Die Rätsel der Elfriede Hammerl
In der Ausgabe Nummer 25 der Zeitschrift profil vom 22. Juni 2024 „rätselt“ Elfriede Hammerl darüber, weshalb sie auf der Plattform X (davor Twitter) für die Bezeichnung von Erben als „Nichtsnutze“ angegriffen worden ist. Vor allem folgende Aussage scheint anstößig gewesen zu sein: „Nichtsnutzige Erb:innen habe ich sie genannt, weil sie – als Erb:innen – von keinem Nutzen für die Gesellschaft, also die Mitmenschen sind.“[1] Darüber hinaus würden diese von ihrem ererbten Vermögen auch noch einen schädlichen Gebrauch machen, indem sie mit ihren riesigen Jachten die Umwelt belasten.
Soweit ich Hammerls folgender Darstellung der gegen sie geäußerten Vorwürfe entnehmen kann, ist die Bezeichnung von Erben als „nichtsnutzig“ nicht wegen der Verwandtschaft dieser Bezeichnung mit dem faschistischen Begriff des unwerten, weil unnützen Lebens kritisiert worden. Einige Kritiker beklagen zwar die Verletzung der so bezeichneten Menschen in ihrer Menschenwürde, vor allem aber scheinen sich einige Kritiker daran gestoßen zu haben, dass dieser Begriff des „Nichtsnutzes“ hier keineswegs angebracht sei: „Milliardäre sind schließlich durch Fleiß und Leistung zu ihren Milliarden gekommen, sollen sie dafür bestraft werden?“, entgegen sie Elfriede Hammerl. Sie kennen zwar durchaus Nichtsnutze, halten Erben jedoch keineswegs dafür. Nichtsnutze sind für sie vielmehr die Empfänger von Sozialhilfe, weil diese ja vom Staat kommt, während die Erben gerade nicht der öffentlichen Hand zur Last fallen, sondern im Gegenteil sogar einen Beitrag zur Finanzierung des Staates leisten, indem sie Steuern zahlen. Wie hoch diese Steuern sind, ist für diesen Gedankengang von untergeordneter Bedeutung, wesentlich ist, dass Reiche überhaupt Steuern zahlen, damit den Staat alimentieren, während Sozialhilfeempfänger von den sozialstaatlichen Einrichtungen Geld erhalten und damit dem Staat nicht nur nichts nützen, sondern ihn sogar etwas kosten, also belasten. Weil gemäß dieser Logik nicht mehr Steuern von Reichen, sondern Einsparungen im Sozialbereich sachlich geboten und „gerecht“ scheinen, meint Hammerl einen Neid auf Sozialhilfeempfänger zu erkennen und klagt über „eine merkwürdige Welt, in der es manchen besser geht, sobald es nur den Schlechtergestellten noch schlechter geht“.
Diese merkwürdige Welt ist für Hammerl ein Rätsel. Wie kommt es nur dazu, fragt sie sich, dass die Menschen keinen Unterschied zwischen Erwerbseinkommen und Kapitalerträgen machen, denn nur unter dieser Voraussetzung ließe sich erklären, dass sie zur Verteidigung der Reichen antreten. Milliardenvermögen kommen nämlich nicht durch Lohnarbeit zustande, stellt sie richtigerweise fest, auch mit Überstunden schaffen es fleißige Angestellte, Bauarbeiter oder Tellerwäscher niemals, so viel Geld zur Seite zu legen, dass sie irgendwann Millionen angespart hätten, von Milliarden ganz zu schweigen. Eigenartigerweise enthält Hammerls Richtigstellung aber auch eine Bestätigung des kritisierten Standpunktes und damit einen Widerspruch: „Der viel zitierte Tellerwäscher wird nicht durch Tellerwaschen zum Millionär, sondern dadurch, dass er, statt weiter Teller zu waschen, geschickt als Geschäftsmann agiert“, behauptet sie. Wenn sie geschäftliches Geschick zur Ursache des Reichtums erklärt, widerspricht sie ihrer nur wenige Zeilen davor geäußerten Feststellung, dass Milliardenvermögen aus Kapitalerträgen stammt, „weil sich Kapital unter günstigen Rahmenbedingungen ohne jede Arbeitsleistung des oder der Vermögenden vermehrt“. Wie verhält es sich nun wirklich? Ist es das Geschick eines Geschäftsmannes oder sind es günstige Rahmenbedingungen, die zu Kapitalwachstum führen? Besteht das Geschick des Geschäftsmannes dann im Erkennen oder in der Herstellung günstiger Rahmenbedingungen für die Verwertung seines Kapitals? Klar, wenn der Kapitalismus gerade eine großflächige Reichtumsvernichtung im Zuge imperialistischer Kriege hingekriegt hat, sind die Rahmenbedingungen bei den Kriegsverlierern zunächst einmal ungünstig, weil sie über keine Zahlungsfähigkeit verfügen. Hat aber die siegreiche Nation ein strategisches oder wirtschaftliches Interesse an ehemaligen Kriegsgegnern, so stattet sie diese mit Zahlungsfähigkeit aus und ermöglicht ihnen dadurch einen Wiederaufbau, der dem Kapitalwachstum günstige Bedingungen bietet. So sind die USA nach dem Zweiten Weltkrieg mit der BRD verfahren, um diese als Frontstaat gegen den sozialistischen Staatenblock einzurichten, weshalb es in diesem Fall keinen Versailler Schandfrieden gab, wie nach dem Ersten Weltkrieg, sondern den Marshall-Plan, um kapitalistisches Wachstum anzustoßen.
