Andreas Salcher – ein Bildungsexperte?
Wien, 18. 11. 2019
Bereits vor einigen Jahren erhob Andreas Salcher den Anspruch, ein Bildungsexperte zu sein, indem er das Buch „Der talentierte Schüler und seine Feinde“ verfasste. Ich habe dieses Buch damals gelesen und meine Begeisterung hielt sich in deutlich überschaubaren Grenzen. Sucht man bei Google unter dem Stichwort „Bildungsexperte Salcher“ nach Beiträgen, so findet sich unter den ersten Angaben ein Interview im „Kurier“ vom 28. 11. 2017, worin er über Bildungsstandards schwatzt und sich in Phantasien über leistungsgerechte Bezahlung für Lehrer ergeht.[1] Nun weiß ich natürlich nicht, ob Herr Salcher Kinder und dank dieser Einblick in den Schulalltag hat. Auch ist mir nicht bekannt, ob er persönlichen Umgang mit Lehrern pflegt. Aus den mir bekannten Stellungnahmen Herrn Salchers zur Schule vermag ich jedenfalls nicht auf nähere Kenntnisse zu schließen. Vielleicht betrachtet er diese ja sogar als Befangenheit, die ein objektives Urteil verhindern würde.
Hat man als Vater mit der Schule zu tun, so stößt man auf genügend konkrete Ärgernisse, die sich keineswegs mit der ideologischen Phrase erledigen lassen, dass es den Lehrern an finanziellen Anreizen für „guten“ Unterricht fehlen würde. Eine Sache, die mir hier bereits seit mindestens zwei Jahren auffällt, betrifft den Unterricht von Fremdsprachen. So ist es z. B. in Latein üblich, ein konjugiertes Verb[2] in einer bestimmten Zeit vorzugeben, etwa „dicit“ (er sagt), welches das Verb „dicere“ in der 3. Person Präsens im Singular darstellt. Zu diesem Verb sind dann die übrigen Zeiten zu ergänzen, die bisher „gelernt“ – vielmehr wegen Zeitmangel nur kurz vorgestellt – worden sind. Man muss dann Futur, Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt richtig ergänzen, in diesem Beispiel würde das so aussehen: dicet – dicebat – dixit – dixerat. Hat man hier auch nur einen Buchstaben falsch, also vielleicht „dixeras“ anstatt „dixerat“, so erhält man für diese Aufgabe sage und schreibe genau null Punkte, also genauso viele wie dann, wenn man gar nichts hingeschrieben hätte. Genauso ist es, wenn die Angabe der Stammformen verlangt wäre, die so lautet: dico, dicis, dicere, dixi, dictum. Würde man hier vielleicht „dici“ statt „dixi“ schreiben, so wäre der Ertrag ebenso kein einziger Punkt, obwohl alles andere richtig wäre.
Ich weiß ja nicht, welchem Vollidioten (oder welcher Vollidiotin?) das eingefallen ist, aber eines weiß ich gewiss: Wenn man Schülern jedes Erfolgserlebnis und jede Freude am Lernen nehmen, wenn man sie frustrieren will, so hat man damit das perfekte Werkzeug dafür geschaffen! Herzliche Gratulation, wem auch immer dieser Schwachsinn zu verdanken ist! Dieses höchst perverse Vorgehen scheint jüngeren Datums zu sein, da mein älterer Sohn damit nicht behelligt worden ist. Nachdem nicht nur in Latein, sondern auch in Französisch dieses Verfahren zum Einsatz kommt, liegt die Vermutung nahe, dass die Lehrer hier Vorgaben des Bildungsministeriums folgen, das diese möglicherweise vom berüchtigten Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung übernommen hat. Dieses BIFIE hat seine „Kompetenzen“ ja bereits bei der Ausarbeitung der Zentralmatura „eindrucksvoll“ unter Beweis gestellt, deren Zwecksetzung den „Verrat der Intellektuellen“ vollendet, den Julien Benda zwischen den beiden Weltkriegen angeprangert hat. Das Einzige, was ich Lehrern hier vorwerfen könnte, ist der Umstand, dass sie sich diesem Verfahren anscheinend widerstandlos unterwerfen, obwohl dessen Unsinnigkeit offensichtlich ist. Ob sie sich dessen eher annehmen würden, wenn sie dafür finanziell belohnt würden, bezweifle ich stark. Da befürchte ich eher einen Schwall von Großtuerei und Angeberei, der Blendern Tür und Tor öffnet.
