Lohn-Preis-Spirale

Nach einem langen Zeitraum niedriger Inflation, als eher die Angst vor einer Deflation umging, weist die kapitalistische Weltwirtschaft seit ungefähr zwei Jahren hohe Inflationsraten auf. Vor allem hohe Energiepreise werden dafür verantwortlich gemacht, welche dem Interesse der herrschenden Westmächte an einer Schädigung Russlands entspringen, weswegen ja für ein paar Jahre doch ein wenig Frieren für die Freiheit verlangt werden könne. Deswegen verbietet sich natürlich auch, sich gegen gestiegene Lebenshaltungskosten mit der Forderung höherer Löhne zur Wehr zu setzen. Darüber hinaus setzen die Hüter des Kapitalstandorts und ihre willfährigen Intellektuellen das Dogma in die Welt, dass höhere Löhne ohnehin nichts bringen würden, da sie die Inflation nur durch eine Lohn-Preis-Spirale weiter antreiben würden.

Abgesehen davon, dass im Bild dieser Spirale das Interesse der Kapitalisten an ihrem Profit wie ein davon unabhängiges Sachgesetz erscheint, könnte man am Wahrheitsgehalt dieser Behauptung allein schon deshalb zweifeln, weil ja dann überhaupt nicht einzusehen wäre, weswegen sich die Führer kapitalistischer Unternehmen gegen Lohnerhöhungen wehren. Ihrer Logik zufolge könnten sie sich doch ohnehin gleich wieder durch Preiserhöhungen schadlos halten, sodass höhere Löhne nur zu höheren Preisen und somit zu einem Nullsummenspiel führen würden. Allein an dem Umstand also, dass kapitalistische Unternehmen sich höheren Löhnen widersetzen, lässt sich umgekehrt die Behauptung einer Lohn-Preis-Spirale als falsche Aussage entlarven. Dazu hat vor langer Zeit bereits Karl Marx alles Wesentliche in seiner Schrift Lohn, Preis, Profit erklärt, auf die ich bereits 2016 in meinem Buch „Begehrte Dogmen und ihre unerwünschte Widerlegung hingewiesen habe. Schon zu Lebzeiten von Marx hieß es, „dass jede Lohnerhöhung eine entsprechende Preiserhöhung nach sich ziehen und daher wirkungslos verpuffen würde“.[1] Marx hat hingegen nachgewiesen, dass bei einer allgemeinen Lohnerhöhung, bei der also jeder Lohnabhängige eine Lohnerhöhung erhält, zunächst die Preise für Konsumgüter steigen würden, weil ja auch jene Lohnarbeiter über einen höheren Lohn verfügen, die in der Produktion von Luxusgütern für die „Bessergestellten“, also für die herrschende Klasse tätig sind. Die Kapitalisten im Bereich der Luxusgüterproduktion kämen dadurch aber zweifach unter Druck: zum einen durch die gestiegenen Lohnkosten, zum anderen durch die höheren Preise für Konsumgüter des täglichen Bedarfs. Selbst wenn die Kapitale der Produktion notwendiger Konsumgüter ihre gestiegenen Kosten durch höhere Preise weitergeben könnten, träfe dies für die Unternehmen der Luxusgüterproduktion also keineswegs zu. Weil zumindest die hier agierenden Kapitalisten nicht nur höhere Löhne, sondern auch höhere Preise für ihren eigenen Konsum aufbringen müssten, würde die Nachfrage nach Luxusgütern fallen, jene nach Konsumgütern hingegen steigen. In Marx Worten: „Da ihr Einkommen vermindert, würden sie weniger auf Luxusartikel zu verausgaben haben, und so würde ihre wechselseitige Nachfrage für ihre respektiven Waren abnehmen. Infolge dieser Abnahme würden die Preise ihrer Waren fallen. Daher würde in diesen Industriezweigen die Profitrate fallen, und zwar nicht bloß im einfachen Verhältnis zu der allgemeinen Steigerung der Lohnrate, sondern im kombinierten Verhältnis zu der allgemeinen Lohnsteigerung, der Preissteigerung der Lebensmittel und dem Preisfall der Luxusartikel.“[2]