Vielleicht meint Hammerl aber auch nur, dass noch so geschickte Geschäftstätigkeit nicht erfolgreich ist, wenn keine günstigen Verwertungsbedingungen für das Kapital bestehen, weil wieder einmal eine Überakkumulationskrise und in deren Folge Krieg herrschen. Günstige Bedingungen allein verbürgen aber auch laut Hammerl keinen kapitalistischen Erfolg, dafür braucht es auch geschäftliches Geschick, wie sie selbst feststellt, sodass sich das Kapital gerade nicht „ohne jede Arbeitsleistung des oder der Vermögenden vermehrt“. Damit ist sie den scheinbar einfältigen Menschen, die nicht zwischen Erwerbseinkommen und Kapitalerträgen unterscheiden können, allerdings viel näher, als sie meint. Denn genau darauf zielt ja die Verteidigung der weniger betuchten Bürger ab, dass sich Kapital nämlich nicht von selbst vermehre, sondern es dafür Geschick und Köpfchen brauche, dass also auch für Kapitalerträge die individuelle Leistungsfähigkeit der Bürger die Basis sei. Hammerl hingegen äußert die Vermutung, dass sich Kleinbürger und Lohnabhängige mit ihren eher unterdurchschnittlichen Einkünften gerne zur Mittelschicht zählen, „um sich sozial aufzuwerten“. Deswegen würden sie Angriffe auf Reiche als Angriffe auf sich selbst betrachten, zumal sie darin von Reichen bestärkt würden, die sich zur Vorbeugung gegen Neid selbst gerne als Mittelschicht darstellen, weil es ja immer ein paar Leute gebe, die noch reicher sind als sie. Schlüssiger scheint mir für diese Verteidigung des kapitalistischen Reichtums jedoch die Bedeutung der Leistungsideologie, die ein Lebenselixier der bürgerlichen Gesellschaft darstellt und insofern das zeitgemäße Opium ist, das für Marx noch die Religion war. Denn wenn es von der eigenen Leistung abhängen soll, was man erreicht, dann hat man sein Geschick ja prinzipiell in der Hand und könnte es selbst zu einem Superreichen bringen! Umgekehrt soll sich natürlich jeder Mensch selbst die Schuld dafür geben, wenn sein Erfolg ausbleibt. Dann hat er sich entweder zu wenig angestrengt oder war einfach nicht geschickt genug.
