Kritik an Gramsci, dazu passend eine Bemerkung in eigener Sache

Wer der Auffassung ist, dass jeder Mensch seines Glückes Schmied sei, dass allein von seinen Anstrengungen und seinem Geschick abhängig sei, was er in seinem Leben erreiche, dem ist offensichtlich nicht klar, dass dies für lohnabhängige Menschen nur in sehr begrenztem Ausmaß zutrifft. Die einzige Gewissheit, die im Zusammenhang von Lohn und Leistung gilt, besteht darin, dass fehlende Leistungsbereitschaft sicher keinen Erfolg bringt. Wer ein Dasein als Lohnabhängiger fristet und dennoch daran festhalten will, dass es nur von seinen Fähigkeiten abhänge, ob er damit erfolgreich ist, hat daher kein Klassenbewusstsein. Die Werbekampagnen der Wirtschaftskammer behaupten im Sinne obiger Auffassung, dass es allen gut gehe, wenn es der Wirtschaft gut gehe. Auch dies stimmt nur in der negativen Hinsicht, dass es niemandem gut geht, wenn das Kapital nicht erfolgreich akkumuliert, weil das gesamte Leben in der bürgerlichen Gesellschaft auf dem marktwirtschaftlichen Erfolg beruht. Umgekehrt verbürgt erfolgreiche Kapitalakkumulation noch lange nicht ausreichende Arbeitsplätze und Löhne für die Bedürfnisse derer, die von ihrem Lohn leben müssen. Die trostlose Wahrheit dieser Aussage ist also, dass das Leben der Bürger von der Kapitalakkumulation abhängt, deren Scheitern zwar die Anzahl derer vergrößert, die von sozialstaatlichen Almosen abhängen, deswegen aber den Lohnabhängigen noch lange kein gutes Leben beschert, wenn sie erfolgreich ist.

Warum bringe ich dieses Argument hier vor? Ich will damit nachweisen, dass proletarisches Klassenbewusstsein nichts ist, was sich automatisch aus der Stellung im Produktionsprozess ergibt. Und ich habe Gramsci immer so verstanden, dass es deswegen notwendig sei, solche Erkenntnisse unters Volk zu bringen sowie zu begreifen, dass auch davon scheinbar unabhängige kulturelle Bereiche von diesen grundlegenden gesellschaftlichen Zusammenhängen betroffen sind. Man muss daher immer auf die spezifischen Interessen der Bürger eingehen und sich mit den Urteilen auseinandersetzen, mit denen sie sich ihre gesellschaftlichen Verhältnisse erklären. Das kann natürlich nicht so geschehen, dass ich Menschen, die über ihr geringes Einkommen klagen, gleich mit der Analyse der Ware im „Kapital“ komme und z. B. sage, dass die Existenz des Reichtums als Warenansammlung ja schon alles andere als selbstverständlich sei. Damit würde ich nur verständnislose Blicke ernten. Es wäre hier allerdings möglich, darauf einzugehen, dass Waren der Bereicherung kapitalistischer Unternehmen dienen und deswegen teuer sind. Da muss ich natürlich damit rechnen, dass dies in eine Moraldiskussion über unersättliche Gierhälse abgleiten wird, und kann mich entsprechend darauf vorbereiten, wenn ich bereits gelernt habe, wie ich moralische Argumente widerlegen kann.[1]

Es kann also nicht zielführend sein, anderen Menschen fertige Urteile in einer Darstellung zu präsentieren, die ihnen fremd ist und nichts sagt. Ein erhellendes Beispiel für diesen Fehler habe ich in einem italienischen Film, dessen Titel ich leider nicht mehr weiß, in meiner Jugend gesehen. Da hielt ein Kommunist Arbeitern einen Vortrag, in dem er mit der Grundfrage der Philosophie begann, die sich darum dreht, ob die Welt materialistisch oder idealistisch aufzufassen sei. Bereits nach wenigen Minuten zeigten die Arbeiter ihre Unzufriedenheit mit diesem Vortrag und verlangten, dass er ihnen doch lieber etwas über die Ausbeutung erzählen solle, woraufhin sich dieser Kommunist empört an die Veranstalter wandte, die ihn zu diesem Vortrag eingeladen hatten, weil er nicht darauf hingewiesen worden sei, welch niedriges Bildungsniveau das Publikum hier aufweist. Auf diese Art und Weise kann man nicht darauf hoffen, andere Menschen zu erreichen, wenn man sich gar nicht mit ihren Gedanken und Urteilen auseinandersetzt, wobei ohnehin nicht einzusehen ist, welchen Nutzen hier eine Auseinandersetzung über die Grundfrage der Philosophie haben sollte.

In einem Gespräch über Antonio Gramsci[2] habe ich nun gelernt, dass ich diesen anscheinend bisher völlig falsch verstanden habe, viel habe ich von ihm ja auch nicht gelesen. Es gehe Gramsci nicht um einen Kampf um die Köpfe, also um die Urteile und Auffassungen der Bürger, habe ich dort erfahren, sondern um die konkrete gesellschaftliche Praxis. Und hier müsse man versuchen, bei den Bürgern Prozesse selbständigen Lernens in Gang zu setzen, sie hierbei jedoch mit eigenen Argumenten zu ihrer persönlichen Situation unterstützen zu wollen, habe etwas von Oberlehrerhaftigkeit und Bevormundung. Dagegen wäre natürlich einzuwenden, dass man ohnehin niemandem abnehmen könne, die ihm präsentierten Urteile eigenständig nachzuvollziehen, zu überprüfen und sich entweder anzueignen oder zu verwerfen. Und wie solche eigenständigen Lernprozesse denn anders als durch Diskussion und auch durch eine Streitkultur in Gang gesetzt werden sollten, wurde ja in einer Kritik dieses Gesprächs[3] schon vorgebracht. Es ist auch nicht einzusehen, warum ausgerechnet Intellektuelle sich vornehm zurückhalten und nur ja niemanden zu brüskieren trachten sollten, wo doch die Gespräche und Diskussionen unter den Bürgern nur so davon strotzen, Recht behalten zu wollen und sich als souveräner Meister aller Lebenslagen zu präsentieren, eben als konkurrenztüchtiges Subjekt.