Von den verschiedenen Bedingungen, denen Lehrer in verschiedenen Schulen ausgesetzt sind, scheint Herr Salcher auch nicht die geringste Ahnung zu haben. Vielleicht zeichnet ja Ahnungslosigkeit einen „Experten“ aus. Wenn ich etwa an eine bestimmte Lehrerin meines älteren Sohnes zurückdenke, so weiß ich ganz genau, dass diese in einer anderen Schule untergegangen wäre, während in dieser Schule ihre mangelnden Fähigkeiten ohne Auswirkungen blieben. Dies hatte seine Ursache darin, dass die Kinder dieser Schule aus Familien kommen, deren Eltern alles andere als „bildungsfern“ sind, sondern eher das Gegenteil hierzu darstellen und als „Bildungsjunkies“ bezeichnet werden könnten. Vielleicht hat Herr Salcher zumindest Gerüchte über Lehrer gehört, denen ihr Beruf eine lästige Pflicht ist und die lieber wissenschaftlich arbeiten, anstatt sich ordentlich auf ihren Unterricht vorzubereiten. Über diese Lehrer wird gemunkelt, dass sie eine Standardvorbereitung jahrelang unverändert verwenden, um ihre Zeit nicht mit Unterrichtsvorbereitungen zu vergeuden. Darüber hinaus würden sie sich durch eine so schwache Gesundheit auszeichnen, dass einem angst und bange werden könnte, ob hier nicht demnächst ein Partezettel ins Haus flattern müsste. Falls Herr Salcher an solche Lehrer denkt, weiß ich allerdings sicher, dass er ihre Leistungsfähigkeit nicht dadurch erkennen wird, dass er sie an den Erfolgen ihrer Schüler misst. Damit würden nicht gute und schlechte Lehrer ihrer Leistung entsprechend bezahlt werden, sondern man würde jene belohnen, die es ohnehin leichter im Unterricht haben, weil sie über entsprechende Schüler verfügen, während jene bestraft würden, die es ohnehin schwerer haben. Auch desinteressierte Lehrer würden belohnt werden, solange sie sich ganz hervorragend in Schulen verstecken können, deren Schüler ausgesprochen lernwillig sowie leistungsbereit und daher nicht auf die Bemühungen ihrer Lehrer angewiesen sind. Diese Lehrer haben dann vielleicht weniger Maturanten, aber das ist ihnen nur recht, da eine Matura viel Arbeit für wenig Geld bedeutet. Und ich glaube nicht, dass Herr Salcher mit finanziellen Anreizen meint, der Staat solle mehr Geld für die Matura zahlen, nachdem dieser in den letzten Jahren erfolgreich in seinen Bemühungen gewesen ist, seinen Finanzaufwand in diesem Bereich zu senken.
Da wir schon von viel Arbeit für wenig Geld sprechen: Vorzügliche Resultate wurden hier auch im Bereich der sogenannten vorwissenschaftlichen Arbeit erzielt. Die Entlohnung hierfür spricht wirklich allem Hohn, was ich als Lektor bereits erlebt habe, und das ist bereits ein sehr niedriger Maßstab. Nebenbei bemerkt ist auch der Begriff der „vorwissenschaftlichen Arbeit“ eine Absurdität, denn so etwas gibt es gar nicht. Eine Arbeit ist entweder wissenschaftlich oder unwissenschaftlich. Einen solchen widersinnigen Begriff zu bilden, ist wahrlich Ausdruck einer Bildungskatastrophe. Meinetwegen könnte man von einer Einführung in wissenschaftliches Arbeiten oder von einer wissenschaftlichen Übung sprechen, das ist aber auch schon alles. Da wie gesagt die Bezahlung hierfür in keinerlei Verhältnis zum Arbeitsaufwand des Lehrers steht, profitieren auch hier jene Lehrer, bei denen kein Schüler zur Matura antreten will, denn diese werden auch als Betreuer ihrer „vorwissenschaftlichen“ Arbeit gemieden. Auch hier bin ich mir sicher, dass Herr Salcher nicht für eine angemessene Vergütung dieses Arbeitsaufwandes eintritt. Ihm schwebt wohl eher eine Gehaltskürzung für jene Lehrer vor, um die jeder Schüler einen Bogen macht. Das würde dann noch mehr Arbeit für die anderen Lehrer bedeuten, denn nun hätten die offiziell zum zweitklassigen Lehrer erklärten Kollegen auch noch einen Rechtstitel auf Arbeitsvermeidung. Damit erreicht Salcher zwar nicht eine Verbesserung des Schulsystems, von der er behauptet, dass sie ihm ein Anliegen sei, aber der Staat wird diesen „Anreiz“ zu weiteren Einsparungen seiner Bildungsausgaben schon zu schätzen wissen … So wird man eben zum „Bildungsexperten“!
[1] Bernhard Gaul, Raffaela Lindorfer: Bildungsexperte Salcher: „Lehrer nach Leistung bezahlen“, in: https://kurier.at/politik/inland/bildungsexperte-salcher-lehrer-nach-leistung-bezahlen/299.972.248; aufgerufen a, 18. 11. 2019
[2] Interessant ist es auch, dass zwar jeder Sprachlehrer von der Konjugation des Verbs spricht, man es aber anscheinend nicht für notwendig hält, diesen Begriff zu erklären. „Konjugation“ heißt „Verbindung“ und die Konjugation des Verbes gibt entsprechend dieser Bezeichnung die verschiedenen Verbindungen an, die ein Verb in einem Satz bilden kann.
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