Es ist aber nicht nur der Gedanke, dass jeder reich werden könnte, wenn er nur entsprechend leistungsfähig wäre, der Rechtfertigung und Verteidigung der Reichen veranlasst, sondern auch der Dienst, den dieser Reichtum der Gesellschaft bringt, soll für ihn sprechen. Dieser Dienst bestehe ja nicht nur in der Finanzierung des Staates durch Steuern, wie gering diese im Verhältnis zum besteuerten Reichtum auch sein mögen, sondern auch in der Schaffung von Arbeitsplätzen, heißt es da. Und um diesen „Dienst“ leisten zu „können“, dürfen die Steuern auch nicht zu hoch ausfallen, lautet die Konsequenz dieses Urteils. Dass das Kapital für diesen „Dienst“ entschädigt werden muss und daher die Löhne sowie Sozialabgaben auch nicht zu hoch ausfallen dürfen, liegt damit ebenso auf der Hand. Hoch dürfen allein die Staatseinnahmen und das Kapitalwachstum sein. So ist das nun einmal in dieser Gesellschaft, deswegen nennt sie sich auch „kapitalistisch“. Und es spricht auch nicht gegen das Kapital, wenn es angesichts der Arbeitslosigkeit seinen „Dienst“ scheinbar nur mangelhaft erfüllt. Hier werde schließlich nur das Kapital an der Verrichtung seiner Leistungen gehindert, durch wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen, durch zu hohe Löhne und Steuern oder was für Hirngespinste auch immer dem individuellen Belieben anheimgestellt sind. Da der Staat das Kapitalwachstum als Grundlage seiner Macht und Handlungsfähigkeit eingerichtet hat, hängt eben alles andere vom Gelingen dieses Wachstums ab und wäre es daher kontraproduktiv, den Reichtum zur Versorgung unnützer Hungerleider anstatt für weiteres Kapitalwachstum einzusetzen. Das sieht heutzutage auch die Klasse der Besitzlosen so, denn schließlich ist ein Arbeitsplatz das höchste Gut für jene Menschen, die von Lohnarbeit leben müssen, weil ihnen sonst Armut, Krankheit und Elend drohen. Hammerls Klage darüber, dass es eine merkwürdige Welt sei, in der Sozialhilfe immer zu hoch ist, während die Bewältigung einer Wachstumskrise des Kapitals sogar kosten dürfe, was es wolle, ist insofern äußerst weltfremd. Nicht das Bedürfnis nach Schlechterstellung der Sozialhilfeempfänger verlangt nach Einsparungen im Sozialbereich, sondern das Bewusstsein davon, dass Ausgaben für Bildung und Gesundheit zwar notwendige, aber möglichst gering zu haltende Kosten dafür sind, dem Kapital die Bedingungen für sein Wachstum zur Verfügung zu stellen, auf das es ankommt. Natürlich besteht gegen Sozialhilfeempfänger auch immer der Verdacht, dass sie ihren Beitrag zur Verringerung dieser Kosten verweigern und sich nicht um ein Arbeitseinkommen bemühen würden, deswegen sollen sie auch möglichst schlecht von der staatlichen Unterstützung leben, um genötigt zu sein, jede noch so beschissene und schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen.
Weil es keineswegs jedem gelingt, sich in der Konkurrenz der Marktwirtschaft erfolgreich zu behaupten, gelten in der kapitalistischen Gesellschaft Reiche nicht als „nichtsnutzig“, sondern im Gegenteil als höchste Respektspersonen, um deren Gunst sich der Staat bemüht. Daher will er Reiche nicht mit Steuern vergraulen, sondern ihnen gute Bedingungen zur weiteren Entfaltung ihres Reichtums, also für das weitere Wachstum ihres Kapitals bieten.
Wenn man schon die falsche Vorstellung pflegt, dass es die Aufgabe des kapitalistischen Reichtums sei, die von diesem ausgeschlossenen Menschen mit Jobs zu versorgen, so könnte man den Reichen die Existenz von Arbeitslosen auch zum Vorwurf machen, weil sie dann ja ihrer Aufgabe nicht entsprechen würden. Genau umgekehrt schließen die Bürger jedoch, dass sich darin zeige, um was für eine schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe es sich bei der Schaffung von Arbeitsplätzen handle. Weil diese Leistung so schwer zu erbringen sei und gleichzeitig für das Leben der vielen besitzlosen Menschen so wichtig ist, können die Reichen gar nicht genug verdienen, um der Bedeutung ihrer Tätigkeit gerecht zu werden. Zumindest dem produktiven Kapital wird dies zuerkannt, beim Finanzkapital, das ja nichts schafft, sondern nur rafft, wie schon die Nazis wussten, ist das schon zweifelhaft; Finanzkapitalisten halten viele wirklich für nichtsnutzige Parasiten, obwohl sie doch gar nichts anderes machen, als die Anbahnung kapitalistischen Geschäfts zu betreuen und zu begleiten, das ohne ihre Vermittlungstätigkeit gar nicht zustande käme. Auch ein Immobilienmakler erzeugt bekanntlich nichts, sorgt aber dafür, dass Verkäufer und Käufer zueinander finden. Genauso verhält es sich in der Beziehung von produktivem Kapital und Finanzkapital. Und solange es keine Verwertungskrisen des Kapitals gibt, halten die Menschen sich mit ihren Vorbehalten gegen das Finanzkapital auch zurück und schätzen dessen Leistungen für das produktive Kapital und die nicht nur von diesem, sondern auch vom Finanz- und Versicherungssektor geschaffenen Arbeitsplätze. Und weil man dem Kapital nun schon einmal für seine Arbeitsplätze und seine Löhne dankbar sein soll, kennt die Bewunderung dieser außergewöhnlichen und vortrefflichen Menschen mittlerweile gar kein Halten mehr, in deren berufenen Händen das Geld doch viel besser als beim Staat aufgehoben sei. Auch deswegen verteidigen ganz normale Bürger die Reichen gegen höhere Steuern und präsentieren deren Spenden als Beweis dafür, dass es sich hier wirklich um verantwortungsbewusste Menschen handle, die ihr Geld sinnvoll einsetzen würden: „Die Reichen sind doch eh freiwillig freigiebig, heißt es mit Verweis auf großzügige Spenden einzelner Mäzene“, stellt Hammerl fest und fragt sich, warum dann nicht auch Lohnabhängigen freigestellt werde, ob sie etwas spenden wollen, anstatt besteuert zu werden. Na, weil die dieses Geld doch nur für sich verwenden würden, lautet hier vermutlich der Einwand, schließlich müssten sie sich dann nicht mehr nur mit jenen Gütern zufrieden geben, die ihrem durch Steuern und Sozialabgaben reduzierten Nettoeinkommen zur Verfügung stehen.