Dass die Anforderungen der Konkurrenz Versagensängste unter den Bürgern erzeugen, worauf diese mit narzisstischen Verhaltensweisen reagieren, die sich dadurch auszeichnen, von allen Menschen bewundert werden zu wollen, um den eigenen Erfolg in der Konkurrenz sicherzustellen, ist daher Thema meines neuen Buches.[4] Auch hier gibt es Menschen wie „Mister Kritikaster“, der ohne Lektüre des Buches zu wissen glaubt, welchen grundlegenden Fehler dieses aufweise, nämlich einen ökonomischen Gegensatz mit psychologischen Begriffen zu befrachten bzw. aus ökonomischen psychologische Gegensätze zu machen. Deswegen findet sich in der Rezension auf Amazon auch folgende Behauptung über Narzissmus: „In der schlichten Bedeutung als Ich-Bezogenheit wäre daran noch gar nichts zu bemängeln.“ Völlig richtig, lieber „Mister Kritikaster“, und hättest du mein Buch gelesen, so wüsstest du auch, dass sich genau diese Aussage darin findet, dass es aber auch völlig falsch ist und von vollkommener Ahnungslosigkeit zeugt, Narzissmus „in dieser schlichten Bedeutung“ zu verstehen. Bereits zu meinem Buch aus dem Jahr 2020 hat sich dieser Rezensent ohne dessen Lektüre geäußert, als hätte er es auf mich abgesehen, und sich die Freiheit genommen, daran das zu kritisieren, was er darunter aufgrund des Titels und des Themas verstehen zu können glaubt. Letztlich scheint sein Einwand zu lauten, dass beide Bücher nicht die Konkurrenz, sondern die darin herausgebildeten Tugenden kritisieren würden. Ich würde mich also an diesen Tugenden stoßen anstatt die ganz nüchterne Konkurrenz zu erfassen, wonach die Konflikte der Bürger bloß geschäftlich und nichts Persönliches sind. Diese Kritik geht vollkommen am Inhalt meiner Bücher vorbei, welche vielmehr zeigen, dass eine Konkurrenz ohne solche Tugenden gar nicht zu haben ist.

Unter dem Pseudonym „Karla Kritikus“ verfasst dieser Rezensent selbst Bücher und rotzt darin Sätze hin, die er wohl nie einer Kontrolle unterzieht. Anscheinend hält diese Person für unantastbar, was auch immer durch ihren Kopf gehen mag. Hier eine besonders grauenhafte Kostprobe eines Satzungetüms, in dessen Weiten sich der Autor grammatikalisch und inhaltlich verliert:

(Karla Kritikus: Sozialpolitik und Sozialreformen 2001-2022: Analyse und Kritik des Sozialsystems der BRD, S. 10 der Leseprobe bei Amazon) Gemeint ist wahrscheinlich, dass der Staat in Nachvollzug der Berechnungen des nationalen Kapitals die Funktionalität des sozialen Betreuungseinsatzes für die Abhängigen verschärfend gegen diese (die Betroffenen) sortiert.

Wer solche verbogenen Sätze jenseits grammatikalischer Richtigkeit von sich gibt, muss sich erstens nicht wundern, wenn seine Bücher nicht gelesen werden, und hat zweitens wohl kein ernsthaftes Interesse daran, andere Menschen bei Lernprozessen zu unterstützen. Dem kommt es vielmehr wie jedem beliebigen Bürger nur darauf an, sich dadurch Befriedigung zu verschaffen, dass er sich als Durchblicker präsentiert, der immer nur Recht behalten kann. Die eigene Ignoranz für Aufklärung zu halten und Denkverbote zu erteilen, wonach sich nicht mit den psychischen und ideologischen Formen zu beschäftigen sei, in welchen die bürgerlichen Subjekte ihre Widersprüche austragen und zu bewältigen trachten, ist allerdings ein Fehler, der sich an „Mister Kritikaster“ alias „Karla Kritikus“ studieren lässt. Diese Person kritisiert, zumindest in meinem Fall, was sie für die Sache hält, ohne sich mit dieser zu befassen. Deswegen muss man ja nicht in abstrakter Negation den umgekehrten Fehler begehen und auch solche Kritik unterlassen, die sich mit der Sache beschäftigt.


[1] Deswegen halte ich eine Kritik der Moralphilosophie für sehr nützlich und habe dazu die Bücher „Ewig lockt die Bestie“ und „Die Tugend des Kapitals“ verfasst.

[2] Alltagsverstand bei Gramsci mit Uwe Hirschfeld – 99 ZU EINS – Ep. 215, https://www.youtube.com/watch?v=qQNffqx0Zuw, aufgerufen am 1. 5. 2023

[3] (Un)taugliche Praxis? – Gramsci, Hirschfeld und der Alltagsverstand – 99 ZU EINS – Ep. 247, https://www.youtube.com/watch?v=5RwUJnQQek0, aufgerufen am 1. 5. 2023

[4] Das narzisstische bürgerliche Subjekt. Zwischen Größen- und Verfolgungswahn, https://lektoratsprofi.com/buecher/, aufgerufen am 1. 5. 2023

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