Verrohung in der Politik

Vor mittlerweile schon wieder mehr als zwei Jahren, machte sich die mir bis dahin völlig unbekannte Journalistin Livia Klingl über Hans Bürger lustig, einen Journalisten des ORF. Sie schrieb nämlich auf Twitter: „Einmal möcht‘ ich so verliebt sein wie der Hans Bürger in den Herrn Kurz!“[1] Weil der betroffene ORF-Journalist daraufhin Frau Klingel als letztklassig bezeichnet und geheimnisvolle Andeutungen über deren beruflichen Werdegang gemacht hat, wurde er für kurze Zeit auch vom Bildschirm verbannt. Niemandem ist es nach meinem Wissensstand hier in den Sinn gekommen, Frau Klingel dafür zu bedauern, dass sie nicht zu jenen tiefen Gefühlen fähig ist, derentwegen sie Herrn Bürger beneidet und nach welchen sie sich zu sehnen scheint, nachdem auch sie diese gerne einmal empfinden würde. Auch ist niemandem eingefallen, dass diese Offenbarung von Gefühlsarmut ein Indiz für die allgemeine Verrohung in der Politik sein könnte.

Für diese Verrohung gibt es immer mehr Hinweise, so die Denunziation von Handlungen als korrupt, in denen sich in Wirklichkeit nichts anderes als tiefe freundschaftliche Verbundenheit zeigt. Anstatt sich darüber zu freuen, dass der Wert der Freundschaft noch etwas zählt und hochgehalten wird, legt es die bürgerliche Öffentlichkeit Politikern als Korruption zur Last, wenn sie dem Wohlergehen ihrer Freunde dienen. So werden wir derzeit, im Herbst 2022, Zeuge eines von böswilligen Journalistinnen angezettelten Rosenkriegs zwischen den ehemaligen Busenfreunden Sebastian Kurz und Thomas Schmid.

Vielleicht erregt aber auch nur die Rückständigkeit des Verfahrens, das die Suche nach dem eigenen Vorteil hier zeigt, Anstoß. Dies wird ja bereits von Robert Musil beklagt, als er dafür eintritt, dass nüchterne Geschäftsbeziehungen das Verfahren der Vorteilssuche vereinfachen und abkürzen sollten. An die Stelle aufwendig zu pflegender Freundschaften solle doch einfach die Bezahlung der erwünschten Dienste treten: „In Paris soll man z. B. heute schon bestimmte Theaterkritiker kaufen können, bei uns muß man noch mit ihnen befreundet sein, was oft viel unangenehmer ist. Daß Ärzte, Rechtsbeistände, Geistliche, Journalisten Hilfe nur dem gewähren, der sie bezahlt, gilt auch bei uns als selbstverständlich; wenn man aber einen Senator gewinnen wollte, so mußte man (bis vor kurzem; jetzt scheint sich ja endlich eine Änderung angebahnt zu haben) zwanzig Leuten Vorteile erweisen, damit man vom zwanzigsten dem für seine Person uneigennützigen Mann empfohlen wurde.“[2] Musil stellt folgerichtig fest: „Ich weiß nicht, ob ehrlich am längsten währt, aber es währt jedenfalls lang und ist eine umständliche Währung.“

Anstatt freundschaftliche Beziehungen unterhalten zu müssen, hätte der Einsatz des Geldes auch den Vorteil, dass er prinzipiell jedem unabhängig von seiner Person zugänglich wäre, diese müsste nur über das erforderliche Geld verfügen. Damit wären die bürgerlichen Verhältnisse endlich auf dem Stand, für den Marx sie anscheinend voreilig gelobt hat, als er feststellte, dass nun „die Menschen (…) endlich gezwungen (sind), ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen“.[3] Für diese Rationalisierung ihrer Verkehrsformen muss die bürgerliche Gesellschaft wohl eine gewisse Verrohung in Kauf nehmen und der Gefühle entbehren, die Frau Klingel an Hans Bürger wahrgenommen zu haben glaubt. Herr Kurz und Herr Schmid hätten demnach noch ein wenig Entwicklungsbedarf, um endlich jene Kaltschnäuzigkeit zu erreichen, die für eine hochentwickelte bürgerliche Gesellschaft maßgeblich ist. Dann würde der Vorwurf der Korruption bei ihnen nur ein Schulterzucken auslösen und vielleicht zu der erstaunten Frage führen, was man eigentlich von ihnen erwarten würde. Schließlich entspricht es dem höchsten Stand bürgerlicher Rationalität, immer nach dem persönlichen Vorteil zu suchen, wie Peter Bürger festgestellt hat, der vermutlich mit Hans Bürger nur den Nachnamen gemeinsam hat: „Nicht nur den Managern und Politikern, die Bestechung als ganz normales Mittel der Auftragsbeschaffung ansehen, auch den Jugendlichen, die auf wehrlose Opfer einschlagen, fehlt jede Art von Schuldbewußtsein.“[4] Hans Bürger sollte sich also nicht für seine Gefühle schämen, erweist er sich doch damit als Fels in der Brandung des von Frau Klingl repräsentierten Zynismus. Oder hat er sich vielleicht gerade gegen eine solche Auslegung seiner Zuneigung zu Sebastian Kurz zur Wehr setzen wollen?


[1] https://www.heute.at/s/orf-star-beflegelt-kollegin-du-bist-letztklassig–44071871, aufgerufen am 2. 11. 2022

[2] Robert Musil: Zivilisation, in: Sämtliche Werke, Kindle E-Book, Positionen 17326–17330

[3] Karl Marx/Friedrich Engels: Manifest der kommunistischen Partei, in: Marx-Engels-Werke, Bd. 4, S. 465

[4] Peter Bürger: „Nach vorwärts erinnern“: Relektüren zwischen Hegel und Nietzsche, Kindle E-Book, Göttingen 2016, S. 63

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