichts anderes erwarten als von Tieren. Aus demselben Grund gebe es diesen hierarchischen Kampf ja nicht nur im Kapitalismus, sondern auch in der ganzen menschlichen Geschichte. Dass Marx diese deswegen als Vorgeschichte der Menschheit galt, ist Peterson wahrscheinlich nicht bekannt.

2. Marx sehe nicht den Kampf der Menschen mit der Natur, den „struggle for life in a cruel and harsh natural world“. (7,57)

Nicht nur mit dem Klassenkampf und dem hierarchischen Kampf seien Menschen aber beschäftigt, sondern auch mit dem Kampf mit sich selbst, mit ihren inneren Dämonen. Darüber hinaus würden die Menschen auch mit der Natur im Kampf liegen, sie müssten in einer grausamen und brutalen Natur um ihr Leben kämpfen. Man fragt sich geradezu, ob der Kampf der Menschen gegeneinander im Krieg eine Folge dieses Kampfes mit der Natur ist oder auch unterbleiben könnte, weil ohnehin schon die Natur als Feind zur Verfügung stünde. Von Naturzerstörung, die sich rächt, scheint Peterson auch noch nie gehört zu haben, denn deren Folgen gelten ihm vermutlich als Naturkatastrophen. Menschen würden einsam und hungrig auf die Welt kommen und hätten deswegen immer um ihr Leben zu kämpfen. Von mütterlicher Zuwendung und Sorge der Familie für ihre Nachkommen scheint Peterson demnach noch nie etwas gehört zu haben. Die Hierarchien der Menschen seien nun zur Lösung dieses Problems geschaffen worden und diesen ihren positiven Beitrag würde Marx auch ignorieren, wenn er sie zur Ursache der menschlichen Konflikte erkläre. Es ist die alte Leier, dass doch gearbeitet werden müsse, damit die Menschen ihr Leben erhalten und gestalten können, die sich zu der Behauptung versteigt, dass der Kapitalismus zwar vielleicht nur wenigen Menschen Reichtum verschaffe, es ohne ihn jedoch gar keinen gäbe. Obwohl ewige Form der Veranlassung zum Kampf um die Verteilung des Reichtums, seien hierarchische Strukturen also unerlässlich zur Lösung komplexer sozialer Probleme: Wir müssen uns auf irgendeine Weise organisieren („we have to organize ourselves in some manner“; 8,46).

Peterson macht damit genau den Fehler, den Marx an Hegels Rechtsphilosophie kritisiert hat: Weil ja auch eine hierarchische Ordnung eine Ordnung ist, so hat sie auch etwas Vernünftiges aufzuweisen und ist daher als vernünftig hinzunehmen. Statt der Logik der Sache sich anzunehmen, erklärt er diese zu einer Sache der Logik und damit der Vernunft, weil sie ja auch logische Bestimmungen enthält. Irgendeine Ordnung braucht es schließlich, also ist auch jede recht. Mit diesem Standpunkt hätte aber auch die sozialistische Herrschaft für sich werben können. Diese macht es sich aber nicht so leicht, den Gegensatz von Arm und Reich zur unvermeidbaren Konsequenz jeder hierarchischen Ordnung zu erklären, gegen den man daher auch nichts einwenden dürfe, wenn man eine funktionierende Ordnung und nicht Chaos haben wolle. Petersons Argument lässt sich also so zusammenfassen, dass es für eine gesellschaftliche Ordnung einer Hierarchie bedarf, auch wenn damit der Gegensatz von Arm und Reich verbunden ist, der daher zu akzeptieren sei. Bei aller Ordnung würde diese nämlich nichts daran ändern, dass das Leben nun einmal von Kampf bestimmt sei, eben auch vom Kampf Arm gegen Reich. Deswegen würden Hierarchien Menschen enteignen und dennoch zugleich eine effiziente Art der Verteilung von Ressourcen sein: „Hierarchies dispossess people (8,51) … that’s the fundamental problem of inequality, but it’s also the case that hierarchies happen to be a very efficient way of distributing resources.“ (8,58)[2] Enteignung von Menschen ist eine gute Verteilung von Ressourcen – so einen Widerspruch muss man auch einmal hinkriegen, ohne sich daran zu stoßen.

