Sarah Bosetti über Precht/Welzer: Die vierte Gewalt
Auszug aus dem 4. Kapitel meines Buches Das narzisstische bürgerliche Subjekt
Besondere Verdienste in der auf das eben erwähnte Buch folgenden Schelte hat eine Dame auf Youtube vorzuweisen, die unter dem Titel „Bosetti will reden“ auftritt. Sie weist gleich zu Beginn ihres Beitrags darauf hin, dass sie nun „hauptsächlich über das Ego von Herrn Precht sprechen“ will, um kurz darauf zu ergänzen, dass es um die Diskussion bei Markus Lanz geht, die dort mit „den beiden Medienfiguren, die behaupten, die Medien von außen zu betrachten“ und „mit den beiden Herren mit der Arroganz im Blick und der gekränkten Eitelkeit auf der Zunge“[1] stattfand. Den „Medienfiguren“ sollen nämlich kein Blick von außen auf die Medien möglich sein, sodass gemäß dieser Logik wohl auch niemand sein Haus von außen betrachten könnte. Hier soll als Zeichen von Befangenheit gelten, was üblicherweise als Nachweis dafür verlangt wird, dass sich die Autoren mit dem Gegenstand auskennen, mit dem sie sich befassen. Bosetti aber muss den beiden Autoren unbedingt am Zeug flicken, daher fällt ihr auch nicht die Beliebigkeit des Verfahrens auf, je nach Bedarf die Vertrautheit mit einer Sache als Befangenheit oder als Kompetenznachweis zu nehmen. Ebenso wenig fällt ihr auf, dass sie mit ihrer Verurteilung der beiden Autoren als arrogant und in ihrer Eitelkeit gekränkt deren Vorwurf an die Medien bestätigt, die argumentative Widerlegung eines missbilligten Standpunkts durch einen „Hang zur Diffamierung Andersdenkender“[2] zu ersetzen, obwohl sie diese Formulierung kurz danach als Beispiel für ein „fröhliches Skandalbegriff-Bingo“ erwähnt. Und weil sie das Diffamieren nun bereits so gut beherrscht, wirft sie dem Buch auch reißerische Thesen vor, die nur auf die Etablierung eines Bestsellers aus und daher dem schnöden Mammon geschuldet seien. Dabei können wir noch von Glück reden, dass dieses Vorhaben gelungen ist, da wir sonst gar nicht Bosettis weiser Worte teilhaftig geworden wären, denn diese will sich nicht des Verfahrens schuldig machen, dummen Leuten eine Plattform zu bieten und dadurch deren Publikationen zum Erfolg zu verhelfen. Nur weil es in diesem Fall „eh egal“ ist, weil der Erfolg schon eingetreten ist, lässt sich diese Geistesgröße zur Auseinandersetzung mit dem Werk von Precht und Welzer herab und uns daran teilhaben.
Da es den beiden Autoren nur darum gegangen sei, mit einem Bestseller abzusahnen, sei ihr Buch auch schlecht, teilt uns Bosetti des Weiteren mit. So hätten sie es unterlassen, uns mit empirischen Zahlen zu ihren Behauptungen über die deutsche Medienlandschaft zu langweilen, und bieten daher keine „Datengrundlage, die über das persönliche Empfinden der Autoren hinausgeht“ und sich demnach wohl mit Bosettis persönlichem Empfinden viel besser vereinbaren ließe. Da sie mit dieser Datengrundlage anscheinend von Natur aus bestens vertraut ist, weiß Bosetti auch, dass es sich um ein „nur mittelgut recherchiertes Buch“ handle. So aber leide das Buch am Mangel einer „Faktenbasis“ und habe nicht den „Kern der Sache“ herausgearbeitet, mit dem Bosetti offensichtlich auch bestens vertraut ist, da sie sonst nicht feststellen könnte, dass es diesen nicht gäbe, obwohl dieser doch wohl in den angeprangerten reißerischen Thesen besteht. Aber das ist es ja eben, die sind deswegen nicht einmal „halbwegs vertretbar“ und so gipfelt Bosettis Schmährede in dem endgültigen Urteilsspruch: „Über eine Sache, die dir wichtig ist, schreibst du kein schlechtes Buch.“ Wenn es nur um den Verkauf von Büchern gehe, sei das hingegen nicht unbedingt ein Nachteil. Sachlich reduziert sich ihr Einwand somit darauf, dass sie gerne mehr Fakten gehabt hätte, vermutlich deswegen, weil Precht und Welzer dann viel länger an ihrem Buch gearbeitet hätten. Vielleicht würde sie ja fordern, dass diese ein Jahr lang ihre Recherche auch auf jedes noch so kleine Käseblatt in Deutschland erweitern müssten, um glaubwürdig zu erscheinen. Dann hätten sie auch nicht die einige Front gegen Russland und die damit verbundene Feindbildpflege gestört, der sich die dominanten Medien widmen und der sich das Buch widersetzt. Weil ihnen das Thema wichtig ist, haben Precht und Welzer vielleicht auf eine schnelle Veröffentlichung Wert gelegt und daher auf eine exakte quantitative Analyse ihrer Einschätzung der öffentlichen Stellungnahmen zum Ukraine-Krieg verzichtet, was ihnen ohnehin nur jene anlasten, die ihre Kritik für ungehörig halten, mit oder ohne eine quantifizierte empirische Basis. Und selbst wenn es stimmen sollte, dass ein paar Medien in ihrer Verurteilung Russlands zurückhaltender sind und nicht so vehement mehr und schwerere Waffen für die Ukraine fordern, so ist es wohl kein Zufall, dass diese eine kaum wahrgenommene Minderheit darstellen. Von Kritik der Waffenlieferungen oder der Ukraine ist hier ohnehin kaum etwas zu sehen und wer sich nicht in die Verurteilung Russlands fügt, hat mit beruflichen Konsequenzen zu rechnen, wie die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissl zu berichten wüsste, wenn diese denn jemand fragen würde, nachdem sie zur Unperson erklärt worden ist. Da kann von Glück reden, wer in seiner ökonomischen Existenz nicht von den öffentlich verbreiteten Urteilen über seine Person abhängig ist und daher nicht geschädigt werden kann.
[1] Sarah Bosetti: Bosetti will reden: Precht, Welzer und die Meinungsmache der Medien (ZDF-Satire), https://www.youtube.com/watch?v=Sfz7y7vXb4k&ab_channel=ZDFSatire, aufgerufen am 16. 2. 2023
[2] Richard David Precht/Harald Welzer: Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist, Kindle E-Book, München 2022, S. 11
Schreibe einen Kommentar