Reiche verdienen ihren Reichtum, weil sie diesen durch ihre Geschäftstätigkeit selbst erwerben, während Politiker genauso wie Sozialhilfeempfänger auch nur vom Staat leben. Deswegen kann sich ein Trump als Rebell gegen das politische System aufstellen, dem es als Kapitalist viel mehr um das Wohl der Arbeiter gehe, für die er und seinesgleichen ja schon mit ihren Arbeitsplätzen so rührend und umsichtig sorgen würden. Dieser Würdigung seiner „großartigen“ Leistungen konnte sich das Kapital nicht immer erfreuen. Es gab einmal eine Zeit, da wäre dieser Standpunkt „nicht einmal auf Protest gestoßen, sondern hätte nur Lacherfolge erzieht“, wie Freerk Huisken bemerkt hat.[2] Damals gab es aber auch noch ein gewisses Klassenbewusstsein oder zumindest eine Ahnung davon. Mittlerweile gilt die bürgerliche Gesellschaft aber als egalitär, weil jedem zumindest theoretisch die Möglichkeit offensteht, es zu Reichtum zu bringen. Heutzutage geben sich Kapitalisten wie Donald Trump als revolutionäre Systemsprenger, die mit den Parasiten der politischen Klasse aufräumen, die sie ohnehin für Linke halten. Und einen Grund dafür, dass auf Lohnarbeit angewiesene Menschen sich für diese begeistern sollten, gibt es ja wirklich nicht, auch wenn es für Trump ebenso keinen gibt. Der hat genauso wie die FPÖ und die AFD allerdings den Bonus, dass er den etablierten politischen Mächten lästig ist. Nur wegen des Ärgernisses, das Trump und Co für die herrschenden Regierungsparteien darstellen, wegen ihrer Störung des normalen politischen Alltags erhalten diese massiven Zulauf von Menschen, die mit ihnen nichts als die Wut auf das System gemeinsam haben, die ein Trump so wirkungsvoll in Szene zu setzen und zu bedienen weiß.
Es müsste also Frau Hammerl nicht ein solches Rätsel sein, dass durchschnittliche Menschen zur Verteidigung der Reichen antreten. Auf deren Reichtum kommt es nun einmal in einer kapitalistischen Gesellschaft an, diesen zu bewahren und zu vermehren, ist in der Regel auch den Erben ein Anliegen, die mit ihrem Geld eben Besseres anzufangen wissen, als es zu verschenken oder „für ein gerechteres Steuersystem“ einzusetzen, wofür Marlene Engelhorn von Hammerl gelobt wird. Die ganze bürgerliche Gesellschaft mitsamt der sie verwaltenden und beherrschenden Staatsgewalt hängt vom kapitalistischen Reichtum und dessen erfolgreicher Vermehrung ab, da ist es nicht erstaunlich, wenn die Hüter dieses Reichtums allgemein bewundert werden. Solche Wertschätzung nicht zu teilen, fällt nur einer Minderheit ein, die von dieser Gesellschaft und ihrem Reichtum überhaupt nichts hält, weil sie weiß, dass dieser auf der proletarischen Armut beruht, der nur Einzelne entrinnen können, wenn sie einen Klassenwechsel schaffen, aber niemals die ganze Klasse, deren Armut die Quelle des kapitalistischen Reichtums ist.
[1] Elfriede Hammerl: Alles Mittelschicht. Über die rätselhafte Verwechslung von Erwerbseinkommen und Kapitalerträgen, in: profil 25, 22. Juni 2024, S. 19, alle weiteren Zitate, sofern nicht angegeben, stammen aus dieser Quelle.
[2] Freerk Huisken: Über die Unregierbarkeit des Schulvolks. Rütli-Schulen, Erfurt, Emsdetten usw., Hamburg 2007, S. 139
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