Peterson dreht sich im Kreis, er konstruiert einen double bind. So ist mit dem Leben ein Kampf verbunden, was sich auch in der hierarchischen Struktur der Ordnung widerspiegelt, welche die Menschen zugleich zur Bewältigung dieses Kampfes einrichten. Die gesellschaftliche Ordnung gilt also gleichzeitig als Widerspiegelung und Einhegung der von Konflikt und Kampf bestimmten menschlichen Natur. Die widersprüchliche Natur der Menschen führt zu einer hierarchischen Ordnung, in der sich der Lebenskampf im Kampf von Arm gegen Reich fortsetzen würde. Je nach Bedarf können Gewalt und Leid dann als Folge dieser Natur oder als Notwendigkeit gesellschaftlicher Ordnung dargestellt werden. Was auch immer an Ärgernissen in dieser Gesellschaft auftritt, ergibt sich aus der Unvermeidbarkeit des Lebenskampfes in der hierarchischen Struktur gesellschaftlicher Ordnung. Von jeder Gesellschaft sei daher auch nichts anderen als ein Lebenskampf um die Stellung in ihrer hierarchischen Ordnung zu erwarten, diese Stellung wäre wiederum abhängig von der Fähigkeit zur Durchsetzung in diesem Kampf. Peterson erklärt den Menschen, dass sie vom Leben nichts anderes als die Konkurrenzkämpfe erwarten dürfen, in denen sie sich täglich zu bewähren haben. Dass in menschlichen Gesellschaften ein Kampf herrscht, gefällt ihm daher an der Auffassung der Geschichte als Klassenkampf, die Einschränkung dieses Kampfes auf die Existenz von Klassen, deren verschwinden auch diesen Kampf beenden würde, missfällt ihm dagegen.

Dem Dilemma einer hierarchischen Ordnung würden auch kommunistische Gesellschaften nicht entkommen, der Unterschied zur kapitalistischen Gesellschaft bestehe allerdings darin, dass Letztere nicht nur eine Hierarchie, sondern auch Reichtum produzieren würde: „… the one thing you can say about capitalism is that although it produces inequality … it also produces wealth.“[3] (26,41) In Petersons Sicht ist es gerade der Versuch, den Lebenskampf als Klassenkampf zu bestimmen und mit den Klassen eliminieren zu wollen, der zwar nicht eine hierarchische Ordnung vermeide, aber die Reichtumsproduktion einschränke. Und damit ist die Legitimation der kapitalistischen Gesellschaft in allen ihren Erscheinungsformen fertig. Wer sich an ihr stößt, ist nur nicht bereit, den Lebenskampf zu führen, wer die Verteilung des Reichtums beklagt, der soll den Kampf darum aufnehmen, denn wenn er diesen abstellen will, so wird es schließlich gar keinen Reichtum mehr geben. Damit kann man jede gesellschaftliche Herrschaft legitimieren, viel besser jedenfalls als ein realsozialistischer Staat, der den Anspruch erhebt, für Frieden und Wohlstand zu sorgen. Damit würde er ja nur Langeweile bei den Menschen erzeugen, die dann auch gleich selbstzerstörerisches Verhalten zeigen würden, um mehr Aufregung in ihrem Leben zu haben. (23, 02) Diese bietet ihnen aber der Kapitalismus mit seinen Existenznöten und Konkurrenzkämpfen doch viel besser, weswegen sie mit ihm zufrieden sein können.

Petersons Legitimationsideologie läuft darauf hinaus, dass die Menschen darüber aufgeklärt werden müssen, wie gut sie es mit dem Kapitalismus bei all seinen Mängeln doch getroffen hätten, die letztlich ohnehin nur die Mängel der menschlichen Natur wären. Damit lässt sich natürlich wunderbar Staat machen, wenn auch nicht unbedingt ein sozialistischer, der den Anspruch erhebt, die „aufregende“ Existenznot einer proletarischen Existenz zu beseitigen, nicht mehr und nicht weniger. Wer danach immer noch ein selbstzerstörerisches Verhalten praktizieren will, damit sein Leben aufregend und spannend ist, kann dies immerhin nun selbst bestimmen und ist dazu nicht durch den stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse genötigt.


[1] https://www.youtube.com/watch?v=j_MXSE3wUT4, aufgerufen am 14, 4, 2023

[2] Übersetzung: Hierarchien enteignen Menschen … das ist das grundlegende Problem der Ungleichheit, aber es ist auch der Fall, dass Hierarchien sich als eine sehr effiziente Art der Verteilung von Ressourcen erweisen.

[3] Übersetzung: … die eine Sache, die man über Kapitalismus sagen kann, ist, dass, obwohl er Ungleichheit erzeugt, produziert er auch Reichtum.

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