Dadurch käme es entweder zu einer Umschichtung von Kapital aus der Produktion von Luxusgütern zu jener von Waren des alltäglichen Bedarfs oder es könnten sich auch Lohnabhängige nun ein wenig an Luxusgütern leisten, dann würde diese Umschichtung bloß geringer ausfallen. Marx hat auch nachgewiesen, dass eine solche Umstrukturierung der Produktion keineswegs von geringem Ausmaß wäre: „Wenn ihr bedenkt, daß 2/3 des nationalen Produkts von 1/5 der Bevölkerung – oder sogar nur von einem Siebtel, wie kürzlich ein Mitglied des Unterhauses erklärte – konsumiert werden, so begreift ihr, welch bedeutender Teil des nationalen Produkts in Gestalt von Luxusartikeln produziert oder gegen Luxusartikel ausgetauscht und welche Unmenge selbst von den Lebensmitteln auf Lakaien, Pferde, Katzen usw. verschwendet werden muß, eine Verschwendung, von der wir aus Erfahrung wissen, daß ihr mit steigenden Lebensmittelpreisen immer bedeutendere Einschränkungen auferlegt werden.“[3]

Es ist doch gar nicht so ein schwieriges Unterfangen, die Lohn-Preis-Spirale als Propaganda im Interesse des Kapitals zu begreifen. Natürlich ist es den Kapitalisten immer recht, wenn die Löhne jener Unternehmen hoch sind, deren Lohnarbeiter bei ihnen einkaufen. Zwar könnten auch die Kapitalisten jener Unternehmen bei ihm einkaufen, aber die können nicht mehr essen als nötig, dafür aber besser und luxuriöser nicht nur essen, sondern ihr Leben insgesamt gestalten. Eine allgemeine Lohnerhöhung ist dagegen immer zum Schaden des Kapitals, weil ja insgesamt beim Verkauf seiner Produkte an Lohnempfänger nicht mehr Geld in seine Kassen gespült werden kann, als es davor in Form von Lohn ausgegeben hat. Der Profit von Kapitalisten als Klasse kann nur dadurch zustande kommen, dass sich diese wechselseitig ihre Überschüsse abkaufen. Dafür braucht es allerdings den Kredit und das Wirtschaftswachstum, denn die Kapitalisten müssen für die Erneuerung des fixen Kapitals (Gebäude, Maschinen) Rücklagen bilden, die sich als Ausfall ihrer Nachfrage auswirken würden, wenn sie nicht vom Bankkapital als Kredit wieder in den Kapitalkreislauf zurückgeführt würden. Dass sich hierbei immer wieder Kredit- und Absatzkrisen einstellen müssen, ist nicht erstaunlich und wird von den Kapitalisten zur Verdrängung von Konkurrenten aus dem Markt genutzt.   Inzwischen ist das Kapital auch mobil genug, um sein Kapital zwischen verschiedenen Standorten aufzuteilen und kann seine Tätigkeit auf Standorte mit billigeren Löhnen auslagern. Viel lieber erspart sich das Kapital jedoch Umzugskosten und da kommt ihm eine Inflation gerade recht, die seinen Profit erhöht, weil den höheren Preisen, die es dadurch verlangen kann, keine entsprechend gestiegenen Löhne gegenüberstehen, die Inflation sich bei ihm also als Lohnsenkung bezahlt macht. Damit das so bleibt, dürfen die Löhne natürlich keineswegs erhöht werden, und so wird wieder einmal die traditionsreiche Lüge von der Lohn-Preis-Spirale bemüht. Aus demselben Grund ist nebenbei bemerkt auch ein Mangel an Inflation, also eine Deflation ein viel schrecklicheres Gespenst, denn das bedeutet, dass das Kapital seine Preise senken muss und daher sein Profit fällt – eine für Kapitalisten natürlich unerträgliche Sache. Als Lohnempfänger ist man so oder so im Nachteil, weil das eigene Leben vom kapitalistischen Erfolg abhängt. Diese Abhängigkeit loszuwerden, ist also die nicht weniger traditionsreiche Notwendigkeit, die Marx und Engels mit folgenden Worten verkündet haben: „Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten.“[4]


[1] Begehrte Dogmen und ihre unerwünschte Widerlegung, Wien 2016, S. 144

[2] Karl Marx: Lohn, Preis, Profit, in: MEW, Bd. 16, S. 107 f.; Hervorhebung im Original.

[3] Karl Marx: Lohn, Preis, Profit, a. a. O., S. 107; Hervorhebung im Original.

[4] Karl Marx/Friedrich Engels: Manifest der kommunistischen Partei, in: MEW Bd. 4, S. 493

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