Marx und Moral

Bei einer Diskussion über die Kritik der Moralphilosophie wurde die Frage aufgeworfen, wie es mit dem Verhältnis von Marx zur Moral bestellt sei. Ist nicht auch seine Kritik des Kapitalismus moralisch motiviert? Oder ist die Moral nicht vielleicht sogar die Grundlage dieser Kritik? Da sich heutzutage Kapitalismuskritik ohnehin auf wenige moralische Einwände gegen ein übermäßiges und daher als Gier verdammtes Profitstreben beschränkt, liegt offensichtlich der Gedanke nahe, dass Kapitalismuskritik eine moralische Ausrichtung haben müsse.

Hierzu gilt es anzumerken, dass Marx zu seiner Kritik des Kapitalismus keines moralischen Anstoßes oder Gewissens bedarf. Es braucht hierfür nichts anderes als den Anspruch, sich die Welt, in der man lebt, zu erklären. Natürlich hat Marx wie jeder andere auch die als „soziale Missstände“ angeprangerten Zustände wahrgenommen, nur hat er sich nicht mit gedankenlosen Urteilen über diese zufriedengegeben, die z. B. das Elend anderer Menschen deren „Faulheit“ zuschreiben, sodass sie selbst dafür verantwortlich seien, wenn es ihnen nicht gut geht. Und selbst wenn die Kapitalismuskritik von Marx moralisch motiviert gewesen wäre, so ist nicht zu erkennen, welchen Einfluss das auf die Durchführung dieser Kritik haben sollte, da es hier doch darauf ankommt, sich mit der Sache ganz unabhängig von moralischen Ansprüchen zu beschäftigen. Da kann man schon auf den Gedanken kommen, dass eine Gesellschaft, in welcher Armut und Not herrschen, nicht vernünftig eingerichtet ist. Wenn man dies darauf zurückführen will, dass in dieser Gesellschaft nicht nach moralischen Prinzipien gehandelt wird, so beschäftigt man sich gerade nicht damit, inwiefern der Kapitalismus für dieses Elend verantwortlich ist, sondern hat bereits entschieden, dass dies nur auf ein moralisches Defizit zurückgeführt werden könne. Was auch immer an den herrschenden Verhältnisses Missfallen erregen würde, würde dann von vornherein als Resultat unmoralischen Verhaltens gelten.

Damit kann man es sich natürlich recht einfach machen. Kapitalisten zahlen geringe Löhne und entlassen Arbeiter für ihren Profit? Die sind dann natürlich „gierig“ und deswegen unmoralisch, während sie dies gerade als ihre Verantwortung für den Erhalt ihres Unternehmens und der von diesem eingerichteten Arbeitsplätze darstellen. Eine moralisch motivierte Kapitalismuskritik ist ohne jede Befassung mit der Sache immer schon mit dieser fertig, weil sie ja nur darauf aus ist, moralische Verfehlungen zu entdecken, die sich aber umgekehrt genauso gut als moralisch gerechtfertigt darstellen lassen, wie im eben erwähnten Beispiel eines auf die Verantwortung für seine Konkurrenzfähigkeit pochenden Unternehmens. Marx weist in seiner Kritik des Kapitals nach, dass diese „Verantwortung“, die ein kapitalistischer Betrieb für sich in Anspruch nimmt, tatsächlich den kapitalistischen Verhältnissen entspricht, in denen sich die Bürger zu bewähren haben. Mit einer moralischen Verdammung von Massenentlassungen kommt man daher nicht weit, weil man sich dadurch nur weigert einzusehen, dass diese tatsächlich eine kapitalistische Notwendigkeit darstellen und keineswegs einer unmoralischen Haltung entspringen.

Wie eine moralische Kritik des Kapitalismus aussieht, zeigen die sogenannten neuen Rechten in ihrer Aneignung von Marx, die Norbert Wohlfahrt in dem Buch „Revolution von rechts?“ kritisiert hat. Diese sehen in der Kritik des Profits eine Kritik des Materialismus und treten daher ganz wie die Nazis für die Einschränkung des Kapitals auf seine nationale Nützlichkeit ein, weswegen dessen globale Herrschaft einzudämmen sei. So wie schon die Nazis das internationale Finanzkapital als raffendes Kapital verdammt haben, wollen auch die neuen Rechten dieses auf seine nationale Nützlichkeit verpflichten und ihm dadurch sein raffgieriges Wesen nehmen, nur dass sie im Unterschied zu den Nazis dabei Marx nicht als Gegner sehen, sondern sich auf diesen berufen zu können glauben. Materialismus gilt ihnen als Eigennutz, der die Gesellschaft spalten würde, diesem Eigennutz seien daher diensteifrige und opferbereite Bürger entgegenzusetzen, die im Dienst an der nationalen Gemeinschaft ihre Erfüllung finden. Wer aber einmal den Eigennutz als Wurzel des Bösen ausgemacht haben will, wird immer wieder einen Schuldigen finden, wenn sich Konflikte ergeben, das wissen wir dank Hegels Kant-Kritik. Da keiner Handlung anzusehen ist, dass sie auf Pflichtbewusstsein beruht, da sie nur zufällig der Pflicht gemäß, in Wirklichkeit aber eigennützig sein kann, wird hier jeder fündig, wenn er nur will, und weist diesen Eigennutz nach, der sich nur heuchlerisch als Dienst darstellen würde. Diese moralische Unduldsamkeit und Unversöhnlichkeit hat auch Adorno an Kant geschätzt und ihn deswegen Hegel vorgezogen, schließlich ist der haltlose Anspruch der Uneigennützigkeit nie zufriedenzustellen und lässt sich daher nicht besänftigen. So kann man sich dessen gewiss sein, dass das Werk der „Kritik“ nie zu einem Ende kommt, und es besteht auch keine Gefahr, dass die Bedeutung des Kritikers geschmälert werden könnte, die Adornos Geschäftsprinzip war.

Marx hingegen hat die Konkurrenz um kapitalistischen Reichtum und die Urteile der Bürger kritisiert, die falsch sein müssen, wenn sie diese Gesellschaft gutheißen wollen, und deswegen als notwendig falsches Bewusstsein zu kritisieren sind. Zu diesem falschen Bewusstsein gehören auch die moralischen Urteile, die nicht einsehen wollen, dass die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse das Leid hervorbringen, das sie nicht als deren notwendiges Resultat begreifen, sondern einem moralischen Fehlverhalten zuschreiben wollen.

2 Kommentare zu „Marx und Moral

  1. „Marx hingegen hat die Konkurrenz um kapitalistischen Reichtum und die Urteile der Bürger kritisiert, die falsch sein müssen, wenn sie diese Gesellschaft gutheißen wollen…“
    Warum „wollen“ Bürger kapitalistische Verhältnisse gutheißen?

    • Weil sie in der bürgerlichen Gesellschaft leben müssen, dies die Staatsgewalt ihnen vorgibt, wollen sie daran festhalten, dass diese Gesellschaft auch zu ihrem Nutzen eingerichtet ist und suchen dafür Gründe. Ebenso suchen sie Gründe für das Ausbleiben des erhofften Nutzens, lassen dabei aber diese Gesellschaft unangetastet und orten lieber einen Mangel an Moral bei anderen Bürgern.

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